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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0052
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35

jener Emancipation von herkömmlichen Regeln und doch zu-
gleich in jener künstlerischen Haltung, die von der erinne-
rungslosen Theorie des heutigen Tages als eine Errungen-
schaft der jüngsten Gegenwart proklamirt wird; andrerseits
das Bedingniß höchster Würde und Reinheit des Styles,
welcher die Beschränktheit des Individuellen in die „Frei-
heit des Gedankens" hinüberführen sollte, und die Hinwei-
sung aus die unvergleichlichen Muster solcher Auffassung in
der hellenischen Kunst. Beide Elemente standen einander
freilich noch als wenig versöhnte Gegensätze gegenüber, und
die Worte der Propyläen traten gelegentlich in ausdrück-
liche Opposition gegen das naturalistische Streben der Ber-
liner Schule. Ohne Zweifel waren die Gedanken jenes
jungen Künstlerkreises, wie die Jugend überall gern auf die
Seite der Opposition tritt, den Lehren der „Weimar'schen
Kunstfreunde" gläubig zugethan; dafür war aber vorerst
das ganze Gewicht der praktischen Erfahrung und des aus
solcher hervorgehenden Einflusses auf Seiten der heimischen
Meister. Es ist hinzuzufügen, daß Schadow kurz vor dem
Zietendenkmal das Standbild Friedrichs des Großen, eben-
falls im Kostüm der Zeit, aber von dem Königsmantel
umwallt, für Stettin gefertigt hatte und daß in den näch-
sten Jahren von demselben Künstler die Statue des Fürsten
Leopold von Dessau für Berlin, wiederum eins der völlig
naturalistischen Meisterwerke, nachfolgte; während ein an-
drer Vertreter derselben künstlerischen Richtung, Chodowiecki,
durch seine zahlreichen Radirungen einen sehr weitgreifenden
Einfluß ausübte.
Jndeß hatte Rauch sich in mancherlei eignen künstlerischen
Arbeiten versucht, in Büsten, Reliefcompositionen u. dgl.
Der König und seine Gemahlin folgten seinen Bestrebungen
mit Theilnahme, obgleich die ersten Urtheile der Meister,
z. B. Schadow's, über sein Talent nicht gar günstig ge-
lautet haben sollen; der königlichen Gunst schloß sich man-
cherlei Förderung von andern einflußreichen Personen an.
Im Jahr 1802 empfing Rauch vom Könige die Mittel zu
-einem Studienaufenthalte in Dresden; in demselben Jahre
brachte die akademische Ausstellung von ihm die Figur
eines liegenden Endymion. 1803 hatte er nach einem Ent-
würfe Schadow's und unter dessen Leitung ein größeres
Modell auszuführen, das für die neuerrichtete chirurgische
Pepinwre bestimmt war, die Hülfe des Arztes auf dem
Schlachtfelde darstellend. Dann wurde ihm, während des
Sommeraufenthalts der königlichen Familie in Charlotten-
burg, das Glück zu Theil, die Büste der schönen Königin
nach dem Leben modelliren zu dürfen; der König, mit der
Arbeit zufrieden, trug ihm die Ausführung in Marmor auf
und gab ihm die Erlaubniß, zu diesem Behufe nach Rom
zu reisen. Im August 1804 trat Rauch die Reise an. Er
blieb über sechs Jahre in Rom, wo er vom Erwerb seinex
künstlerischen Thätigkeit lebte, seit 1809 mit einer königl.
Jahresunterstützung von 400 Thalern zur Fortsetzung seiner
Studien. Unter den persönlichen Beziehungen, welche er
dort anknüpfte, ist zunächst sein freundschaftliches Verhält-
niß zu Wilhelm von Humboldt, damals preußischen! Mini-
ster in Rom, hervorzuheben. Der tiefe, klassisch philosophische
Geist dieses Mannes hatte auf die Ausrundung seiner Bil-
dung eine umfassende Wirkung, Dasjenige weiter fördernd,

was die Goethe'schen Propyläen zuerst angeregt hatten,
während gleichwohl Rauch nicht allein der Empfangende
war, vielmehr ebenso wesentlich dazu beitrug, jenen in das
Verständnis; des künstlerischen Schaffens, das ihm bis dahin
fremd geblieben war, einzusühren. Dann waren es die
beiden großen Meister des eignen Kunstfaches, Canova
und Thorwaldsen, deren Umgang und freundschaftlicher
Antheil nicht geringere Förderung gewährte, der eine ein
Vorbild für die Grazie der Form und deren zarte Durch-
bildung, der andre für gedankenvolle Größe und keusche
Einfalt des Styles. Alles vereinigte sich, den jungen deutschen
Künstler in der Sphäre der klassischen Kunst heimisch und ihr
Wesen zu dem seinen zu machen; doch lebte in ihm ein
selbständiger Geist, der auch unter solcher Umgebung und
unter den überwältigenden Eindrücken der ewigen Stadl
und ihrer alten Kunslschätze in stiller emsiger Thätigkeit dem
Ziele seiner Entwickelung entgegenstrebte. Unter den Ar-
beiten, welche Rauch in Rom allsführte, werden zwei Re-
liefs, das eine Hippolyt und Phädra, das andere Mars
und die verwundete Venus darstellend, namentlich angeführt;
sodann die sitzende Statue eines achtjährigen Mädchens, das
ideal aufgefaßte Bildniß einer Tochter von Humboldt, eine
Arbeit von streng feiner Naturbeobachtung, im Ausdruck des
Köpfchens von großer Anmuth, in der Behandlung des
Marmors schon von wunderbarer Vollendung. Außerdem
eine Anzahl von Büsten. Unter diesen jene Büste der Königin
Louise, jetzt im Schlosse zu Berlin befindlich, ebenfalls ein
Werk strenger Schönheit, das sich bei einer noch in etwas
gebunden stylistischen Haltung durch eben so große Fassung
der Form wie empfundene Zartheit der Uebergänge aus-
zeichnet.
Am 19. Juli 1810 war die Königin in der Blüthe
ihrer Jahre gestorben. Dem Schmerze des Königs sollte
das Grabdenkmal entsprechen. Es ward mannigfach dar-
über verhandelt, Canova wie Thorwaldsen zur Betheiligung
aufgefordert; beide verweigerten die letztere, mit Hinweisung
auf das vielversprechende Talent des jungen preußischen
Kunstgenossen. 'Nun ward Rauch, zu Anfang 1811, nach
Berlin zurückberufen, mit dem Aufträge, dem Könige Ent-
würfe zu dem Denkmal vorzulegen. Einer dieser Entwürfe
entsprach völlig dem Wunsche des Königs; Rauch mußte
das Modell unter den Augen des letzten: ausführen. Dann
ward er wieder nach Italien gesandt, in Carrara den Mar-
mor auszusuchen und zurichten zu lassen, in Rom die Ar-
beit zur Durchführung zu bringen. Das Denkmal stellt die
Königin auf dem Lager ruhend dar, leise schlummernd, in
sriedenvoller Stille, die Arme unter der Brust zusammen-
gelegt, das Haupt ein wenig zur Seite geneigt; die hohe
Anmuth und Reinheit der Form klingt in der idealen
Gewandung wider, deren Gefalle sich kunstreich den schönen
Gliedern schmiegt; die ganze Behandlung verräth ein streng
durchgeführtes Studium im Sinne der klassischen Kunst.
Das Werk fand in Rom den lebhaftesten Beifall; die Aka-
demie von S. Luca ernannte Rauch zu ihrem ordentlichen
Mitglieds das erste Zeichen öffentlicher Anerkennung, das
ihn: zu Theil ward. Am 30. Mai 1815 wurde das Denk-
mal im Mausoleum der Königin zu Charlottenburg auf-
gestellt. Es ist seit jenem Tage für das preußische Volk
 
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