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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0228
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zurückgreift, sie abzuwehren, und das Haupt ihr durch gleichzeitige
Neigung zu entziehen sucht, hat er den zu Boden gesunkenen
Sohn bemerkt. Er will vorwärts stürzen, aber der Anblick hat
ihn gebannt, und so steht er nun in letzter machtloser Entäußerung
des Entsetzens, die gespreizte Linke thatlos vorgestreckt, dem un-
vermeidlichen Geschicke anheimfällend. Was Ferrari gewollt hat,
hat er vollkommen erreicht; die ganze Handlung von ihrem Be-
ginn bis zum Ende ist in einem Momente fixirt, der uns nach
keinem Nachher oder Vorher fragen läßt; die Gesammtgruppe
wie alle Einzelnheiten der Anordnung und Bewegung sind natür-
lich motivirt und ohne geschraubtes Pathos zur Geltung gebracht;
und so bliebe schließlich, wenn wir das Technische der Gruppe
gleichfalls nur loben können, nur noch die Frage übrig, ob Fer-
rari das, was er wollte, auch wollen durfte? — Eine gründ-
lich motivirte Beantwortung dieser Frage würde uns hier zu
weit führen. Wir begnügen uns diesmal damit, einfach unsre
Meinung dahin zu äußern, daß freilich meistens die heutige Kunst-
theorie zu pedantisch zu Werke geht Lei der Frage, ob dieser oder
jener Stoff dieser oder jener Kunstgattung zur Besitznahme über-
lassen werden darf, und daß der absprechende Theoretiker oft zu
wenig daran denkt, daß heute oder morgen der wahre Künstler
kommen könne, der ihm durch sein Werk die Schwäche seiner
Theorie aä ocmlos demonstrirt; allein im vorliegenden Fall will
uns die Theorie doch einige Einwände machen, die uns wenig-
stens zu der Erklärung bestimmen, daß Ferrari noch nicht dieser
wahre Künstler sein möchte, der uns zu völliger Befriedigung
zeigte, der durchaus antike Laokoonstofs sei einer Behandlung im
Sinne der modernen Plastik fähig, ohne daß ein Conflict zwischen
unserem antiken und modernen Kunstgewissen entstände. — Die
Gruppe ist in verkleinertem Maße in Marmor ausgeführt und
befindet sich in Privatbesitz zu'Brescia.
Schauen wir uns weiter um in dem Studio des Künstlers.
Das zweite Werk rückt uns schon ein wenig näher. Es ist
das gleichfalls kolossale Modell einer Gruppe, welche „Goliaths
Niederlage durch David" darstellt. Goliath ist durch den Stein-
wurf zu Boden gestreckt; er will freilich noch eine Anstrengung
machen, sich wieder zu erheben, aber die krampfhaft gekrümmten
Hände und das rücküber sinkende Haupt zeigen, daß die Kraft
gebrochen und kein Widerstand weiter möglich ist. Der Sieg ist
vollendet; Spannung des Ausgangs nicht mehr vorhanden und
dadurch eine plastische Ruhe erzeugt, die sich in der jungen Hel-
dengestalttrefflich ausprägt. Er hat das Schwert des Niesen mit bei-
den Händen erfaßt und zum letzten Streiche ausgeholt. Von dem ge-
genwärtigen Inhalte der That spiegelt sich in seinem Antlitze nur in
den etwas zusammengezogenen Lippen die Anstrengung, die der
Schwerthieb dem jugendlichen Helden unausbleiblich zumuthet, sonst
aber nichts von Erbitterung des Kampfes gegen den Ueberwundenen
oder von einem Triumphgefühl, das sich auf diese That stützt; sondern
ein höherer Siegesadel- spricht sich ernst in seinem Antlitz aus
und gibt der That jenen geschichtlichen und biblisch bedeutsamen
Stempel, der ihr zukommt. — Wir finden demnach, daß der
Künstler in David, die realistische Ausprägung des Inhalts in
glücklichster Weise mit einer idealen zu vereinigen wußte, während
in Goliath die bei der Laokoongruppe bemerkte Auseinanderhal-
tung des Idealen und Realen schärfer betont bleibt. In dem
Körper des Riesen hat der Künstler seine meisterliche Beherrschung
der nackten Körperform in großem Umfange gezeigt; allein
man muß nicht immer Alles sagen wollen, was man weiß.
Der ästhetischen Betrachtung wäre es lieber, die Niederlage
und den Schmerz des Riesen nur aus seinem Antlitz und aus
dem Krampfe in den Muskeln der Extremitäten zu entnehmen;
wozu noch sämmtliche Brust- und Bauchmuskeln zu demselben
Effecte Mitwirken sehen? Die große Masse des an jeder Stelle

krampfhaft durchzuckten Rumpfes wirkt allein schon räumlich be-
einträchtigend für das in Kopf und Hände hineingelegte Leben,
so daß die Gruppe sicher gewänne, wenn Goliath von der ihm
in der Schrift zuertheilten Rüstung mindestens den schuppigten
Panzer erhalten hätte. *
Ein drittes der Vollendung in Marmor nahes Werk ist das
lebensgroße Standbild des „heiligen Justus". In der Nähe der
diesem Heiligen geweihten Kirche zu Triest hatte bekanntlich vor
einigen Jahren Erzherzog Maximilian Ferdinand das Unglück,
durch einen Sturz aus dem umgeworfenen Wagen nicht uner-
heblich verwundet zu werden. Wegen der Rettung aus augen-
scheinlicher Lebensgefahr wird dem Heiligen ein Altar gestiftet,
dessen bildnerische Ausschmückung dem Ferrari übertragen ist.
Der Heilige, in schönem kräftigem Mannesalter, einfach würde-
voll gewandet, blickt mit ruhiger Zuversicht nach oben; mit der
Rechten drückt er ein einfach gebildetes Kreuz an die Brust, im
linken Arme ruht der mit einem Strick umwundene Felsstein,
mit dem er in die Tiefe gesenkt wurde. In durchweg edlen
Formen sprechen die Motive klar und ruhig, ohne Schwärmerei
und Süßlichkeit: „Für deine Lehre gehe ich voll Zuversicht in
den Tod." — Am unteren Theile des Altars erklärt ein Mar-
mor-Relief die näheren Bezüge, die seine Stiftung veranlaßten.
Der verwundete Erzherzog sitzt in einem Lehnstuhl, die Hand
seinen ihm in theilnehmender Freude zueilenden Brüdern, dem
Kaiser und dem gegenwärtigen Statthalter von Tirol, entgegen-
reichend. Die drei Brüder sind in den ihnen zukommenden Uni-
formröcken gekleidet. Hinter dem Lehnsessel steht der heilige Justus,
die schützende Hand über den Verwundeten streckend; gegenüber
hinter den Besuchenden steht zur harmonischen Abgrenzung der
Gesammtgruppe der Schutzgenius des Hauses Habsburg mit
Schild und gesenktem Schwert in ruhiger, statuarischer Haltung.
Vielleicht mag die vorliegende Ausführung des Gegenstandes der
Darstellung bestellt sein; sonst scheint uns die Freude des Hauses
Habsburg über die glückliche Rettung eines seiner Glieder Wohl
einer künstlerischeren Auffassung fähig, als sie in einem bloßen
Krankenbesuche zum Ausdrucke zu gelangen vermag. —
Außer zwei kolossalen Engelstatuen, die für einen Altar der
Kirche San Silvestre Hierselbst in Marmor ausgesührt sind, und
einer kolossalen Büste G alilei's, welche nach einem alten Kupfer-
stiche für die Universität zu Padua ausgeführt wird und ihrer
Vollendung in Marmor nahe ist, gruppiren sich die übrigen
Hauptwerke des Ateliers unter die beiden Gattungen der Grab-
mäler und der Genre-Skulptur. — Unter den ersteren finden
wir nun das Meisterwerk des Künstlers, das wir nicht anstehen,
den mustergültigen Leistungen der heutigen Skulptur überhaupt
unbedingt anzureihen. Die einfache Beschreibung wird nicht aus-
reichen, die tiefe Wirkung dieses Werkes zu veranschaulichen und
nachfühlen zu lassen: es übt jenen ergreifenden und plötzlich
fassenden Eindruck des Schönen, dessen Genuß man sich nicht
entziehen mag, um mit kritischem Verstände nachzuspüren, warum
es denn so wirke. Es ist eben schön, weil es schön ist; weil wir
schon beim ersten Anblick nichts vermissen und uns im längeren
Anschauen nur immer weiter in die Annehmlichkeit des Genusses
vertiefen. Das Grabmal wird gebildet von einem kolossalen, ein-
fach viereckig zugehauenen Felsblocke, wie er wohl in der religiösen
Kunst zum Verschließen der Grabhöhlen vorgestellt wird; aus
seiner oberen Kante sitzt überlebensgroß ein Engel der Aufer-
stehung. Dies ist das Ganze. Mit langem Gewände bekleidet
sitzt er in etwas schräger Richtung da, so daß das eine Bein fast
* Der Fehler liegt vielleicht darin, daß Ferrari den aufrechten,
durch das Maß beherrschten antiken Laokoon in einen liegenden, un-
ruhigen Goliath verwandelt hat und dadurch zu Beurtheilungen und
Wünschen verführt, die in's Gebiet der Malerei gehören. F. E.
 
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