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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0274
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bar vereint zur Erscheinung kommen und sich nirgend ein Ver-
walten des einen vor dem andern bemerkbar macht. Ihre Gleich-
gültigkeit gegen einander ist zu einer gleichen Gültigkeit
für einander geworden. Daß Robert sich in seinem Genre zum
bedeutendsten Vorkämpfer dieses Jdealrealismus gemacht hat, halten
wir für sein Hauptverdienst. Er zeigt, wie die Idealität ohne
reale Basis eben so wenig künstlerische Berechtigung hat, als
die zu keinem idealen Ausdruck gelangende Realität, und hierin
liegt der Grund, weshalb der citirte Ausspruch Springer's, der
dem Gesagten nach nur unter gewissen Mentalreservationen richtig
ist, um so eher Mißverständniß erzeugen kann, als Springer selbst
in seinem systematischen Bewußtsein über Realismus und Idealis-
mus nicht zur vollen Klarheit gekommen zu sein scheint, sondern letz-
teren nur bei „einzelnen eigenthünüich.organisirten Künstlernaturen"
berechtigt findet, während gleichwohl der Realismus kein trockenes
Abschreiben der Natur sein, sondern die Produktivität der Phan-
tasie in sich aufnehmen, eine höhere Weihe erhalten soll, oder wie
dasjenige, was in der That Jdealrealismus ist, mehr oder weniger
unklar und unbestimmt wiederholt in seinem Werke annähernd be-
schrieben ist. Wir wollen dies ergiebige Thema hier nicht weiter
verfolgen, sondern bemerken, nunmehr bei der Sache bleibend,
daß Robert den von ihm in seinem Gebiete zuerst (gleichgut ob
bewußt oder unbewußt) angestrebten Standpunkt des Idealrealis-
mus nicht in dem Maße erreichte, daß sich Ideales und Reales
zu vollständiger Harmonie dnrchdringt. Wir haben bei ihm stets
den Mangel einer durchaus volltönenden und ungestörten Har-
monie empfunden, gestehen aber, daß wir nicht die ausreichende
autoptische Kenntniß seiner Werke haben, um mit Sicherheit zu
entscheiden, ob der Mangel der vollen Harmonie sich für uns
darauf gründet, daß dem Realismus zu wenig sein Recht ge-
worden ist (wie Kugler anzunehmen scheint, wenn er meint, Ro-
bert fei der allgemeinen und der menschlich körperlichen Natur,
sowie des Pinsels nicht vollkommen Herr geworden, und fehle es
bei aller Herrlichkeit und Größe des Gedankens doch an voll-
kommen freier Naivetät in Bewegung des Körpers und der Ge-
wandung und nicht minder an Lufthauch), oder darauf, daß dem
Idealismus zu viel Recht eingeräumt ist, insofern die objectiv
ideale Wahrheit überschritten wird durch den noch hinzukommen-
den subjectiven Idealismus, der mit jener nicht in vollem Ein-
klang steht, so daß seine Schilderung des Volkslebens eine leise
subjective Färbung durch die besondere Hervorhebung desjenigen
Momentes des italienischen Geistes erhält, dem sein eigenes Ich
vielleicht von jeher in etwas krankhafter Weise am meisten ver-
wandt ist.
Wir stützten uns auf unsre bisherige Anschauung des Mangel-
haften in der vollständigen Harmonie des Idealen und Realen
bei Robert, wenn wir oben sagten, daß in der vorliegenden
Nerly'schen Composition dasjenige etwas zu wenig zur Geltung
kommt, was in Roberts Werken zu viel vorhanden ist. Bei
Nerly überwi'egt das realistische Moment dadurch, daß dem Idea-
lismus nicht sein volles Recht zu Theil geworden ist, wie die
Composition es ihrer ganzen Anlage nach verlangt hätte. Es
soll eben kein individuelles Genrebild vorgeführt werden; dazu
fehlen alle Spezial-Beziehungen zwischen den vorkommenden Per-
sonen und sicher mit der bestimmten Absicht, solche möglichst fern
zu lassen, setzte der Künstler nicht einmal ein liebendes Paar,
sondern zwei Mädchen aus dem Volke in die Gondel. Ist also
dadurch der Gegenstand des Bildes in eine allgemeinere Sphäre
gehoben, in die des kulturhistorischen Genre's, wie wir es oben
darstellten, so muß sich alles Einzelne sowohl für sich allein auf
den allgemeinen Inhalt beziehen (hier die innere Lust des Volkes
an dem durch Musik erhöhten Genuß des Daseins), als auch zu
einander in der harmonischen Wechselbeziehung stehen. Es ist
Deutsches Kunstblatt. 1858.

demnach richtig, wenn die Beckenschlägerin sich in ihrer Lust und
Freude emporgehoben fühlt und mit Wonne im Blick ins Him-
melsblau schaut und die Becken jubelnd zum schmetternden Schlage
hebt, wenn bei der Frau mit dem Tambourin Ohr und Instru-
ment sich entgegenkommen und sich eine gewisse Selbstgefälligkeit
rücksichtlich ihrer Leistung in den heitern Blicken spiegelt, wenn
das Kind mit dem Triangel in der Vertiefung in sein Instrument
ein gehobenes Selbstbewußtsein in naiver Darstellung erkennen
läßt, wenn der greise Gondolier sich der rauschenden Töne zu
freuen scheint, wenn die Grazie der Bewegung, welche den Bar-
karolen beim Lenken der Fahrzeuge eigen ist, hier beim jungen
Barkenführer, der von Haupt bis zu Füßeu sichtbar auf dem er-
höhten Hintertheil der Barke steht, vom Nythmus der Töne durch-
drungen und bestimmt erscheint, wenn der Künstler zur vollen
Entwickelung dieses Motivs von der jetzt nur noch in Einzel-
heiten beibehaltenen idealeren Tracht der Gondoliere außer der
noch vielfach üblichen flatternden Schärpe auch die nur selten
oder vielleicht gar nicht mehr vorkommenden eng anschließenden
Beinkleider behielt, welche die Anmuth der Bewegung durch die
Schönheit der Bewegung gehoben erscheinen lassen. Alles dieses
ist in den Bewegungen und Gesten, wie in den allgemeinen
Geberden zum angemessenen idealen Ausdruck gekommen, wenn
wir gleich den speziellen Gesichtsausdruck noch etwas mehr in
dieser Richtung betont gewünscht hätten. Dagegen sind die
andern Musicirenden, (namentlich der eine Trompeter) wie die
Barkarolen in den Vordertheilen der Fahrzeuge, namentlich der
junge Bursche in der Gondel, durchaus realistisch aus dem Leben
gegriffene Gestalten; in ihrer Weise vielleicht noch gelungener
oder wenigstens ebenso gelungen, als diejenigen, in denen die
Idee des Bildes ihr Recht gefunden hat. Aber dieser Umstand,
der sie auf einem Genrebild individuellen Inhalts zu vortreff-
lichen charakteristischen Figuren gemacht hätte, reißt sie hier aus
der Harmonie mit dem allgemeinen Inhalte des behandelten Vor-
wurfs. Das Gleiche findet dadurch bei den Mädchen in der
Gondel Statt, daß dieselben sich durch ihre sehnsüchtigen oder
vielleicht suchenden Blicke nach dem Ufer außer Beziehung zu den
musicirenden Begleitern setzen und die Aufmerksamkeit aus dem
Bilde hinaus lenken. In völlig angemessener und gelungener
Weise schließen sich aber die kleinen über Bord spielenden Kinder
der Composition an, indem hier die mangelnde Beziehung zur
Freude an der Musik selbstverständlich das Nichtige ist, und die
lebhafte, ganz in's Spielzeug versunkene Freude, welche in reizen-
der Natürlichkeit wiedergegeben wird, an diesem Theile dem idea-
len Inhalt des Vorwurfes vollkommen Genüge leistet. —
Rücksichtlich der technischen Ausführung haben wir bereits
die vorzügliche Schilderung des landschaftlichen Rahmens wie
des Sonnenunterganges rühmlich hervorgehoben und können hier
nur hinzufügen, daß die von letzterem für die Hauptgruppe ent-
stehenden frappanten Einzel-Lichtesfecte ohne Uebertreibung und
Effekthascherei, welche Nerly überhaupt nicht eigen ist, meisterhaft
ausgebeutet sind; eine etwas größere Klarheit des Helldunkels im
Allgemeinen der Hauptgruppe möchte aber auch dem idealen Aus-
drucke der Gesichter noch etwas zu Gute gekommen sein. Der nächste
Vordergrund des Wassers ist neben der Barke, in deren Spiegelung
von trefflicher Klarheit und in vollem Einklänge mit der ge-
lungenen Gesamtdarstellung der Luft des Landes und der Was-
serfläche, nur unmittelbar vor und hinter den Fahrzeugen könnte
der nächste Vordergrund eine etwas größere Transparenz zeigen.
Je genauer die Elle gearbeitet ist, desto peinlicher pflegt man
zu messen. Wenn wir also in dem Vergleich mit Roberts Wer-
ken einen relativ hohen Maßstab anlegten und auch den absolut
höchsten nicht zurückhielten; so wird selbst der ausgesprochene
Tadel erkennen lassen, daß wir ein Werk vor uns halten, welches
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