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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 9.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1202#0279
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254

Meine Herren! Die Praxis ist nicht hinter der Theorie zurückge-
blieben, ja — es hat jene diese bereits überholt. Während sceptische
Köpfe sich noch über die Möglichkeit der Idee streiten, sind wir in der
That und ganz von selber eine Genossenschaft geworden.
Düsseldorf sprach im Jahre 1856 das Schlagwort der Zeit aus —
Vereinigung! Bingen war die erste Manifestation des Gedankens,
Stuttgart die zweite, und München sollte schon nach kaum zwei Jahren
eine gemeinschaftliche That bringen, wie sie die Geschichte des Künstler-
lebens in Deutschland noch nicht aufzuweisen hatte. Meine Freunde!
Ohne die Genossenschaft keine Ausstellung, wie wir sie jetzt
der Welt zeigen! Die Ausstellung ist das Lebenszeugniß
unserer Genossenschaft! — Sie bringt ein weiteres Attribut, sie
bringt ein Vermögen und mit diesem das Gefühl des Besitzes,
welches bekanntlich eines der stärksten Mittel ist, um Menschen an Men-
schen zu binden. Aber die Ausstellung bringt ein noch viel
höheresGut! »
Hiemit bin ich auf dem Punkte angekommeu, wo ich den ernstesten
Ton annehmen möchte, oer einem Menschen zu Gebote steht. Meine
Freunde! Ohne die Genossenschaft keine deutsche Schule!
So gelungen, so merkwürdig und achtbar die Ausstellung im Glas-
palaste ist, und so viel Aufmerksamkeit ihr die Welt schenkt, — dem
Beobachter, der unbedingt nach Wahrheit strebt, der sich nichts verhehlt,
ist es klar, die deutsche Kunst leidet durch den Mangel einer äußeren
Centralisation. Die Starken sind allerdings eine Phalanx
der mächtigsten Art und hat keine Nation eine mächtigere
aufzuweisen, aber die Schwächeren, die Jüngeren und Ringenden,
ohne die sichere Basis der Centralisation, sind offenbar einem Suchen,
einem Tasten hingegeben, das nicht selten seine Stützpunkte und Prin-
cipien jenseits unserer Grenzen sucht.
Rührend und tröstlich ist auf der anderen Seite die Erscheinung,
wie trotz aller Barrieren der Geschichte, der inneren Grenzen u. s. w.
ein Zug der Verbindung, ein Instinkt des Zusammenseinwollens sichtbar
ist, die Sympathie der Blutsverwandtschaft. Die Ausstellung ist
das verkörperte Verlang en, ein nationales Ganzes zu bil-
den. Angesicht zu Angesicht gekehrt begegnen sich hier die Bruderstämme,
durch lange Zeiten, Länderstrecken und Vorurtheile bisher getrennt. Ein
Verständniß ist erschlossen, wie es vordem nicht möglich war, eine Offen-
barung ist uns geworden, von der segensreichsten Wirkung; die Aus-
stellung selbst ist die belehrendste Schule geworden, die wir
jemals gehabt, sie lehrt uns die nationale Sprache in der
Kunst.
Aber, meine Freunde, in wenig Wochen zerfällt unser schöner Bau;
nach allen Richtungen hinaus rasch entführt das Dampfroß, was wir
mühevoll gesammelt in langen Monden; der Glaspalast verödet und
mit unsichtbarem leisem Finger zieht die Zeit ihren Schleier über unser
Unternehmen und die Ziele, die wir mit leidenschaftlicher Liebe gesucht;
— ja, die Zeit würde ihre abstnmpfende, ihre zerstörende Kraft auch an
unserem Gedanken erproben, wenn die deutsche Künstlergenossen-
schaft nicht existirte!
Die deutsche Künstlergenossenschaft muß den nationalen Zusammen-
hang unter uns erhalten — lebendig erhalten, und sie kann es, Gott-
lob, sie kann es; sie wird dafür sorgen, daß die getrennten Richtungen
im geistigen Wechselverkehr bleiben, sie wird dafür sorgen, daß es die
Kunst in Wien fühlt, wenn die in München falsche Bahnen einschlagen
sollte, daß ein Triumph der Münchener in Düsseldorf mitgeseiert wird;
sie wird die innere Centralisation sein, die wir um so mehr bedürfen,
als uns die äußere fehlt. — Die Formen, in denen die Künstlergenossen-
schaft sich zu bewegen hat, sind nicht schwer zu finden, sie sind bereits
gefunden.
Ein Centralcomits wird die heilige Flamme von Ort zu Ort,
von Jahr zu Jahr weitertragen. Das Lentralcomito ist der pnlsirende
Punkt der Körperschaft, der Leben, Blut, Wärme und Bewegung durch
die Glieder zu verbreiten hat. — Das Centralcomitö ist das Herz
unserer Genossenschaft, und in der Genossenschaft liegt die
Wahrheit, das Heil und die Zukunft der deutschen Kunst!"
Das Erfreuliche, Tröstliche und Hosfnungerweckende in die-
ser Rede ist, daß die Ideale und das Dasein, Beide mit
gleichem Rechte überall darin betont werden. Dieser gesunde

Geist war auch nicht möglich, wenn man es mit etwas Gemach-
tem zu' thun gehabt hätte. Mit Recht hebt also der Redner
hervvr, daß die Genossenschaft geworden ist. Und dieses Factum
wird vor der Hand alle Fragen, wozu denn dieselbe da sei, zu-
rückweisen. Aber auch nur vor der Hand. In ihrer Fortent-
wicklung wird diese Genossenschaft zu zeigen haben, daß sie die
höhere geistige Seite ihrer Eristenz in Pflege und sich zu Herzen
nimmt. Eine derartige Andeutung liegt in den Worten des
Redners, daß die Ausstellung selber die belehrendste Schule ist.
Allerdings bietet sie dem Einzelnen die Gelegenheit, sich und sein
Kunstvermögen unter andern Vergleichungspunkten und andern
Bedingungen zu betrachten, als sie bei einer gewöhnlichen öffent-
lichen Ausstellung gegeben, werden. Ob ein Kunstwerk sich in
anderer Beleuchtung, als in welcher es geschaffen worden, ob es
sich in anderer Umgebung, ob es sich endlich in einer größeren
Fülle anderer künstlerischer Erzeugnisse und wie es sich behaupte,
davon ist nicht allein die Rede; sondern ganz besonders ist da-
nach die Frage, welchen Platz es in der Gesammtentwicklung der
deutschen Kunst auszufüllen vermag. Die Frage des denkenden
Betrachters, der in den Glaspalast tritt, geht nicht sowohl an
den Einzelnen, sie ergeht an die Künstlerschaft der Nation, und
der einzelne Künstler fühlt, daß er für sein Theil dieser Frage
gerecht zu werden habe. So ist es uns auch in der That be-
gegnet, daß wir wackere Künstler, die wir mit Ehren nennen,
haben kleinlaut werden sehen, nachdem sie von ihren Werken im
Glaspalaste kamen und das Gewicht dieser unausgesprochenen
Frage gefühlt hatten. Aber gerade diese — dünkt uns — sind
nicht die Letzten, auf welche wir in Zukunft zu rechnen haben.
Sie werden zugleich inne geworden sein, daß auch andere Werke
als die ihrigen der gewichtigeren Frage mit minderer Wirkung
entgegentraten, als ihnen bisher zugestanden worden; und so
glauben wir den Redner richtig zu interpretiren, wenn er das
die belehrende Schule dieser Ausstellung nennen will, daß der
Einzelne mit seinem größern Zwecke, mit seiner erweiterten An-
schauung wächst.
Ob sich aber aus dieser Ausstellung, ob sich aus dem Ge-
nossenschaftsleben der deutschen Künstler eine deutsche Schule
entwickeln werde, wie der Redner hofft, und in welchen Formen,
in welcher Bedeutung sie etwa auftreten könnte — das muß sich
historisch darlegen. Wir wagen hier keine Muthmaßungen zu
machen. Möglich, daß, nach den Worten des Redners, die
deutsche Kunst an dem Mangel an äußerer Centralisation leidet,
gewiß aber, daß sie bisher durch diesen Mangel nicht litt.
Wir können hauptsächlich von zwei Schulen in Deutschland reden,
von der Düsseldorfer und der Münchner.* Außerdem
muß die Wiener Schule genannt werden. Berlin hat (unter
Wach) nur den Anlauf zu dem genommen, was man eine
Schule zu nennen pflegt. Dagegen läßt sich sehr von einer
Berliner Bildhauerschule reden, welche wieder zu dem an-
ziehendsten und lehrreichsten Vergleich mit der Münchner Bild-
hauerschule herausfordert. Der eingehenden Betrachtung ergeben
sich noch andere Thätigkeitsgruppen, ohne daß wir darauf die
Bezeichnung einer Schule in dem gebräuchlichen Sinne des Wortes
anwenden möchten. Das aber möchten wir behaupten, daß von
einer deutschen Schule immer nur als von einem ideell Gemein-
samen die Rede sein kann. Wir glauben, man muß sich vor Allem
hüten, diese Einigung zu einer deutschen Schule in der Aushebung
der einzelnen Schulen, in der äußern Vereinigung zu suchen. Die
äußere Centralisation als solche ist der Segen nicht, sie kann
ihn nur mit sich führen. Den deutschen Geist zu er-
* Ein geschätzter Mitarbeiter brachte Jahrg. IV. S. 331 eine inter-
essante Vergleichung dieser beiden Schulen.
 
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