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CH. W. E. Dietrich*, Ioh. Christ. Klengel, der Landschafter,
Anton Grass, der Portraitmaler, und Andere. Alle halten das
gemein, daß sie die Notwendigkeit einer Reform fühlten, daß sie
je nach ihrer Begabung ein reineres, von der Manier sich ab-
wendendes Streben verfolgten. Keiner aber hatte, bei aller ach-
tungswerthen Leistungsfähigkeit, bei allem Talente und Fleiße
ras Genie, welches mit überzeugender Gewalt that, was Winckel-
mann nur lehrte. Anton Raphael Mengs drückt am voll-
kommensten die künstlerischen Zustände seiner Zeit aus. Mit
einem gewissen Maß von Talent begabt, welchem fremde Zucht
— nicht die Selbstzucht, in welche das Genie sich selber nimmt —
einen unermüdlichen Fleiß angewöhnte, gewinnt er die klare An-
sicht von der Notwendigkeit eines neuen Princips, eines neuen
Systems, und zeigt in einem langen, thatenreichen Leben die nie
endende Bemühung, dieses in die Erscheinung zu rufen. Hier
aber mangelte die Kraft und Originalität des Genies. Daher
verfiel er in Eklekticismus, und mit je größerem. Ernst und je
größerer Anstrengung er Rafael, Correggio und Tizian in sich zu
vereinen suchte, um desto deutlicher hat er seinen Nachfolgern die
Unmöglichkeit seines Vorhabens gemacht.
Sein Zeitgenosse, der oben genannte Dietrich, war ganz
derselbe Eklektiker auf dem Gebiete des Genre's, der Mengs auf
dem der Historie war. Er malte und radirte hauptsächlich nach
den Mustern der Niederländer. Vielleicht mit mehr Talent; da-
für aber mit weniger bewußter Einsicht und ohne die theoretische
Wirksamkeit, welche Mengs durch selbstverfaßte oder veranlaßte
Schriften ausübte und in denen er vielfach mit den Bestrebungen
seines Freundes Winckelmann zusammentraf. Mit dem neuen
Verständnis; des Alterthums, welches aus diesen Schriften quoll,
trat die Ueberzeugung von der Notwendigkeit ein, an den Quel-
len desselben so wie an denen der Natur unmittelbar zu schöpfen.
Als glänzendes Zeugniß für die Nichtigkeit dieses Weges
stand nunmehr auch die in den fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts in Dresden * begründete Sammlung der Meister-
stücke italienischer Großmeister da. Man sah ein, daß man nicht
nur auf ihre Thaten zu schwören, sondern auch ihre Wege zu
gehen hatte.
Vor den Augen der Alten lag die uralte Lehrerin der Kunst,
die Natur unverschleiert da. Sie hatten die Vermählung des
Geistes mit derselben zu feiern verstanden, und ihr Kind war
die „unsterbliche Form." Das Alterthum war verschüttet, der
Natur waren die Thore der Akademieen verschlossen, der Geist ging
auf anderen Bahnen. Nun erwachte in ihm die Sehnsucht, sich wieder
nicht nur in den Gedanken lebendig zu wissen, sondern auch in den
Formen gegenwärtig zu sehn. Es ist angedeutet worden, wie die
Herrlichkeit des neuerstandenen Alterthums schon auf die Geister
wirkte, ehe noch das Können es weiter zu bringen vermochte, als
zu einem unklaren Streben. Bevor wir vom endlichen Durch-
bruch reden, haben wir noch kurz das Verhältniß der damaligen
Künstler zur Natur zu betrachten. Es ist erklärlich, daß ihr die
Landschafter am treuesten waren, wenn sorgfältiges Abschreiben
ihrer äußern Form Treue genannt werden darf. In diesem Sinne
schuf der oben angeführte Klengel, der sogar seine Kupferplat-
ten mit hinausnahm, um seine Korn- und Kartoffelfelder und
seine Heuerndten recht unmittelbar zu kopiren. So war auch
Pascha Weitsch, der zuerst Sergeant war, von seinem Major
zum Maler kommandirt worden, und während er seine Viehstücke
auch aus zweiter, meist aus Potter's Hand nahm, lieferte er seine
Eichenwälder und Landschaften, welche übrigens in der Beobach-
tung der Linearperspektive fehlerlos sind, nach den besten Baum-
exemplaren und den Gegenden um Braunschweig und Salzdah-
*Vgl. über ihn Schorn im VII. Jahrg. S. 31.
lum. Gewissenhaft malte er den Hintergrund aus, wenn ihn auch
hernach die Bäume des Vordergrundes bedeckten.
Aber, um gleich den größten damaligen deutschen Land-
schafter zu nennen, dem seine Zeit nicht anstand überhaupt
die erste Stelle auf diesem Gebiete einzuräumen, und der euro-
päischen Berühmtheit genoß: auch Philipp Hackert wußte sich
in kein anderes Verhältniß zur Natur zu setzen, als ihr gewissen-
hafter Nachahmer zu werden. Er kam über die Theorien Sul-
zer's, dem er viel von seiner Bildung verdankte, in der Praxis
nicht hinaus. Er hatte sich, anfänglich als Dekorationsmaler be-
schäftigt, viel technische Fertigkeit erworben, dann mit vielem Fleiße
Claude Lorrain, Swanefeld, Moucheron, Berghem und Asselyn
kopirt, endlich, nachdem er die Normandie und Picardie in klei-
nen, damals beliebten Guache-Landschaften abgeschrieben, in Ita-
lien ein so gewissenhaftes Studium Angesichts der Natur verfolgt,
wie es seit Claude nicht mehr erlebt war; er hatte bei rastloser
Thätigkeit in Oel-, Leim-und Wasserfarben so wie in Sepia nicht
bloß eine unglaubliche Anzahl von Werken geliefert, sondern durch
Lehre und Mittheilung viel zur Verbreitung der Liebhaberei an
der Landschaftsmalerei beigetragen. Man muß ihm zugestehn,
daß er sie wirklich gefördert hat; aber — nur in der Breite, nicht
in der Tiefe; nur nach der Seite der Vedute hin. Freilich diente
dies als nützliche Unterlage zu dem Weilern Schritt, den diese
Kunst zu thun hatte; aber sie war es noch nicht selber. Hackert
konnte ihren Geist nicht umfassen. Er giebt in den einzelnen
Theilen treue Copien der Natur, aber es fehlt das geistige Band;
er vermochte kein durchweg harmonisches, von einem Gedanken
beseeltes Ganzes zu bilden. Immerhin gehört er zu den geachteten
Vorkämpfern einer bessern Richtung, der auf die Natur zurück-
wies. —
In einem beschränkteren Kreise, in diesem aber desto einheit-
licher und tiefer, wirkte, mehr als Freund und Verehrer der
Natur, denn als ihr Copist, Ferd. Ko bell (1740—99), dessen Ta-
lent auch darin begrenzt war, daß er mehr mit der Radirnadel
den Formen, als mit dem Pinsel den Farbenwirkungen nachzu-
gehn berufen war. Seine zahlreichen Blätter, welche die heimische
Natur in ihrer größten Stille und Einfachheit und ihre Verbin-
dung mit dem schlichtesten menschlichen Verkehr darstellen, geben,
was bei Hackert vermißt wird, ein abgerundetes künstlerisches
Ganze, worin sich eine entschiedene Stimmung ansspricht.
Nothwendig mußte ihn dies zur Befreiung von der Vedute
führen, der er fast nie huldigte. Er studirte mehr mit dem Auge,
als mit der Hand. Der beiläufige Zug von Convention, welcher
manche seiner Arbeiten durchzieht, wird überwogen von der freien
Naturwahrheit. Und zwar in höherem Grade, als dies bei seinem
achtbaren Zeitgenossen Salomon Geßner der Fall war.
Eine ähnliche Erscheinung wie Kobell auf dem landschaft-
lichen, ist Daniel Chodowieckp (1726—1801) auf dem figürlichen
Gebiete. Auch er wandte sich an die ihn umgebende menschliche
Natur und wußte sie mit unnachahmlicher Naivetät und Schärfe
zu erfassen. Jeden Stand vom niedrigsten Bettler bis zum Fürsten,
studirte er in seinen eigentümlichsten Exemplaren. Und wie er
einerseits zum schärfsten Physiognomiker wurde (er illustrirte auch
Lavater's Physiognomik), so genügte ihm andererseits nicht die
bloße Darstellung von Charakteren aller Art, sondern er fertigte
seine zahlreichen Compositionen, die bekanntlich meist in kleinen
Kupferstichen und Radirungen bestehen, mit theils moralischer, meist
aber satyrischer Tendenz. Man erinnere sich, wie in der Zeit
seiner Blüthe kein Roman, kein Taschenbuch ohne ihn erscheinen
konnte; „mit Kupfern von Chodowiecky" war nicht nur ein ganz uner-
läßlicher Beisatz, sondern in vielen Fällen dasjenige, was dem Buche
ausschließlich Werth gab, — und zwar schon in den Augen seiner
Zeitgenossen, nicht nur in unfern, die wir unter den todten Blät-
CH. W. E. Dietrich*, Ioh. Christ. Klengel, der Landschafter,
Anton Grass, der Portraitmaler, und Andere. Alle halten das
gemein, daß sie die Notwendigkeit einer Reform fühlten, daß sie
je nach ihrer Begabung ein reineres, von der Manier sich ab-
wendendes Streben verfolgten. Keiner aber hatte, bei aller ach-
tungswerthen Leistungsfähigkeit, bei allem Talente und Fleiße
ras Genie, welches mit überzeugender Gewalt that, was Winckel-
mann nur lehrte. Anton Raphael Mengs drückt am voll-
kommensten die künstlerischen Zustände seiner Zeit aus. Mit
einem gewissen Maß von Talent begabt, welchem fremde Zucht
— nicht die Selbstzucht, in welche das Genie sich selber nimmt —
einen unermüdlichen Fleiß angewöhnte, gewinnt er die klare An-
sicht von der Notwendigkeit eines neuen Princips, eines neuen
Systems, und zeigt in einem langen, thatenreichen Leben die nie
endende Bemühung, dieses in die Erscheinung zu rufen. Hier
aber mangelte die Kraft und Originalität des Genies. Daher
verfiel er in Eklekticismus, und mit je größerem. Ernst und je
größerer Anstrengung er Rafael, Correggio und Tizian in sich zu
vereinen suchte, um desto deutlicher hat er seinen Nachfolgern die
Unmöglichkeit seines Vorhabens gemacht.
Sein Zeitgenosse, der oben genannte Dietrich, war ganz
derselbe Eklektiker auf dem Gebiete des Genre's, der Mengs auf
dem der Historie war. Er malte und radirte hauptsächlich nach
den Mustern der Niederländer. Vielleicht mit mehr Talent; da-
für aber mit weniger bewußter Einsicht und ohne die theoretische
Wirksamkeit, welche Mengs durch selbstverfaßte oder veranlaßte
Schriften ausübte und in denen er vielfach mit den Bestrebungen
seines Freundes Winckelmann zusammentraf. Mit dem neuen
Verständnis; des Alterthums, welches aus diesen Schriften quoll,
trat die Ueberzeugung von der Notwendigkeit ein, an den Quel-
len desselben so wie an denen der Natur unmittelbar zu schöpfen.
Als glänzendes Zeugniß für die Nichtigkeit dieses Weges
stand nunmehr auch die in den fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts in Dresden * begründete Sammlung der Meister-
stücke italienischer Großmeister da. Man sah ein, daß man nicht
nur auf ihre Thaten zu schwören, sondern auch ihre Wege zu
gehen hatte.
Vor den Augen der Alten lag die uralte Lehrerin der Kunst,
die Natur unverschleiert da. Sie hatten die Vermählung des
Geistes mit derselben zu feiern verstanden, und ihr Kind war
die „unsterbliche Form." Das Alterthum war verschüttet, der
Natur waren die Thore der Akademieen verschlossen, der Geist ging
auf anderen Bahnen. Nun erwachte in ihm die Sehnsucht, sich wieder
nicht nur in den Gedanken lebendig zu wissen, sondern auch in den
Formen gegenwärtig zu sehn. Es ist angedeutet worden, wie die
Herrlichkeit des neuerstandenen Alterthums schon auf die Geister
wirkte, ehe noch das Können es weiter zu bringen vermochte, als
zu einem unklaren Streben. Bevor wir vom endlichen Durch-
bruch reden, haben wir noch kurz das Verhältniß der damaligen
Künstler zur Natur zu betrachten. Es ist erklärlich, daß ihr die
Landschafter am treuesten waren, wenn sorgfältiges Abschreiben
ihrer äußern Form Treue genannt werden darf. In diesem Sinne
schuf der oben angeführte Klengel, der sogar seine Kupferplat-
ten mit hinausnahm, um seine Korn- und Kartoffelfelder und
seine Heuerndten recht unmittelbar zu kopiren. So war auch
Pascha Weitsch, der zuerst Sergeant war, von seinem Major
zum Maler kommandirt worden, und während er seine Viehstücke
auch aus zweiter, meist aus Potter's Hand nahm, lieferte er seine
Eichenwälder und Landschaften, welche übrigens in der Beobach-
tung der Linearperspektive fehlerlos sind, nach den besten Baum-
exemplaren und den Gegenden um Braunschweig und Salzdah-
*Vgl. über ihn Schorn im VII. Jahrg. S. 31.
lum. Gewissenhaft malte er den Hintergrund aus, wenn ihn auch
hernach die Bäume des Vordergrundes bedeckten.
Aber, um gleich den größten damaligen deutschen Land-
schafter zu nennen, dem seine Zeit nicht anstand überhaupt
die erste Stelle auf diesem Gebiete einzuräumen, und der euro-
päischen Berühmtheit genoß: auch Philipp Hackert wußte sich
in kein anderes Verhältniß zur Natur zu setzen, als ihr gewissen-
hafter Nachahmer zu werden. Er kam über die Theorien Sul-
zer's, dem er viel von seiner Bildung verdankte, in der Praxis
nicht hinaus. Er hatte sich, anfänglich als Dekorationsmaler be-
schäftigt, viel technische Fertigkeit erworben, dann mit vielem Fleiße
Claude Lorrain, Swanefeld, Moucheron, Berghem und Asselyn
kopirt, endlich, nachdem er die Normandie und Picardie in klei-
nen, damals beliebten Guache-Landschaften abgeschrieben, in Ita-
lien ein so gewissenhaftes Studium Angesichts der Natur verfolgt,
wie es seit Claude nicht mehr erlebt war; er hatte bei rastloser
Thätigkeit in Oel-, Leim-und Wasserfarben so wie in Sepia nicht
bloß eine unglaubliche Anzahl von Werken geliefert, sondern durch
Lehre und Mittheilung viel zur Verbreitung der Liebhaberei an
der Landschaftsmalerei beigetragen. Man muß ihm zugestehn,
daß er sie wirklich gefördert hat; aber — nur in der Breite, nicht
in der Tiefe; nur nach der Seite der Vedute hin. Freilich diente
dies als nützliche Unterlage zu dem Weilern Schritt, den diese
Kunst zu thun hatte; aber sie war es noch nicht selber. Hackert
konnte ihren Geist nicht umfassen. Er giebt in den einzelnen
Theilen treue Copien der Natur, aber es fehlt das geistige Band;
er vermochte kein durchweg harmonisches, von einem Gedanken
beseeltes Ganzes zu bilden. Immerhin gehört er zu den geachteten
Vorkämpfern einer bessern Richtung, der auf die Natur zurück-
wies. —
In einem beschränkteren Kreise, in diesem aber desto einheit-
licher und tiefer, wirkte, mehr als Freund und Verehrer der
Natur, denn als ihr Copist, Ferd. Ko bell (1740—99), dessen Ta-
lent auch darin begrenzt war, daß er mehr mit der Radirnadel
den Formen, als mit dem Pinsel den Farbenwirkungen nachzu-
gehn berufen war. Seine zahlreichen Blätter, welche die heimische
Natur in ihrer größten Stille und Einfachheit und ihre Verbin-
dung mit dem schlichtesten menschlichen Verkehr darstellen, geben,
was bei Hackert vermißt wird, ein abgerundetes künstlerisches
Ganze, worin sich eine entschiedene Stimmung ansspricht.
Nothwendig mußte ihn dies zur Befreiung von der Vedute
führen, der er fast nie huldigte. Er studirte mehr mit dem Auge,
als mit der Hand. Der beiläufige Zug von Convention, welcher
manche seiner Arbeiten durchzieht, wird überwogen von der freien
Naturwahrheit. Und zwar in höherem Grade, als dies bei seinem
achtbaren Zeitgenossen Salomon Geßner der Fall war.
Eine ähnliche Erscheinung wie Kobell auf dem landschaft-
lichen, ist Daniel Chodowieckp (1726—1801) auf dem figürlichen
Gebiete. Auch er wandte sich an die ihn umgebende menschliche
Natur und wußte sie mit unnachahmlicher Naivetät und Schärfe
zu erfassen. Jeden Stand vom niedrigsten Bettler bis zum Fürsten,
studirte er in seinen eigentümlichsten Exemplaren. Und wie er
einerseits zum schärfsten Physiognomiker wurde (er illustrirte auch
Lavater's Physiognomik), so genügte ihm andererseits nicht die
bloße Darstellung von Charakteren aller Art, sondern er fertigte
seine zahlreichen Compositionen, die bekanntlich meist in kleinen
Kupferstichen und Radirungen bestehen, mit theils moralischer, meist
aber satyrischer Tendenz. Man erinnere sich, wie in der Zeit
seiner Blüthe kein Roman, kein Taschenbuch ohne ihn erscheinen
konnte; „mit Kupfern von Chodowiecky" war nicht nur ein ganz uner-
läßlicher Beisatz, sondern in vielen Fällen dasjenige, was dem Buche
ausschließlich Werth gab, — und zwar schon in den Augen seiner
Zeitgenossen, nicht nur in unfern, die wir unter den todten Blät-