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denen Vorreden der neuen plattdeutschen Literatur gegen vermeint-!
»
liche Feinde erheben. Da heißt es, dieselbe wäre nicht für jene j
schon oben erwähnten Dunstmenschen, nicht für blasirte Egoisten mit
der vornehmen Etiquette des orii profanum vulgus an der Stirn,
nicht für die, welche Oden und Dithhrambenton oder Sentimenta-
lität der modernen Lyrik lieben. Als ob für dergleichen Leute über-
haupt irgend eine gesunde poetische Literatur wäre? Als ob nicht
jedes für Poesie empfängliche Gemüth immerdar dem ächten Dichter
weit geöffnet stünde, auch wenn ihm sein Herz cingiebt, in einer be-
sondern Mundart zu schreiben? — Und dann geht es an ein Loben!
des plattdeutschen Dialekts, meist ungerechter Weise auf Kosten der
hochdeutschen Sprache. Als ob im Dialekt allein der ganze Zauber
der Dichtkunst stäke. Der Dialekt wird Euch nicht erheben, Ihr
sollt den Dialekt erheben, dadurch daß Ihr zeiget, er ist ein Metall,
aus dem sich eine wohlklingende Glocke gießen läßt. Wozu auch der
Krieg gegen blinde Dialekt-Verächter, da jeder Andere dankbar
nimmt, wenn nur etwas Rechtes gegeben wird. Ist das Platt-
deutsche denn so voll Reichthum und Herrlichkeit, wohlan so zeiget
es. Aber es wird Niemandem gelingen, der dazu nicht eine reiche
und herrliche Seele mitbringt. Und damit sind wir wieder bei Klaus
Groth angelangt, von dessen näherer Betrachtung uns nichts länger
abhalten soll, weder das „Plattdeutsche Konfect" von A. Dräger,
Anclam bei Dietze, wovon nichts taugt, als die Schüssel, d. h. die
plattdeutschen Sprichwörter, womit jede Seite des Buchs eingerahmt
ist, noch die „Gedichte in plattdeutscher Mundart" von Gustav!
Jung, aus der Priegnitz, Berlin, I. A. Wohlgemüth. 1855, ein
sehr schwacher Nachahmer von Bornemann, dessen immerhin gut ge-
meinte Sachen ohne alle Spur von Poesie sind — ahnwaddig Tüg,
wie die Plattdeutschen sagen würden.
Erquicken wir uns also an Klaus Groth. Hier eine Probe
seiner Naturschilderung:
Dat Dörp in Snee.')
Still as ünnern warme Dek
Liggt dat Dörp in witten Snee,
Mank -) de Ellern stoppt de Bek2),
Unnert Js de blanke See.
Micheln '•) fiat in Witte Haar,
Spegelt slapri all de Köpp,
All is rnhi, kold un klar,
As de Dod, de ewi stoppt.
Mit, so wit de Ogen reckt,
Nich en Leben, nich en Lnt;
Blan nan blauen Heben •') treckt
Sach de Rok") nan Snee hernt.
Jk much slapen, aS de Bom,
Sünner Weh und sünner Lust,
Doch dar treckt mi as in Drom
Still de Rok to Hus.
Und dieselbe Hand, die diese feine Winterlandschaft, diesen zier-
lichen Koekkoek gemalt hat, versteht es, die großartigen Naturerschei-
nungen mit einer seltenen Gewalt zu schildern; so ist z. B. das
Herannahen der Fluth, der sich zwei Jäger, die bei Hellem schönem
Wetter aus die Jagd gehen, nur mit der größten Anstrengung und
der äußersten Noth entziehen, in so lebendigen Farben dargcstellt,
daß wir es mit zu erleben meinen.
Und gerade so geht es wieder mit den Genrebildern. Es sind
die lieblichsten Meyerheims in den „Familienbildern" neben einem
Schlachtengemälde, welches Adam nicht glänzender und ergreifender
schildern könnte. Wir können es uns nicht versagen, von beiden
') Das Dorf im Schnee — 2) zwischen — 2) Bach — ') Weiden —
5) Himmel — e) Ranch.
Arten zwei Bilder vorzusühren. — Es ist Sonntagmorgen. Das
ganze Haus ist draußen ans dem Felde oder in der Kirche; nur der
Großvater und sein Enkel sind zu Hause. (S. 153.)
Dar seet de Ol — de Been vaerkrüz ') an Abend,
De Nachmütz keek man eben nt den Laehnstohl,
Iln heel dat Bok, dat jüs de Sünn darop schin.
Sin Enkel siunn mit beide Arms opt Laehnelsch
Un keek mit in un seeg ein aewer de Schüller.
De Ol weer ganz verdeept un röhr de Lippen
Un jag de Flegen dann un wann vnnt Bok;
Nieschierig folg de Jung dat mit de Ogen
Un mak den Hals so lank, as wull he't eten.
De Sünnschin full em op sin blanke Back
Un spel as Gold em in de gelen Haar.
So steiht int Holt en Martjen bi en Stubben: -)
Op beide fallt de Süun un beide drömt —
Bun Lust un Glück de Een — vum Dod de Anner.
Dat weer ok ebn so rnhi as int Holt,
Man hör den Kater sagen 2) ünnern Abend,
De Steilitsch 4) wett sin Snawel anne Wiern 5)
Un knapp de Korns nn strei dat Slnfc) herum,
Steek denn den bunten Kopp hernt nt Bur,
Un keek sik um so listi as en Hahn,
Denn dalwarts '), trock 8) sin Fingerhot herop
Un drunk un leet em falln nn gluplJ) em na.
Aber man muß es lesen, wie sich an dieses Bild sogleich ein
anderes reiht, wo die Hausgenossen eintreten, den Kaffee miteinan-
der genießen und vom Auswandern reden. Wie dann später das
Schicksal Heinrichs, des kleinen Enkels, weiter erzählt wird, wie er
sich in der Welt umsieht u. s. w., bis endlich schon von seinem Sohn
die Rede sein kann. In dieser Kette von Familienbildern kommt
auch eine Schlachtenschilderung vor. Da heißt es (S. 169):
Do keemn se längs de Weg a8 kecm de Floth,
Un Per,u) und Minsch und Köpp un Arms un Säwels —
As wülter ") sik en Wagg >2) den Strand herop —
Dat mutt noch mit, dar kann keen Trippen ,3) wikeu,
Dats all een Klumpen vuller Schum nn Wüth,
De Per as rasend, und de Minschen baben,
As flüggt en Koppel Kreiden ") vaer en Storm —
De armen Lüd! — wat hölpt? — se müssen raf —
Wi siunn' as Pahlen — „Für!" dar fulln se hin,
As pnß en Wind dat Hackelsch '°) vun en Tel.
Wer störtt, de liggt; wi Annern blivt '^) der na,
Un gat der stramm hendaer, daer Dick un Dünn
Un Küll un Hitt — de Hitten is dat Slimmste,
Wenn man vaer Dörst nix Anners denken kann:
Denn geit man redi ,s) drömn mit waken Ogen
Un siiht un hört un denkt man jümmer: Water!
Aber ebenso bewunderungswürdig als Groth die Schilderung,
das Descriptive in seiner Gewalt hat, ebenso gut handhabt er die
Lyrik, das längere erzählende Gedicht, die knappe Ballade; z. B.
(S. 254):
Se is doch de stillste vun alle to Kark!
Se is doch de schönste vun alle to Mark!
So weekli, so bleekli, un de Ogen so grot,
So blau as en Heben un deep as en Sot.
Wer kikt wul int Water, nn denkt ui sin Deel?
Wer kikt wul nan Himmel, un wünscht sik ui vel?
Wer süht er in Ogen, so blau un so fram,
Un denkt ui an Engeln, und allerhand Kram?
') kreuzweise — -) ein Marienblümchen bei einem Baumstumpf — 3) sä-
gen, figürl. schnarchen — '-) Stieglitz — 5) Eisendraht — f-) Samenhülsen —
') hernnterwärts — 8) zog — mit großen Augen nachblicken — '») Pferde
— ") wälzte — Woge — 13) Tropfen — Hanfe Krähen — '->) fielen
— Häcksel — O bleiben — 18) förmlich.
denen Vorreden der neuen plattdeutschen Literatur gegen vermeint-!
»
liche Feinde erheben. Da heißt es, dieselbe wäre nicht für jene j
schon oben erwähnten Dunstmenschen, nicht für blasirte Egoisten mit
der vornehmen Etiquette des orii profanum vulgus an der Stirn,
nicht für die, welche Oden und Dithhrambenton oder Sentimenta-
lität der modernen Lyrik lieben. Als ob für dergleichen Leute über-
haupt irgend eine gesunde poetische Literatur wäre? Als ob nicht
jedes für Poesie empfängliche Gemüth immerdar dem ächten Dichter
weit geöffnet stünde, auch wenn ihm sein Herz cingiebt, in einer be-
sondern Mundart zu schreiben? — Und dann geht es an ein Loben!
des plattdeutschen Dialekts, meist ungerechter Weise auf Kosten der
hochdeutschen Sprache. Als ob im Dialekt allein der ganze Zauber
der Dichtkunst stäke. Der Dialekt wird Euch nicht erheben, Ihr
sollt den Dialekt erheben, dadurch daß Ihr zeiget, er ist ein Metall,
aus dem sich eine wohlklingende Glocke gießen läßt. Wozu auch der
Krieg gegen blinde Dialekt-Verächter, da jeder Andere dankbar
nimmt, wenn nur etwas Rechtes gegeben wird. Ist das Platt-
deutsche denn so voll Reichthum und Herrlichkeit, wohlan so zeiget
es. Aber es wird Niemandem gelingen, der dazu nicht eine reiche
und herrliche Seele mitbringt. Und damit sind wir wieder bei Klaus
Groth angelangt, von dessen näherer Betrachtung uns nichts länger
abhalten soll, weder das „Plattdeutsche Konfect" von A. Dräger,
Anclam bei Dietze, wovon nichts taugt, als die Schüssel, d. h. die
plattdeutschen Sprichwörter, womit jede Seite des Buchs eingerahmt
ist, noch die „Gedichte in plattdeutscher Mundart" von Gustav!
Jung, aus der Priegnitz, Berlin, I. A. Wohlgemüth. 1855, ein
sehr schwacher Nachahmer von Bornemann, dessen immerhin gut ge-
meinte Sachen ohne alle Spur von Poesie sind — ahnwaddig Tüg,
wie die Plattdeutschen sagen würden.
Erquicken wir uns also an Klaus Groth. Hier eine Probe
seiner Naturschilderung:
Dat Dörp in Snee.')
Still as ünnern warme Dek
Liggt dat Dörp in witten Snee,
Mank -) de Ellern stoppt de Bek2),
Unnert Js de blanke See.
Micheln '•) fiat in Witte Haar,
Spegelt slapri all de Köpp,
All is rnhi, kold un klar,
As de Dod, de ewi stoppt.
Mit, so wit de Ogen reckt,
Nich en Leben, nich en Lnt;
Blan nan blauen Heben •') treckt
Sach de Rok") nan Snee hernt.
Jk much slapen, aS de Bom,
Sünner Weh und sünner Lust,
Doch dar treckt mi as in Drom
Still de Rok to Hus.
Und dieselbe Hand, die diese feine Winterlandschaft, diesen zier-
lichen Koekkoek gemalt hat, versteht es, die großartigen Naturerschei-
nungen mit einer seltenen Gewalt zu schildern; so ist z. B. das
Herannahen der Fluth, der sich zwei Jäger, die bei Hellem schönem
Wetter aus die Jagd gehen, nur mit der größten Anstrengung und
der äußersten Noth entziehen, in so lebendigen Farben dargcstellt,
daß wir es mit zu erleben meinen.
Und gerade so geht es wieder mit den Genrebildern. Es sind
die lieblichsten Meyerheims in den „Familienbildern" neben einem
Schlachtengemälde, welches Adam nicht glänzender und ergreifender
schildern könnte. Wir können es uns nicht versagen, von beiden
') Das Dorf im Schnee — 2) zwischen — 2) Bach — ') Weiden —
5) Himmel — e) Ranch.
Arten zwei Bilder vorzusühren. — Es ist Sonntagmorgen. Das
ganze Haus ist draußen ans dem Felde oder in der Kirche; nur der
Großvater und sein Enkel sind zu Hause. (S. 153.)
Dar seet de Ol — de Been vaerkrüz ') an Abend,
De Nachmütz keek man eben nt den Laehnstohl,
Iln heel dat Bok, dat jüs de Sünn darop schin.
Sin Enkel siunn mit beide Arms opt Laehnelsch
Un keek mit in un seeg ein aewer de Schüller.
De Ol weer ganz verdeept un röhr de Lippen
Un jag de Flegen dann un wann vnnt Bok;
Nieschierig folg de Jung dat mit de Ogen
Un mak den Hals so lank, as wull he't eten.
De Sünnschin full em op sin blanke Back
Un spel as Gold em in de gelen Haar.
So steiht int Holt en Martjen bi en Stubben: -)
Op beide fallt de Süun un beide drömt —
Bun Lust un Glück de Een — vum Dod de Anner.
Dat weer ok ebn so rnhi as int Holt,
Man hör den Kater sagen 2) ünnern Abend,
De Steilitsch 4) wett sin Snawel anne Wiern 5)
Un knapp de Korns nn strei dat Slnfc) herum,
Steek denn den bunten Kopp hernt nt Bur,
Un keek sik um so listi as en Hahn,
Denn dalwarts '), trock 8) sin Fingerhot herop
Un drunk un leet em falln nn gluplJ) em na.
Aber man muß es lesen, wie sich an dieses Bild sogleich ein
anderes reiht, wo die Hausgenossen eintreten, den Kaffee miteinan-
der genießen und vom Auswandern reden. Wie dann später das
Schicksal Heinrichs, des kleinen Enkels, weiter erzählt wird, wie er
sich in der Welt umsieht u. s. w., bis endlich schon von seinem Sohn
die Rede sein kann. In dieser Kette von Familienbildern kommt
auch eine Schlachtenschilderung vor. Da heißt es (S. 169):
Do keemn se längs de Weg a8 kecm de Floth,
Un Per,u) und Minsch und Köpp un Arms un Säwels —
As wülter ") sik en Wagg >2) den Strand herop —
Dat mutt noch mit, dar kann keen Trippen ,3) wikeu,
Dats all een Klumpen vuller Schum nn Wüth,
De Per as rasend, und de Minschen baben,
As flüggt en Koppel Kreiden ") vaer en Storm —
De armen Lüd! — wat hölpt? — se müssen raf —
Wi siunn' as Pahlen — „Für!" dar fulln se hin,
As pnß en Wind dat Hackelsch '°) vun en Tel.
Wer störtt, de liggt; wi Annern blivt '^) der na,
Un gat der stramm hendaer, daer Dick un Dünn
Un Küll un Hitt — de Hitten is dat Slimmste,
Wenn man vaer Dörst nix Anners denken kann:
Denn geit man redi ,s) drömn mit waken Ogen
Un siiht un hört un denkt man jümmer: Water!
Aber ebenso bewunderungswürdig als Groth die Schilderung,
das Descriptive in seiner Gewalt hat, ebenso gut handhabt er die
Lyrik, das längere erzählende Gedicht, die knappe Ballade; z. B.
(S. 254):
Se is doch de stillste vun alle to Kark!
Se is doch de schönste vun alle to Mark!
So weekli, so bleekli, un de Ogen so grot,
So blau as en Heben un deep as en Sot.
Wer kikt wul int Water, nn denkt ui sin Deel?
Wer kikt wul nan Himmel, un wünscht sik ui vel?
Wer süht er in Ogen, so blau un so fram,
Un denkt ui an Engeln, und allerhand Kram?
') kreuzweise — -) ein Marienblümchen bei einem Baumstumpf — 3) sä-
gen, figürl. schnarchen — '-) Stieglitz — 5) Eisendraht — f-) Samenhülsen —
') hernnterwärts — 8) zog — mit großen Augen nachblicken — '») Pferde
— ") wälzte — Woge — 13) Tropfen — Hanfe Krähen — '->) fielen
— Häcksel — O bleiben — 18) förmlich.