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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 3.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1205#0049
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d e s

Deutschen Kunstblattes.

M 12. Donnerstag, den 12. Juni. 1836.

Inhalt: Don Pedro Calderon de la Barca. II. — Zeitung.

Don Pedro Calderon de lo Dorca.

ii.

Verehrter Freund! Nachdem ich Dir zunächst den Standpunkt
gezeigt, von welchem ich die Ealderousche Muse zu betrachten ge-
neigt bin, um sowohl dem absolut ästhetischen, wie dem historischen
Prinzip der Kritik zu genügen, und meine Ansicht über das Wesen
dieser Poesie in dem ersten Briefe wo nicht ausgesprochen, so doch
sicher zu entnehmen ist, komme ich heute sogleich auf die näher be-
stimmte Betrachtung Calderon's als Dramaturgen. Ich will mich
gern bemühen, die Eigenthümlichkeit desselben möglichst unmittelbar
und von den Historikern unabhängig zu zeichnen; allein man kann
heutzutage nicht über dieselbe Nachdenken, ohne daß die Frage ihre
Anziehungskraft ausübt: woher es kommen mag, daß diese dramatische
Poesie von den Einen über alles Maas; erhoben, neben Shakespeare,
wenn nicht gar über denselben gestellt, von den Andern, zu denen
die große Mehrzahl unseres gebildeten Publikums zählt, mindestens
mit Gleichgültigkeit angesehen wird?

Gehen wir auch hier wiederum von dem aus, was sich zu-
nächst und unmittelbar dem Zuschauer darbietet: von der äußeren
Erscheinung und allen sinnlichen Elementen des Dramas. Hier
zeigt sich Calderon als ein dramatisches Genie ersten Ranges, er ist
Dramatiker durch und durch. Alle seine Stücke, (und seine
liebsten, die religiösen, am meisten,) sind drastisch, voller Leben, un-
mittelbar ans die Handlung, auf die Thatsache und deren äußer-
liche Erscheinung berechnet; fast jede Scene und noch vielmehr
die Folge derselben, die Anordnung ist darauf angelegt, ein wenn
auch nicht immer natürliches, so doch glänzendes, reiches und man-
nigfaltiges Bild des Lebens zur Erscheinung zu bringen.

Das Motiv und den Erfolg dieser auf unfehlbare und unmit-
telbarste Wirkung zielenden dramatischen Richtung begreifen wir erst
daun vollkommen, wenn wir auf das Verhältnis; des zuschaueudcn
Publikums zum Drama achten; dies war nämlich bei den Spaniern
jener Zeit ein durchaus anderes, als es bei uns und in unseren
Tagen ist.

Grade heraus gesagt, ist für uns, wenigstens für die meisten
Gebildeten unter uns, die Bühne kaum etwas anderes, als eine
bloße Ergänzung des literarischen Genusses an dramatischer
Poesie. Von der ersten Aufführung des Faust in Berlin berichtet
die Rahel in einem ihrer Briefe mit einem gewissen Jubel über die
allgemeine Theiluahme, „daß an 800 Personen im Theater gewesen
wären und sehr viele von ihnen hätten das Buch in der Hand ge-
habt und den gedruckten Text eifrig mit der Darstellung ver-
glichen." Diese gründliche Unart hat nun freilich nachgelassen, aber
noch ist die leidige Gewohnheit nicht verbannt, ein klassisches Stück,
das man am Abend sehen will, an; Tage erst noch einmal durch-

Literatur-Blait.

zuleseu. Damit ist das stillschweigende allgemeine Urtheil verknüpft,
das; nur diejenigen Stücke, welche wir von der Bühne herab nicht
vollständig begreifen, und die wir deshalb vorher oder nachher ge-
druckt Nachlesen müssen, als vollständige und vollgültige dramatische
Werke zu betrachten seien. Wie ganz anders das spanische Publi-
kum zur Zeit der Blüthe ihrer dramatischen Poesie die Sache an-
gesehen, läßt sich aus der einfachen, feststehenden Thatsache entneh-
men, das; Calderon bei seinen Lebzeiten kein einziges von seinen
(etwa 120) eigentlichen Schauspielen (mit Ausnahme der Sacra-
mentalen) hat drucken lassen,*) also muß weder er selbst noch das
Publikum irgend das Bedürfnis; nach dem dauernden Besitz und der
zu wiederholenden Lectüre seiner Dramen empfunden haben- Es er-
giebt ^sich hieraus bis zur Evidenz, daß die dramatische Kunst ein-
zig und allein aus der Bühne ihr abgeschlossenes und in sich be-
gnügtes Leben führte. Dem gemäß mögen seine Zuschauer auch
zugesehen und zugehört, sie mögen flüchtiger, aber auch frischer und
kräftiger genossen haben; und dem gemäß hat Calderon gearbeitet,
so daß sich manche Eigenthümlichkeit seiner dramatischen Schöpfun-
gen schon hieraus allein hinlänglich erklären läßt. Zunächst ist es,
wie gesagt, die plastische oder malerische Wirkung jeder einzelnen
Scene, das Ergreifende jedes einzelnen Theiles der Handlung,
woraus seine Absicht gerichtet ist; Gemüth und Aug' und Ohr in
jedem Moment gleich sehr zu fesseln und zu befriedigen, war eine
nothwendige Aufgabe. Außer der dramatischen Gestaltung des In-
halts, der Ausprägung und Anordnung der Scenen kommen daher
noch zwei andere Mittel hinzu, um diesen Zweck zu erfüllen. Vor
Allem der Reichthum und die Mannigfaltigkeit der Dekoration, der
Glanz und Zauber der Maschinerie. Weit über die Grenzen un-
serer gegenwärtigen Schauspielbühnen, selbst über unseren ausgezeich-
netsten Opernpomp ragen die Vorkehrungen der spanischen Scene
hervor; und seltsamerweise wird der größte Aufwand der äußerlich-
sinnlichen Hülssmittel gerade da gemacht, wo der Dichter sein In-
nerstes zu offenbaren sowohl Gelegenheit als Neigung hatte, uämlich
in den geistlichen Spielen. Es handelte sich also immer darum,
nicht sowohl einen dauernd tiefen, als einen augenblicklich starken
Reiz und Eindruck hervorzubringen.

Nur andeuten wollen wir, daß von hier aus einen Blick auf
Shakespeare und seine weniger klassisch als ländlich einfache Bühne
zu werfen, den Palast Buen retiro mit dem Theater in black friars
zusammenzustellen, Elemente einer erfolgreichen Vergleichung ergeben.

Das zweite der scenischen Technik zur Seite gehende Mittel,

*) Was von seinen Stücken gedruckt war, hatten nur spitzbübische Buchhänd-
ler besorgt, welche im Theater nachschreiben ließen, um diese gestohlenen Kopien
an Schauspielbanden in den kleinen Städten zu verkaufen. Diese dramatische
Kontrebande war übrigens von einer so schlechten Sorte, daß Calderon behaup-
tet, manche seiner Stücke, die ihm später zu Gesicht gekommen, kaum wieder-
erkannt zu haben.

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