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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 3.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1205#0081
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Literatur

Ntatt

des

Deutschen Kunstblattes.

M SO.

Donnerstag, den 2. Oktober.

183V.

Inhalt: Zwei Bücher von Ferdinand Gregorovins. 1. Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien. 2. Lieder des Giovanni Meli von Pa-
lermo. (Schluß.) — Brockhans' Reisebibliothek für Eisenbahnen und Dampfschiffe. — Shakespeare auf der modernen englischen Bühne. Fünfter Brief
(Antonius und Cleopatra.) ...

Zwei Züchte von Ferdinand Gregorovins.

1. Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien. — Leipzig, Brock-

haus. 1656.

2. Lieder des Giovanni Meli von Palermo. Ans dem Sicilianischen über-

setzt. — Leipzig, Brockhgns. 1856.

(Schluß.)

Wir wenden uns nun zu dem zweiten Buche desselben Ver-
fassers, zu den aus dem Sicilianischen übersetzten Liedern des Gio-
vanni Meli.

- Wer den trinakrischen Boden betreten und auch nur flüchtig
nach der Literatur des Landes gefragt hat, dem ist der Name Meli
bekannt geworden: die Sicilianer empfehlen ihn dem Fremden mit
patriotischem Stolz, die Straßenantiquare verkaufen seine Werke, die
Fischer im Golf von Palermo, vom Fang des Thunfisches hcim-
kehrend, singen seine- Lieder, die Winzer am Fuß des Monte Pcllc-
grino lassen sie in schwermüthig gedehnten Tönen vom Geklüft des
Berges wiederhallen. Und doch-haben auch die literarischen Besucher
Sicilienö bisher keine nähere Notiz von diesem Dichter genommen,
wenigstens haben sie daheim nichts von ihm berichtet, während na-
mentlich wir Deutsche doch sonst so leicht mit Uebersetzungen bei der
Hand sind. In England indeß soll Meli schon Eingang gefunden
haben, wo man ihn den Burns Siciliens nennt. Gregorovins hat
nun das Verdienst, der Erste zu sein, der ihn in Deutschland ein-
führt. Mit Recht sagt er, daß wir Deutsche mehr als jede andere
Nation eine bleibende Vermittelung mit der Poesie jenes schönen
Siciliens haben, dessen Herrscher und Sänger zugleich unsre eignen
Hohenstaufen waren — ein schönes Band der Freundschaft und ein
heimisches Gefühl für jenes Land, welches der Deutsche vor dem
Sarkophage Kaiser Friedrichs in. Palermo lebhaft empfindet.

Meli hat in sicilianischer Mundart geschrieben, die nach dem
Zugeständnis; des Uebersetzers für ein toscanisch gewöhntes Ohr etwas
durchaus Fremdes und Verwildertes hat. Sie steht vom Hochita-
lienischen noch weiter ab, als der Dialect von Neapel und der von
Calabrien, welcher zwischen dem Neapolitanischen und Sicilischen
die Mitte einnimmt. Alle drei Mundarten sind sich nahe verschwistert,
sie sind eben die drei größern Sprachzweige von Süditalien, Misch-
linge aus dem Italienischen, Griechischen, Arabischen und Spanischen-
Aber in allen diesen Dialecten hat das Italienische eine große Ueber-
wältigungskraft gegen die fremden Zusätze bewiesen. Das Sicilische
zeigt einen auffallenden Eontrast von Rauheit und Sanftheit; es
ist ebenso hart klingend als wieder ungemein weich und graziös, so,
daß es oft an das Venetianische erinnert. Die Sicilianer selbst be-
trachten ihre Sprache nicht als Dialect, sondern als eine eigene
Sprache. Auch haben sie in derselben eine vollständige Literatur
auszuweisen, deren Geschichte, der Uebersetzer uns in kurzen Zügen

Literatur-Blatt.

vorführt. Sie hat drei Blütheperioden gehabt, die erste im 12. u.
13. Jahrhundert, die Zeit der normännischen und schwäbischen Herr-
schaft, die zweite im 16. u. 17. Jahrhundert, in welcher die An-
regung von Italien ausgiug, wo die Dichtkunst ihr -goldenes Zeit-
alter feierte, und die dritte am Schluß und am Anfänge der beiden
letzten Jahrhunderte, welcher Giovanni Meli, als Gipfel dieser
Literaturperiode, angehört. Die sicilianischen Dichter haben sich zu
Zeiten freilich auch des Hochitalienischen, ja des Spanischen und
Lateinischen bedient; doch sind sie immer wieder zu der, ihrer Hei-
math eigenthümlichen Mundart zurückgekehrt. Meli'nuu ist, wie
der Uebersetzer iu der historischen Einleitung sagt, „der eigentliche
Nationaldichter Siciliens im vollen Sinne des Worts, der für jene
Insel das ist, was Dante, Tasso, Ariosto und Petrarca für das
italienische Festland-bedeuten. Seine Poesien sind das allgemeine
Erbauungsbnch des sicilischen Volks, in dem es sein nationales
Wesen, seine Natur und Cnltur von den Hellenen .bis auf das
19. Jahrhundert, seinen Ruhm wie sein Elend iu einem poetischen
Spiegelbilde wieder erkennt. In Meli's Gesängen hat Sicilien wie
seinen Ausdruck so seine Schutzwehr gegen die Zwingherr sch ast Nea-
pels gefunden; denn sie sind in ihrer populären Verbreitung mehr
noch als cs die patriotische Wissenschaft sein kann, ein ideeller Act
der nationalen Befreiung und Absonderung Siciliens von dem ver-
haßten Neapel."

Meli wurde im Jahre 1740 in Palermo geboren, und starb
dort im Jahr 1815. Er studirte Medicin und beschäftigte sich eifrig
mit der Philosophie Wolfs, welche damals auch in das heiße Si-
cilien gedrungen war. Seine naturwissenschaftlichen und philosophi-
schen Studien schimmern deshalb in vielen seiner Gedichte durch,
in denen er im Sinne der damaligen Zeit moralische Fragen didac-
tisch und scherzhaft behandelt hat. Unter den Gönnern, die er sich
bald erwarb, war der Prinz Antonio Lucchcsi Palli von Campo-
franco, ein glühender Patriot, welcher den jungen Dichter in die
literarische Academie hineinzog, die er in seinem Palast zu Palermo
um sich versammelte. Meli griff in die Sprachfülle des heimischen
Dialects. Er studirte seine berühmtesten Vorgänger Veucziano und
Rao, und noch mehr lernte er vom Volke selbst auf der Gasse und
auf dem Markte. In ihm sind Theokrit, Sophron und Anakreon
in romanischem Gewände wieder lebendig geworden, nicht als Lobte
arcadische Spielereien, sondern als wirkliche Lebensäußerungen des
sicilischen Wesens. Wenn ein Dichter je das Recht gehabt hat,
theokritische Idyllen zu dichten und seinem Volke zur Erquickung dar-
zubieten, so war es, wie der Uebersetzer bemerkt, ein Dichter in
Sicilien, dem Vaterlande der Hirtenpoesie. Die Thäler und brau-
nen Berge von Enna und Segesta, die grünenden Abhänge des
Aetna sieht man mit rothen, hochgehörnten Rindern bedeckt, und

die Hirten, in Felle gekleidet, unter ihren Schafen und Ziegen in

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