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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 3.1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.1205#0083
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„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,

Sie bleibt geweiht für alle Zeiten"

praktisch zu erschöpfen.

Wie wenig Neues wir also auch erfahren, die Pietät (und
diese spricht sichtlich auch aus dem Verfasser) findet das Alte nim-
mer alt; die Erinnerung und die Religuie bleiben ewig jung; und
die Liebe zu führen, ist immer eine dankbare Mühe!

Mit Recht hat der Verfasser bei seiner Arbeit wiederholt*)
Veranlassung genommen, die am 50jährigen Sterbetage Schillers
begründete „Schiller-Stiftung" in Erinnerung zu bringen und den
populairen Bethätigungen herzvoller Begeisterung, gegenüber vornehm
kühler Indifferenz, gerecht zu werden.

Wolfgang Müller'S „Münchener Skizzenbuch" zeigt seinen Zweck,
aber auch seine Mängel, in seinem Tirel an. Mit Dampf führt
uns der Verfasser, selbst in Reisekleidern, ins „Isar-Florenz" ein;
mit Dampf nimmt er wieder Abschied, um in die Heimath zurück-
zueilen, nachdem er uns in den letzten Kapiteln, je lieber und län-
ger wir weilen möchten, desto sausender durch und um München
herum gedampft hat.

Wer München noch nicht gesehen hat, den kann das Buch
nicht anders als anreizen, sobald als möglich die „Schöpfung Lud-
wigs" von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Wer München gründ-
lich genug kennen gelernt hat, um das „Skizzenbuch" als Repe-
titorium lesen zu können, dem steht alsdann der eigenthümliche Reiz
bevor, sich mit dem Verfasser über dessen subjektive Anschauung der
Dinge und Personen in stiller Disputation auseinander zu setzen.
Wir unsererseits befinden theils uns zur Zeit nicht in der Lage,
theils würden wir es überhaupt hier nicht am Orte erachten, na-
mentlich über die Charakteristik der gegenwärtig um König Map
versammelten Künstler und Schriftsteller mit dem Verfasser einen
Meinungsaustausch vorzunehmen; wir überlassen dieö billig seinen
Lesern, welche jene Personen bereits kennen oder künftig kennen
lernen.

Am werthvollsten, im Hinblick auf den Zweck ves Buches, er-
scheinen uns die erster» sieben Kapitel, welche die Stadt und ihren
künstlerischen Gehalt schildern, so wie die Celebritäten ans der Zeit
Königs Ludwig vorführen, und damit einen reichen Ueberblick der
Welt gewähren, welche dieser ebenso kunstliebende als kunstverständige
Fürst mit seltener Consequenz und charaktervoller Vielseitigkeit um
sich her zu schaffen und zu sammeln wußte.

Hätte cS dem Verfasser gefallen, dieser systematischen Entwicke- i
lung des Gesammtbildcs eine minder flüchtige und für den Reisen-
den (dessen Vorbereitung nicht überhaupt das ganze Buch überflüssig
macht) entschieden ungenügende Anleitung zur Aufsuchung des be-
schriebenen Materials folgen zu lassen, so würde vielleicht die Form
einer „tagebuchartigen Reisebeschreibung", das Prinzip der „anmu-
thigen Unterhaltung" mehr in den Hintergrund getreten, dafür aber
die Hand eines kundigen „Führers", die dem Verfasser ja auch viel-
fach willkommen war, fühlbarer geworden sein, ohne daß der Reiz
der „Skizzen" verloren gegangen oder das Buch dem Pedantismus
verfallen wäre.

Außer den schriftstellerischen Bestandtheilen der Reisebibliothek
beginnt die Verlagshandlung ihr Unternehmen mit chartographischen
Beigaben auszustatten, welche, nach dem uns vorliegenden Muster
(die sächsische Schweiz) zu urtheilen, durch Eleganz, Sorgfalt und
Handlichkeit sich aufs Beste empfehlen. Erschienen sind außerdem
bisher die Stadtpläne von Dresden und Leipzig und die Karten der
Eisenbahnen von Leipzig nach Hof und von Hof nach Nürnberg,

*) S. 52. 82.

die Anfänge eines „Reise-Atlas", der für sich allein schon der Ver-
lagshandlung den Dank des reisenden Publikums gewinnen und die
Theilnahme an dem Gesammtunternehmen fördern muß.

Shakespeare auf der modernen englischen Dühne.

Fünfter Brief.

(Antonius und Cleopatra.)

Fast ein Jahr ist vergangen, seit ich von hier aus unter der-
selben Ueberschrift einige Briefe an Dich richtete. Ich hatte damals,
wie Du und einzelne Leser des Literaturblattes sich entsinnen werden,
die Absicht, den Shakespeare-Aufführungen auf den hiesigen Bühnen
gewissenhaft zu folgen, theils um über die Darstellung von Stücken
zu berichten, die unserer Bühne noch fremd geblieben sind, theils um
Parallelen zn ziehen zwischen einer deutschen und englischen Auffüh-
rung Shakespeare'scher Dramen. Ich unterbrach diese Berichterstat-
tung früher, als ich's beim Beginn meiner Arbeit erwartet hatte.
Das Material wuchs mir über den Kopf und ich hätte mich auf
länger als ein halbes Jahr zum Alleinherrscher der Spalten des
Literaturblattes machen müssen, wenn ich noch ferner die Absicht
verfolgt hätte, mit den Shakespeare-Aufführungen um mich her glei-
chen Schritt zn halten. Shakespeare, ganz gegen die allgemeine An-
nahme, wie sie vor 10 und 20 Jahren in Deutschland gang und

gäbe war, ist noch immer — oder aber auf's Neue — der bühncn-
beherrschende Dichter Englands und wenn man von den importirten
Vaudevilles und melodramatischen Albernheiten absieht, wie sie Paris
nach London her noch reichlicher fast, als in unsere Heimath liefert,
so darf man kühn behaupten, daß das englische Theater keinen an-
dern Dramatiker hat, als eben — Shakespeare. Dann und wann
tritt er dein Sheridan auf einige Abende die Bühne ab, im klebri-
gen herrscht er souverain. Ein übersichtliches Verzeichniß dessen,

was die Londoner Bühnen im Verlauf des letzten Jahres gebracht
haben, würde folgende Rubriken haben: Oper, Ballet, Weihnachts-
pantomimen'*), französische Possen und Melodramen und — Shake-
speare. In London handelt es sich nicht mehr um das, was von
Shakespeare gegeben wird, sondern um das, was nicht gegeben wird.
Die letztere Liste ist kurz, sic enthält vielleicht nur ein halbes Dutzend
Namen: Perikles, Troilus und Eresfida, die beiden Edlen von Ve-
rona, Cymbeline und Heinrich VI.

Diesem Reichthum gegenüber galt es, sich zu bescheiden und
eine Auswahl zu treffen. Ich nehme heute eine dem entsprechende
Berichterstattung wieder auf und beginne mit Antonius und Cleo-
patra, einer Ausführung, der durch den Ort, an dem ich ihr bei-
wohnte, ein besonderes Interesse verliehen wurde. Ich kann nicht
sagen, daß mir der betreffende Abend sonst einen vorzüglichen künst-
lerischen Genuß gewährt hätte, aber ich muß andererseits bekennen,
daß ich mich keiner Shakespeare-Aufführung überhaupt zu entsinnen
weiß, die mir interessanter und namentlich lehrreicher gewesen wäre.
Hier hatte ich den Dichter einmal auf einem wirklichen Volkstheater. **)
Das Eintrittsgeld betrug 6 Pence (5 Sgr.) und meine Nachbaren
waren Matrosen und Soldaten. Die Theilnahme des Publikums,
die verhältnißmäßige Popularität des Stücks, das ist es, worauf ich

heute ausschließlich Gewicht legen und die Aufmerksamkeit der Leser
hinlenken möchte.

*) Diese Stücke, für die wir kaum etwas Analoges haben, sind bei Be-
sprechung englischer Bühnenzustände von höchster Wichtigkeit, da sie aus der Mebr-

zahl der Theater v«n Weihnachten bis Ostern in »nuntcrbrachener Reibenfolae
gegeben werden.

**) Standard-Theater, Shoreditch.
 
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