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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0047
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hüllende Schilderungen sträflicher Neigungen und Thaten
eine trockene, strafende Moral setzen. Damit glauben sie
einen Freibrief zu besitzen, in die seelischen Tiefen der Un-
sittlichkeit zu leuchten, was für arglose Gemüther gerade
das Gefährlichste ist. Wenn die Anfügung eines morali-
schen Lehrsatzes oder ein unglücklicher Ausgang einer Be-
gebenheit, die als Strafe erscheint,, die sittliche Tendenz
eines Buches ausmachten, so müßte man eine solche auch
den schändlichen Liaisons dangereuses zuerkennen, weil
der Verfasser, nachdem er die schnöden Künste der Verfüh-
rung mit einer Freude daran , die man satanisch nennen
kann, geschildert hat, eine Art von poetischer Gerechtigkeit
an seinen Sündern übt. So arge Erzeugnisse lassen sich
nun freilich die gegenwärtigen anständigen und tugend-
haften Kreise nicht gefallen, weil glücklicherweise das Gefühl
stärker ist, als die Consequenz. Wenn aber die Geschichte
mehr mit Adern durchzogen ist, die wie moralische aussehen,
wenn die Absicht sich als eine löbliche darstellt, und wenn
vor Allem jenes Gebiet zweideutiger Späße vermieden ist,
dann sieht man einen guten Theil der Lesewelt Mücken
säugen und Kameele verschlucken. Dieses Urtheil zu belegen
bietet sich eine Fülle von Beispielen dar.

Da ist gleich der vielbesprochene Roman Eritis sicut
Deus. Ich habe es hier gar nicht mit den mancherlei andern
Schattenseiten des Buches zu thun: nicht mit dem techni-
schen Ungeschick, welches in der unsäglichen Breite der Dar-
stellung glänzende Farben mehr verquistet, als für den künst-
lerischen Zweck zu brauchen versteht; nicht mit der über
alle Grenzen der Natur und Wahrheit -hinausgehenden
Charakterzeichnung; nicht mit der Perfidie, welche die Schil-
derungen von Hauptfiguren als handgreifliche Copien histo-
rischer Persönlichkeiten beginnt, und sie mit erdichteten
schmachvollen Zügen fortsetzt; nicht mit dem großen psycho-
logischen Mißgriff, starke Leidenschaften aus falschen theo-
retischen Sätzen hervorgehen zu lassen; nicht mit dem locken-
den Reiz, der den pantheistisch-atheistischen Vorstellungen
geliehen ist, wodurch sie, ganz gegen die beabsichtigte Wir-
kung, eine Überlegenheit über die religiösen gewinnen;
nicht mit dem Abschluß, der das Gefühl mehr peinigt als
beruhigt — sondern nur mit der Behandlung des sinnlichen
Triebes. Dieser Verf., der in demselben kein Element des
menschlichen Daseins sieht, welches durch die Poesie ver-
edelt und gehoben werden kann, welches der naive Dichter
wie eine Naturmacht ansieht, und der humoristische wie ein
Gebrechen belächelt, sondern in jedem Betracht nur Sünde,
tiefe Sünde — ein Standpunkt, der freilich nicht in der
Kunst aber außerhalb derselben seine Berechtigurlg haben
kann, — dieser Verf. hätte die Berührung der sinnlichen
Begierde scheuen, und wenn sie für seinen Zweck unum-
gänglich erforderlich war, leise darüber hinwegschlüpfen
müssen. Statt dessen gefällt.er sich recht darin, diemensch-
liche Natur in ihren tiefen Gründen davon durchwühlt zu
zeigen, wodurch kein moralischer Abscheu erzeugt wird, son-
dern ein unheimliches Grauen vor einer im Finstern schlei-
chenden Macht, welches das Gemüth nicht rein erhält,
sondern befleckt. Dennoch ist dieser Roman von frommen,
wirklich frommen Leuten mit Beifall begrüßt, ja es ist, wie
bestimmt versichert wird, Erbauung darin gesucht worden.

So groß ist bei manchen Unbefangenen der Eindruck einer
recht stark und zuversichtlich hervorgehobenen tendentiösen
Absicht, so viel größer als das Erg ebniß des wirklichen und
wahren objeetiven Inhalts eines Kunstwerks. Auch an
solchen Lesern hat es gewiß nicht gefehlt, die weniger von
der moralischen Absicht angezogen wurden, als von der
Zurüstung, diese Äbsicht durch breite Decorationsgemälde
des Lasters zu erreichen. Denn doppelt und dreifach paßt
auf Eritis sieut Deus, was Schiller in einer Lenie von
dem Roman „Für Töchter edler Herkunft" sagt, dessen
Verfasser, Hermes, gleichfalls das Ergehen auf den Ge-
bieten einer verderbten Phantasie durch einen moralisch
strafenden Ausgang gut gemacht zu haben glaubte:

Wollt ihr zugleich den Kindern der Welt und den Frommen

gefallen?

Malet die Wollust — nur malet den Teufel dazu!

Sollte nicht, gegen solche Bücher gehalten, Tom Jones
eine sehr unschuldige Lectüre sein?

Das aus der Gattung des Romans hervorgehobene
Beispiel ist als ein sich mit christlich-frommen Absichten
brüstendes besonders lehrreich. Sonst sieht es im Drama
noch viel bedenklicher aus, weil die Bilder durch die le-
bendige Darstellung auf der Bühne einen noch weit Liefern
Eindruck machen und zurücklassen.

Wir sehen aus Molieres Critique de Tecole des feni-
mes, daß einige, freie Ausdrücke in diesem meisterhaften
Lustspiel dem Dichter als eine Versündigung an der guten
Sitte vorgeworfen wurden, der falsche, übermäßig ekle Ge-
schmack also schon damals — es sind seitdem jetzt fast zwei-
hundert Jahre verflossen — in Frankreich sich geltend zu
machen strebte; wir sehen aber auch, daß er mit großem
Erfolge lächerlich gemacht wurde. Die Prüden, welche bei
jenen Ausdrücken das Gesicht bedeckten, mußten von sich

sagen lassen, qu eiles etaient plus chastes des oreilles
que de tout le reste du corps. An der wahren Sitt-
lichkeit hat sich der große Lustspieldichter nur einmal ver-
sündigt durch den Triumph der ausschweifenden jungen
Frau über den betrogenen Ehemann am Schluffe des G eorg e
D and in. Und auch dieser Verstoß kann entschuldigt wer-
den durch die Absicht, die Sittenlosigkeit der höhern Classen
in Vergleich mit dem Bürgerstande an den Pranger zu stel-
len, eine Absicht, welche durch eine an der schamlosen Ade-
lichen geübte poetische Gerechtigkeit lange nicht so gut er-
reicht worden wäre, als es durch die Frechheit geschieht,
die sie sich ungestraft erlauben darf. George Dandin ist
unter dem ersten Napoleon einmal ausgepftffen worden.
Wenn es aus Sittlichkeitsgefühl geschehen ist, so muß man
sagen, daß mit diesem Gefühl in Frankreich seit fünfzig
Jahren eine Veränderung so erstaunlicher Art vorgegangen
ist, wie es davon in einem verhältnißmäßig so kurzen Zeit-
raum wohl kein anderes Beispiel gibt. Denn die Verletzung
des moralischen Sinnes in diesem Lustspiel ist eine wahre
Kleinigkeit gegen das, was man in Paris, besonders auf
den kleinen, den leichteren Gattungen gewidmeten Theatern
täglich sehen kann. Nichts ist in diesen Dramen gewöhn- '
licher, als daß die Ehe gleich in ihrem Beginne von Män-
nern und blutjungen Frauen als ein lästiges Band ange-
sehen wird, das man, wie sich ja ganz von selbst versteht,
 
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