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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0081
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Die Selbstbekenntnisse Schillers. Vortrag, gehalten in Jena

1857. Von Kuno Fischer. — Frankfurt a. M. Joh.

Christ. Hermann'scher Verlag. «1858.

Das persönliche Interesse, das wir fast überall an
den Werken unserer großen Dichter nehmen, so daß es die
ästhetische Theilnahme mit einem ganz besonderen Reiz be-
gleitet, wird sich immer vorzüglich an die Jugendschö-
pfungen derselben heften. Denn hier vor Allem findet es
das, was die Entwicklungsgeschichte eines einzelnen Indi-
viduums so anziehend und so bedeutsam macht: daß in ihr
sich ein sittlicher oder geistiger Prozeß vollzieht, der der G e-
schichte angehört', und weit über die Grenzen der Persön-
lichkeit hinausgreift. Bei Keinem tritt uns dies so subjec-
tiv und großartig zugleich entgegen, als bei Schiller,
dem auf sich selbst gestellten, ruhelosen Jüngling, der seine
persönlichen Ideale und Phantasieen in der höchsten Form
der Kunst, im Drama, unter dem Gewände objectiven
Schaffens, verkörpert, bis er nach langer innerlicher Arbeit
zu der Versöhnung gelangt, in der die Persönlichkeit und
die Kunst ihr'Wesen und Gesetz vereinigt haben.

Diesen Entwicklungsgang schildert lebendig und treffend
die kleine Schrift, auf die wir hier aufmerksam zu machen
haben. Einen Entwicklungsgang, der — mit des Ver-
fassers Worten — „eine der innerlich bewegtesten Zei-
ten der Weltgeschichte umfaßt." „Es ist das vorletzte De-
cennium des vorigen Jahrhunderts: die Jahre von achtzig
zu neunzig. Im Anfang des Jahrzehntes erhob sich in
Deutschland die kantische Philosophie, am Ende desselben
begann die französische Revolution. Diese beiden Begeben-
heiten bezeichnen genau die Grenzpunkte, zwischen denen die
poetische Entwickelungsgeschichte Schillers verläuft. Es sind
seine W a n d e r j a h r e, die damit anheben, daß er flieht,
um ein Dichter bleiben und werden zu können, und die da-
mit enden, daß er nach vielen Lebensstürmen endlich eine
neue Heimath und einen eigenen Herd findet. Er.beginnt
das Decennium als Karlsschüler in Stuttgart und beschließt
es als Professor zu Jena.

Die Vergötterung der Natur, die pathologische Na-
turempfindung, die sich eigenwillig der geschichtlich überlie-
ferten Welt entgegenstellt und in Jean Jacques Rous-
seau's Schriften gipfelt, tritt uns nun zunächst als Schillers
Jugendideal entgegen. Seine Selbstbekenntnisse beginnen
mit einem Hymnus auf Rousseau:

Und wer sind sie, die den 'Weisen richten?
Geisterschlacken, die zur Tiefe flüchten
Vor dem Silberblicke des Genies!

Abgesplittert von dem Schöpfungswerke,

Gegen Riesen dtvuffeau kindische Zwerge,

Denen nie Prometheus' Feuer blies!

— „Seine Empfindung gilt ihm mehr als irgend ein
sachlicher Gegenstand. Er ist sich dessen bewußt, er bekennt
es offen vor aller Welt. Als sein zweites dramatisches
Werk in Scene treten soll, läßt er neben den Anschlagzettel
eine Erinnerung an das Publikum drucken, worin er sagt:

„Eine einzige große Aufwallung, die ich durch die ge-
wagte Erdichtung in der Brust meiner Zuhörer bewirke,
wiegt mir die strengste historische Gerechtigkeit auf."

Und von dem Helden seines Drama's heißt es in eben
dieser Erinnerung:

„Fiesko, von dem ich vorläufig nichts Empfehlend eres zu
sagen weiß, als daß ihn Jean Jacques Rousseau- in sei-/
nem Herzen trug." — '

„Seine dramatischen Erstlinge — fährt der Vers, fort —
müssen aus dieser tragisch-idyllischen Empfindungsweise er-,
klärt werden. Die ästhetische Schätzung ist hier weniger
zureichend als die psychologische. Man kann diese Dramen
nicht aus ihren Charakteren — man muß diese Cha-
raktere aus Schiller erklären." In der That, als
Selbstbekenntnisse seiner Seele sind sie aufzufassen; — als
Ideale, die er verkörpert, an denen sein sittliches und künst-
lerisches Bewußtsein reist, — und die er dann vernichtet,
um sie in andern Formen wieder aufzusuchen.

Mit aller ungestümen Leidenschaft hören wir ihn noch
in den Räubern reden.

„Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säculum, wenn
ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen!" -

„Da verrammeln sie sich die gesunde Natur durch abge-
schmackte Conventionen. Ich soll meinen Leib pressen in eine
Schnürbrust und meinen Willen schnüren in Gesetze. Das
Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug

- geworden wäre."

„Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber
die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus."

Und wieder den idyllischen, inbrünstigen Sohn der
Natur:

„Vaterlandserde, Vaterlandssonne, Vaterlandshimmel und
Fluren und Hügel und Ströme und Wälder, seid alle,
alle mir herzlich gegrüßt. Wie so köstlich weht die Luft
von den Heimathgebirgen. Elysium! Dichterische Welt!
Halt ein, Moor, Dein Fuß wandelt in einem heiligen
Tempel!"

— Aber der trotzige Feind des Gesetzes geht zu Grunde,
und wir hören das erschütternde Bekenntniß:

„O eitle Kinderei! Da steh'ich am Rande eines entsetz-

» lichen-Abgrunds und erfahre mit Heulen und Zähneklap-
pern, daß zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der
sittlichen Welt zu Grunde richten würden."

Indessen nur mit Karl Moor, nicht mit den Bekennt-
nissen des Dichters ist es abgethan; in anderer Weise be-
gegnen wir ihnen zunächst im Fiesko wieder. Wir sehen,
wie der Dichter versucht, einen geschlossenen Organismus,
einen dramatischen Charakter aus sich herauszustellen; aber
so, wie er werden sollte, ist er nicht geworden. „Die Na-
tur des Dichters war mächtiger als ihr Projekt: unwill-
kürlich hat der Charakter, den sie beabsichtigte, ihre eigene
Empfindung sw eise angezogen und damit' sich selbst in ein
dramatisches Spiegelbild verwandelt. Dieser Fiesko ist,
wie sein Dichter, ein genialer, phantasievoller, bestimmbarer
Jüngling, den jeder große Eindruck mit sich fortreißt, und
der am wenigsten gemacht ist, der politische Charakter zu
sein, den Schiller ihm aufgab." — lieber die treffliche Ent-
wickelung dieses Satzes müssen wir hier hinwegeilen. Wir
kommen zu Schillers drittem Stück. Noch ist dieselbe Grund-
stimmung geblieben; noch ist sie sogar zu ihrem reinsten
Ausdruck nicht gekommen. '„So lange der Dichter in den
Idealen Rousseau's lebt, thut er wohl daran, wenn seine
 
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