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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0092
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Wägung der ThaLsachen unterzuschieben und sich von jenen statt
von dieser leiten zu lassen. Wir haben zu viel unter unsrer Ge-
fühlspolitik schon gelitten, um leichten Sinnes unsere Interessen
der Phantasiepolitik aüzuvertrauen, die noch leichter irre führt, als
ihre gemüthliche Zwillingsschwester. Es rechtfertigt sich daher
wohl, daß wir bei der Besprechung des obigen Romans auch
dem politischen Gesichtspunkte eine erhöhte Aufmerksamkeit zu-
wenden und wo wir eine gefährliche Richtung wahrnehmen, vor
Fehltritten und Mißgriffen ernstlich warnen.

Der Roman spielt in einer kleinen Stadt, Schnurrenburg •
genannt, eines kleinen deutschen Fürstenthums, und gibt daher
ein Bild der deutschen Kleinstadterei und der deutschen Klein-
staaterei zugleich. Wir finden darin viele Loealtöne, welche un-
verkennbar^ an schwäbische oder bayrische Mundart erinnern, auch
manche Züge und Farben, die offenbar der süddeutschen Beobach-
tung entlehnt find. Demungeachtet wäre es unrichtig, unfern
Roman auf Württemberg oder Bayern auch nur vorzugsweise zu
beziehen. Diese Staaten, besonders Bayern, sind doch schon zu
breit angelegt, und ihre Verhältnisse zu groß und zu reich, um
sich in dem Bilde der FürstenthÜrner S ch n auzlin gen, dem das
vormalige Reichsstädtchen Schnurrenburg einverleibt worden und
Schnüfflingen wiederzuerkennen. In dieser Hinsicht hat der
Verfasser wohl eher die zahlreiche Klasse der wirklichen Klein-
staaten im Sinne gehabt, die aus dem verfallenden Reiche den
Schein einer politischen Selbständigkeit gerettet haben, mit welchem
die innere Ohnmacht in einem seltsamen Widerspruch steht.

Die Helden des Romans sind drei junge Männer, welche
als Knaben zusammen von ' deutscher. Macht und Herrlichkeit ge-
träumt, auch ein wenig Mittelalter gespielt haben,' und daun
später sich wieder verbünden, um die mit ihnen ausgewachsenen
Kinderträume der Verwirklichung zuzuführen. Die drei Freunde
haben in ihrer Jugend die gelehrten Schulen besucht, zwei der-
selben die Universitätsstudien als Juristen vollendet, und auch der
Dritte hat eine Zeit lang Theologie studirt, freilich ohne Lust zu
dem geistlichen Berufe. So verschieden sie im.übrigen von einander
find, so begegnen sich doch alle drei in studentischen Anschauungen
und Sitten. Sie treiben die deutsche Politik, für die sie be-
geistert sind, am liebsten bei dem vollen Humpen, dessen Inhalt
ihre patriotischen Gefühle anschwellen hilft und ihnen die Zunge
löst, und zwar voll Innigkeit und mit Hingebung, aber ohne
tieferes Verständnis weder der Ziele noch der Mittel.

Der hoffnungsvolle Jüngling Jörg von Bolzen, dem der
Dichter ein braunes Haar und eine blonde Seele zuschreibt, ist
ein Liebling der Frauen.und ein guter, treuer Mensch. Er besitzt
treffliche juristische Kenntnisse und was wir ihm höher anrechnen,
-eine aufrichtige Liebe zur Gerechtigkeit und Opferbereitwilligkeit
für seine Ideale von Volksfreiheit und Vaterland. Wir können
es ihm nicht verargen, daß sein Herz wärmer für Deutschland
schlägt als für das Herzogthum Schnauzlingen. Seine Intentionen
sind unsträflich und ehrenhaft. Er ist ein Bild etwa der besseren
Elemente der deutschen Burschenschaft. Dieser edle und weiche
Mensch geht einem tragischen Schicksale entgegen. Er fällt als
ein Opfer einer niederträchtigen Justiz, welche von der Jntrigue
und der Schlechtigkeit beherrscht, von der Schwäche unterstützt
und von dem blinden Gehorsam der Polizeimannschaft durchge-'
führt wird. Wir können ihm unser Mitleid nicht entziehen, und
müssen gegen seine Richter unsere Verachtung und unfern Haß
kehren. Dennoch geht unser Interesse für diese Hauptperson nicht
in die Tiefe. Für einen politischen Führer ist er. zu träumerisch,
zu unpraktisch, zu unmännlich. Wenn er eine Schuld auf sich
hat, so kann es nur die sein, daß er auf die öffentlichen Ange-
legenheiten bestimmend einzuwirken unternahm, ohne sich von den
Zuständen näher zu unterrichten, und ein politisches Martyrthum

Literatur-Blatt. 1858.

ohne Roth und ohne Aussicht auf mittelbaren Erfolg auf sich lud.
Diese Schuld aber ist ohne Größe und wird viel zu hart ge-
straft mit seiner Einkerkerung und mit seinem Tode. Sein Cha-
rakter zieht uns daher nicht an mit Heldenkraft, und in seinem
Unglück sehen wir weder poetische noch politische Gerechtigkeit.
Immerhin aber müssen wir anerkennen: Das Bild ist für die
politische Charakteristik der deutschen Zustände nicht ohne Wahr-
heit und nicht ohne Werth. Solcher Jünglinge gab es viele und
viele auch sind zu Grunde gegangen, als Opfer der Jntrigue
und der Schlechtigkeit einflußreicher Männer.

In seinem. edeln Freunde Heinz von Th e u r e n st e i n sind
die Eigenschaften des Studenten und des vornehmen Herrn an-
genehm gemischt. — Reichthum und hohe Lebensstellung geben
ihm ein Gefühl der Sicherheit, das ihn auch dann nicht verläßt,
als die derben Schläge der Polizeisoldaten ihn daran mahnen,
daß die Zeit der ritterlichen Selbsthülfe und der offenen Fehde
der Burgherrn mit den Stadtherrn längst untergegangen sei.
Obwohl er sich gegen die bestehende Staatsordnung in der That
ganz ernstlich verfehlt, und zuletzt auch von der Justiz verfolgt,
wird, so geht es ihm doch viel besser, als seinem unschuldigen
Freunde.. Er muß für einige Zeit^seinen Stammsitz meiden und
sich in fremden Ländern amüsiren; aber bald kann er wieder
kommen und ist dann einer-begünstigten Lebensstellung sicher.
Es wird nicht allzuhäufig eine liberale Erscheinung der Art iu
der hohen Aristokratie zu finden sein. Aber auch hier wird eher
die Gerechtigkeit des Schicksals, als die Wahrheit des Bildes
vermißt.

Aus plebejischeren Stoffen ist der Charakter des Försterssohns
Kunz gebildet, des Dritten und Gescheitesten in dem Bunde.
In seinen Knabenjahren hat er Waldlüft geathmet, ist dann als
Student mit der theologischen Erziehung in Conflict gerathen,
hat sich in die Fremdenlegion nach Algier auwerben lassen, wo
es ihm auch auf die Dauer nicht behagen konnte, ist eine Zeit
lang als Bedienter eines Engländers gereist, hat sich dann selb-
ständig iu Amerika angesiedelt und einiges Vermögen erworben
und ist doch wieder von deutschem Heimweh über das Meer her-
gezogen worden. Auch er ist gelegentlich ein Träumer, und ein
wilder toller Träumer dazu. Er wünscht, daß die ganze gegen-
wärtige Kultur der Deutschen in blutigen Kriegen zerschlagen
und zerstört und die Nation gezwungen werde, wieder wie zu
Tacitus Zeiten mehrere Jahrhunderte hindurch ein uncivilisirtes
Waldleben zu führen. Aber er legt auf solche Träume keinen
Werth und richtet sein Leben nicht darnach ein. Eben darin ist
er verständiger als seine Gefährten. Auch weiß er die wirklichen
Menschen besser zu beurtheilen, ist viel um- und vorsichtiger als
jene und berechnet auch die disponibeln Mittel besser. Er ist ein
entschiedener Realist mit einer reichen satyrischen Ader. Seine
politischen Urtheile sind wenigstens verständig, wenn gleich pessi-
mistisch gefärbt und nur an der Oberfläche streifend. Man
würde für diesen Mann ein größeres Interesse gewinnen, wenn
er nicht sich die wunderliche Aufgabe gestellt hätte, „nachdem es
ihm verboten worden, die männliche Jugend mit der Geschichte
vertraut zu machen, die weibliche in der Liebe zu unterrichten —"
und so ein wenig Don Juan zu spielen. Daß er auch in der
Liebe sich als Realist erweise, finden wir in der Ordnung, aber
daß eine so derbe praktische Natur sich zum Lehrmeister der Lie-
beständelei-und Wollust berufen fühle, scheint uns weniger mo-
tivirt und in Schnurrenburg überdem ganz, unnöthig, da die
dortigen Frauen ohnehin schon bereit sind, bei der ersten Begeg-
nung mit anmuthigen jungen Männern diesen um den Hals zu
fallen.

Der Roman ist reich an vortrefflichen Charakterzeichnungen,
die nur zuweilen durch den humoristischen Ton, den der Verfasser

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