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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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WM- Uugust 1858. Mo

Jahrgang.

Lileratur-Btall

des

Deutschen Kunstblattes.

Nedigirt von Paul Heyse in München

Fr. Strauß als Biograph.

Von Fr. Vis ch er.

(Fortsetzung.)

Wir haben es natürlich gesunden, daß sich ein höchst
klarer Geist gern an pathologische Stoffe macht; es ist aber
Zeit, nicht zu vergessen, daß fiir das Pathologische überall,
auch an dem Gesunden und Großen, hinreichend gesorgt
ist und daß wir schließlich vom Verwandten Verwandtes,
vom Gesunden Gesundes, vom ganzen Mann einen ganzen
Mann behandelt sehen wollen. Die Schubart und Frisch-
lin waren immer noch viel zu wenig, um einem Strauß
zum Gegenstände zu werden. Die Erwartung, daß er auf
einen wahrhaft bedeutenden Stoff komme, mußte sich bei seinem
Frischlin steigern. Er hatte in das sechzehnte Jahrhundert
gegriffen, in die Epoche, die unserer Zeit analoger ist, als
irgend eine; aber es war nicht das frische, angehende,
schwungreiche sechzehnte Jahrhundert mehr, es war das ab-
sterbende, in Formel, Theologengezänk, Kanzleimechanismus
vertrocknende; der Held der Biographie menschlich anziehend
und interessant, aber ohne ein Pathos; die kleinen Jntri-
guen, die bissigen Parteikämpse einer akademischen Behörde;
Philologenhändel, Wechsel der Hofgunst: darum drehte sich
sein Leben. Die Erwartung ist befriedigt: Strauß ergreift
Fleisch von seinem Fleisch, Blut von seinem Blute; er
zeichnet einen Mann von weltgeschichtlichem Pathos und
dieß Pathos ist das [einige, ist das unsrige. Der Mann,
den er sich ausersehen, wurde nicht fertig mit seinem Werke;
ein Anderer mit andern Mitteln vollbrachte es halb ; er
selbst, hinausgestoßen, aus der Mitte seiner Bahn hinweg-
gestorben in der Vollkraft seines Wollens muß als Geist
gehen, geht als Geist und wenn der Geist jetzt sein Deutsch-
land ansieht, da sieht er freilich, daß unsre höchsten Ange-
legenheiten nicht viel anders liegen, als vor dreihundert
Jahren. Wenn wir Deutsche uns dies mit Kummer sagen
müssen, so dürfen wir uns dagegen eben dessen getrösten,
daß dieser Geist unter uns wandelt, daß er sich hier einen
Mann erweckt,, daß er ihm die Feder, das einzige Besitz-
thum, das er sterbend auf der Usnau hinterließ, in die Hand

gedrückt hat, sein Bild vor uns hinzuzeichnen so treu und
scharf, als stände er, der Wecker und Mahner deutscher
Nation leibhaftig in unserer Mitte.

Je näher nun dieser Stoff den innigsten geistigen In-
teressen des Biographen lag, desto leichter konnte es ihm
auch als gegeben erscheinen, dießmal von dem rein künst-
lerischen, streng objeetiven, Verfahren abzuweichen, das wir
bisher an ihm gerühmt haben. Sagt er doch selbst in der
Vorrede, er wünsche diesem Buche nicht blos günstige und
zufriedene, sondern auch recht viele unzufriedene Leser; .denn
„was wäre das auch für ein Buch über Ulr. von Hutten,
mit dem alle Welt zufrieden wäre? Möchte doch meine
Schrift alle diejenigen herzlich ärgern, die ihr Held, wenn
er heute lebte, ärgern würde. Möchten sie den Spiegel
zertrümmern wollen,-, aus dem ihr Gesicht chnen so unge-
schmeichelt entgegenblickt!" Und diese Sympathie werden
wir nur mit Freuden gutheißen. Wir haben hier nicht zu
beweisen, daß Theilnahme, einstimmende Ueberzeugung mit
Wahrheit und Gerechtigkeit schlechthin verträglich , daß Ge-
sinnungslosigkeit nicht Bedingung der Objectivität ist. Daß
diese nicht verkümmert würde, dafür war aber bei einem
solchen Stoff durch einen Zug im Geiste des Biographen
gesorgt, der schon aus der Schilderung der politischen Ver-
drießlichkeiten im Leben Märklins zu erkennen ist, und der
gerade in diesem Werke indirect noch bestimmter sich heraus-
stellt, einen Zug, der in einem tieferen Zusammenhänge
des künstlerischen Talents mit der persönlichen Stimmung
wurzelt: man sieht, er verehrt den feurigen Kämpfer, er ist
innig durchdrungen von dem, wofür er kämpfte, aber er
selbst ist eine betrachtende Natur, welche mehr die stille
Entwicklung liebt, eine Natur, in welcher die energische
Gesinnung gern in der reinen , ruhigen Form sich nieder-
schlägt, ein Freund des Bürgerthums und seiner ftiedlichen
Bestrebungen, dessen fein organisirten Nerven Lärm und
Waffengeräusch nicht zusagt; wahrlich kein Erasmus, aber
etwas von einem Goethe. Ja von dieser Seite ist es eben
vielmehr nicht subjective Vorliebe, sondern Ueberwindung
derselben und verdienstvolle Gerechtigkeit, wenn er, um so
viel freier als Goethe, auf dessen-Verhalten gegen rauhe
Lebenskämpfe wir später Hinweisen werden, seines Mannes
Sprudeln, Rufen, Faustballen, Verachtung der Städte, des

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