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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0098
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mit so viel Gewicht verhandelt, eonsequenter Weise mit
derselben Ausführlichkeit Lei jedem historischen Charakter
die Frage ventiliren, ob er keusch geblieben sei: eine Ab-
surdität und eine Offenbarung versessener eigener Unrein-
heit, die doch selbst der Aberwitz sich nicht verhehlen wird.
Daß jedoch Hutten mit einer besonders starken Sinnlichkeit
behaftet gewesen sei, scheint uns nicht so erwiesen, wie
Strauß annimmt, und das höchst glückliche, treffende Bild
der folgenden Stelle daher mehr in der Beziehung auf sein
affeetvolles- Wesen überhaupt, als auf seine Sitten im
engeren Sinne des Wortes gerechtfertigt: „ein-Sturm geht
durch diese Schriften, wie durch das Leben ihres Verfassers,
der aus einem tief leidenschaftlichen Gemüthe stammt; was
in denselben brennt, ist nicht das weiße, stille Gaslicht der
Idee, sondern die brausende rothe Flamme, die auf derbere
Nahrung hinweist. Bewundern wir, wie rein.diese verzehrt,
erfreuen uns an der Wärme und dem Lichte, die sie ver-
breitet, aber rechten wir nicht mit ihr über die Stoffe,
welche sie in ihr lauteres Element zu verwandeln weiß."
Und dieß erst ist es, was wir eigentlich unter dem Patho-
logischen im Charakter des Helden verstehen, wie solches
den ironischem Zug in der Haltung des Biographen be-
gründen mußte: Hutten ist eine durchaus leidenschaftliche,
ungestüme Natur, ungeduldig, unvorsichtig, stets gereizt und
reizend,- schneidend, jagend, stürmend, ein Mensch wie
lauter Feuer. Dutten literas ad me dedit ingenti spiritu
aestuantes u. s. w. schreibt Luther. Das Eiferartige, der
•dvpos ist sein Wesen, „die Hebamme seines Geistes ist der
Zorn." Dem klaren, überschauenden Geiste muß ein solches
Wesen stetigen Anreiz zur komischen Auffassung darbieten:
aber mitten im Entstehen wird der Anreiz unterbunden,
abgeschnitten durch die Größe der Zwecke, welche den Keim
und Inhalt der lodernden Leidenschaft bilden, durch die
Läuterung, welche ebendadurch in die Flamme der Leiden-
schaft kommt. „Seine Werke steigen an Bedeutung in dem
Verhältniß, als die Gegenstände seines Zornes bedeutender
werden,, dieser selbst reiner wird." Das Verhältniß kehrt
sich um: die große Idee wird das Führende, der Affe et wird
ihr Organ, ihr geflügelter Bote. Nun ist es, was Kant
Affect der wackern Art, alkeetus streauus nennt, das Gute
mit Leidenschaft; nun* gilt von Hutten das Wort, daß ohne
Leidenschaft nie etwas Großes geschehen ist. Man kann
an ihm als einem wahren Typus jetzt recht ersehen, in
welchem Sinne Zorn und Haß sittliche Mächte sind: sie
sind es, wenn ihre Gluth gegen die Prinzipien, gegen die
Hindernisse ewiger, weltgeschichtlicher Wahrheiten und Zwecke
gerichtet ist, sie sind es, wenn sie dem Wahne, dem Schlech-
ten, dem Bösen gelten; sie sind.es, wenn sie nur das Ne-
gative sind im Positiven der Begeisterung für ein Allge-
meines, dem ein braver Mann, der das Herz aus dem
rechten Fleck hat, seine kleinen Interessen unterordnet, sein
Glück, sein Theuerstes zu opfern bereit ist. So ist unser
Hutten; ein, wie er selbst gesteht, „nicht immer vorsichtiger,
aber eifriger Kämpfer" gegen diejenigen, welche sich der
aufgehenden Sonne der Bildung und Wahrheit als hin-
dernde'Wolken entgegenstellen; ihn hat Gott mit dem Ge-
müthe beschwert, daß ihm „gemeiner Schmerz weher
thut und tiefer denn vielleicht Anderen zu Herzen geht;"

keine Privatsache ist es, die er betreibt, kein eigener Handel,
kein persönliches Geschäft; „was kann Hutten erfreuen, das
er allein genießen und nicht sogleich, allen Guten mittheilen
möchte ? oder was mag zur Förderung des gemeinen Nutzens
in Deutschland dienlich sein, das er im Verborgenen lassen
dürfte?" er opfert der großen Sache sein Behagen, seine
Sicherheit, er opfert ihr die Ruhe der zärtlich geliebten
Mutter:' .

Obwohl meine fromme Mutter weint,

Da ich die Sach hätt' gfangen an,

Gott wöll sie trösten, es muß gähn!

und er wäre jeden Augenblick gefaßt, im offenen Kampfe
sein Leben hinzugeben. Dieß, das große ethische Wollen
im Elemente von lauter Gluth und Feuer ist es, was
Huttens Erscheinung ihre so bestimmte eigenthümliche Farbe
gibt, was ihn mit einem brennenden Roth unauslöschlich
in die Geschichte eingezeichnet hat, dieß ist es , wodurch er
-.unter den Geisteshelden des sechzehnten Jahrhunderts wie
der jugendliche Renner Achilles leuchtet, oder, mit den
Worten des Biographen zu sprechen: der ganze Ueberschuß
des ritterlichen Feuers in Hutten, das sich durch den Degen
nicht Luft machen konnte, ergoß sich durch'die Feder in
seine Schriften und gab ihnen jenen kriegerischen, jugend-
. liehen, heldenhaften Ton, der ihren unvergänglichen Reiz
ausmacht." Gluth ohne Dauer freilich ist werthlos, Huttens
Gluth aber war nachhaltig, stetig, „mit immer neuen Stößen
drängend, stürmend;" er ermattet nie, Widerstand verdoppelt
den Eifer dieses Heißsporns; ich werde, sagt er seinen
Feinden, stacheln, spornen, reizen, drängen zur Freiheit; die
mir nicht sogleich beifallen, werde ich durch unablässige
Ermahnung besiegen, durch Beharrlichkeit zwingen; dabei
habe ich keine Sorge noch Furcht vor Mißgeschick, sondern
bin auf Beides gefaßt, entweder euch den Untergang zu
bereiten zum großen Vortheil des Vaterlandes, oder mit
gutem Gewissen ehrlich zu unterliegen. Ein Geist von so
ununterbrochen gleich straffer Spannung gehört zu den
großen Seltenheiten im Menschengeschlecht und die Gleich-
mäßigkeit dieser Spannung erscheint in doppeltem Werthe,
wenn man die furchtbar niederschlagende Wirkung einer
Krankheit bedenkt, welche nicht nur von fast unaufhörlichen
Schmerzen, sondern, was spezifisch deprimirender ist, von
fast beständigem Fieber begleitet war. ' „Wir haben, sagt,
Strauß zum Schluffe der Schilderung seiner Leiden, ihm
bisher die Anerkennung unterschlagen, die, neben der Be-
wunderung seiner Schriften, der Geistes stärke gebührt, welche
dazu gehörte, um während eines so schrecklichen, langwierigen
und hoffnungslosen Siechthums Werke hervorzubringen, an
denen nichts matt, Alles Gesundheit, Frische und Leben
ist." Das war nun freilich kein Mann der Transaetionen
und Approximationen. Einer Macht gegenüber, welche nie
nachgibt, nie ein Jota ihres Systemes opfert, muß es, das
begreift er, zum ganzen vollen Bruche kommen. Jacta est

alea! Perrumpendum est tandem, perrumpendum est!

Huttens Geist war der Geist der Entscheidung; es fragte sich,
welches Mittel entscheiden sollte, ob der Geist mit Waffen
des Geistes oder mit dem Schwerte. Hier wendet sich sein
Leben zur tragischen Katastrophe und von seinem Recht oder
Unrecht sprechen wir nachher.
 
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