Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 40.1917

DOI Artikel:
Lachmann, Ismar: Karl Strathmann, München
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8539#0314

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Karl Strathmann-München.

listische Absicht. Der Fabulierer des Pinsels ist
voll bunter Einfälle und glitzernder Phantasien.
Wirklichkeit und Unwirklichkeit mischt er ganz
nach Gefallen. Er schafft Gedichte vollMärchen-
zauber und Rätselromantik. Immer mehr aus
der inneren als aus der äußeren Anschauung.
Die Natur gibt ihm nur Stoff für die Form-
elemente. Er bildet sie um, wandelt sie ab und
schaltet mit ihr nach Belieben. Sein Maßstab
ist nur die dekorative Wahrheit, die als Einheit
ein klingendes Ganzes ergibt.

Man kann diesen Stil leicht kunstgewerblich
bewerten. Strathmann hat ja als Illustrator viele
Köstlichkeiten geschaffen. Aber sein Stil ist
mehr wie Handwerk, er ist zwingendes Aus-
drucksmittel. Strathmann liebt diesen schönen
Schein. Seine Welt ist voll farbigem Glanz und
schimmernder Schönheit. Aus Pflanzen und
Blüten bildet er Ranken und Arabesken, bizarre
Muster und krause gezirkelte Ornamente. Böck-
lins Symbolik, Feuerbachs kühle Romantik
haben ihn stark beeinflußt. Orientalisches und
Ostasiatisches hat auf ihn eingewirkt. Nahe
Verwandtschaft ist hier unverkennbar. Mit
Behagen schwelgt er in Buntheit und Üppigkeit.
Juwelen und Perlen, bunte Steine und Sticke-
reien, Blumen und Teppiche sind seine Augen-
lust. Sie wachsen unter seiner phantastischen
Hand zubunten Wunderfiguren. Um dämmernde
Grotten wuchern prangende Massen von roten
und violetten Kelchen. Stille Lauben sind ein-
gesponnen vom wirren Gerank der Blätter und
Dolden. Blasse Mädchenleiber träumen auf
farbigen Zauberwiesen. Wundervögel kreisen
um hohe Zypressen. Faune und Drachen treiben
ihr Wesen in geheimnisvoll dunklen Bezirken.
Franz von Assisi predigt den Vögeln und Ibykus
schwebt durch die Wolkenbahn. Odalisken
ruhen auf perlengestickten Polstern, Mohren-
gesichter blicken aus Federbüschen und Salome
schwingt schmucküberhangen das Haupt des
Täufers. Funkelnd und farbig wie in Tausend-
undeinernacht ist es in diesem Malerreich. Die
Sinnenfreude des Orients sprüht aus den Har-
monien von Gelb und Rot und leuchtendem
Grün. In den Ausstellungen sah man erstaunt
und befremdet auf diese Bilder. Ihre preziöse
Art war zu außergewöhnlich. Die Masse fand
kein Verhältnis zu ihnen. Man suchte blutfrische
Wirklichkeit und fand geistreiche Abstraktion.
Diese Werke aber wollten nie mehr sein als
farbige Dekoration. Sie waren Kinder einer
noblen Kultur und einer eigenen Welt mit eige-
nen ästhetischen Werten.

Strathmanns Erfindungskraft wandelt den
Formenschatz der Natur zu einer Welt neuer
Erscheinungen. Er handelt nach Flauberts Rat,

ein Ding so lange anzusehen, bis es von allen
als Einziges anders erscheint. Er hat eine Art
„mikroskopisches" Auge. Sein Blick ist ein-
gestellt auf das Kleine und Einzelne. Für diesen
Zweck schuf sich sein Künstlerwille seine eigene
Technik. In peinlichster Kleinarbeit webt er
mit spitzem Pinsel aus zartesten Linien seine
feinziselierten Formengewebe. Wer von den
Heutigen treibt solchen Aufwand an Zeichner-
fleiß? Wer kennt diese Sorgfalt und diese
Gründlichkeit? Der Österreicher Klimt ist viel-
leicht sein einziger Gegenwert. Höchste tech-
nische Fertigkeit ist die Grundlage dieser
strengen Formenkultur. Und dieser glänzende
Zeichner wurde einst als talentlos von der Aka-
demie gewiesen! Macht das Schicksal nicht
zuweilen erheiternde Witze? Der ornamentale
Sinn des Malers spricht am reinsten aus seinen
Stilleben. Hunderte von Blumenvasen hat
dieser emsige Pinsel zu stilisierten Dekorationen
gestaltet. Vasen mit Tulpen, mit Rosen, mit
Narzissen und Mohnblumen wurden zu farbigen
Kostbarkeiten. Diese Stilleben sind ganz neu-
artige Stimmungsmittel für den Raumkünstler.
Wer einmal so eine Tafel in eine Wand ein-
gelassen an intimer Stätte auf sich wirken ließ,
kennt den köstlichen Zauber, der von ihr aus-
strahlt. Unsere Innenarchitekten seien auf diese
Reichtümer hingewiesen! Diese ganze deko-
rative Kunst ist ja nur Dienerin unseres fein-
kultivierten Lebens, Schmuck des schönheits-
verklärten menschlichen Daseins.

Auch in die Landschaft sieht Strathmann
mit seinem gleichen Auge. Auch seine Land-
schaften wollen nicht nachahmen, nur Stimmung
verkünden. Sie singen nicht Thomasche Volks-
lieder oder Weisen von Schwindt. Ihr Ton ist
träumerisch-schwermütig wie der Seufzer ver-
haltener Leidenschaft. Aus ihrer kühlen Pracht
zittert lyrischer Seelenklang. Der Künstler sieht
die Natur nur in Feiertagsglanz. Der „Hügel
im Frühling" und die „Frühlingslandschaft" sind
Teppiche mit kostbar gewirkten Mustern. Der
grüne Grund ist übersät mit Hunderten von
leuchtenden Blumentupfen. Im festlichen Laub-
schmuck streben die Stämme zum Licht. Das
„Anziehende Gewitter" wird zu einem Gobelin
voll erhabener Schönheit. Das Motiv ist fast
dürftig in seiner Einfachheit: Ein weites Wiesen-
feld auf riesiger Fläche. Nur eine Hecke gliedert
den Raum. Vorn ein gefallener Birkenstamm.
Hinten ein einsames Haus. Und welcher Reich-
tum an Stimmungswerten I Glühende Mohn-
blumenköpfe mischen ihr Rot mit dem saftigen
Grün der Matte. Die Wolken ballen sich finster
zusammen und scheuchen das Licht, das in
fahlem Wechsel das Land überflutet. Eine der
 
Annotationen