DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Kunst und Yoga
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9146#0206
G. KOLBE.
KLEIN BRONZE
»KNJEENDEc
1 9 2 3.
KUNST UND YOGA.
Im Zusammenhang mit den zahlreichen Ver-
suchen neuer Geistschulung, die gegenwärtig
unter mehr oder minder geheimnisvoller Auf-
machung in Europa geübt werden, ist Wort und
Begriff des indischen „Yoga" unter den Ge-
bildeten geläufig geworden. Yoga bedeutet
dem Wort nach „Vereinigung". Der Sache
nach bezeichnet es jenes reich durchgebildete,
auf der Erfahrung von Jahrtausenden beruhende
System von geistigen Übungen, die durch Ver-
senkung und geistige Konzentration die tieferen
Innenkräfte freimachen und das einzelne Ich
zur „Vereinigung" führen, zunächst mit dem
konkreten Gegenstand der Meditation, sodann
mit dem großen Sein der Welt. Es werden
verschiedene Arten von Yoga unterschieden,
je nach den konkreten Mitteln, mit denen diese
„Vereinigung" eingeleitet und herbeigeführt
wird; so Karma-Yoga („Vereinigung durch Tat"),
Hatha-Yoga (bestimmte Atemübungen) usw.
Und selbstverständlich — das sei nebenbei be-
merkt — stehen in der Nähe des indischen Yoga
alle jene übuogsmäßigen Mittel zur Geistes-
zucht, Geistesvertiefung, Willensschulung, die
auch in Europa je und je verwendet worden
sind, z. B. in geistlichen Orden, in Künstler-
gilden. Alles was der Mensch unternimmt, um
sich selbst in die Hand zu bekommen und seine
Kräfte zu steigern, gehört schließlich in diesen
Zusammenhang. Denn schon nach indischer
Anschauung ist der Yoga nicht bloß eine geistige
Übung oder eine religiöse Disziplin, sondern
ganz allgemein das praktischste Mittel, sich zu
einer beliebigen Unternehmung vorzubereiten.
„Yoga ist viel mehr eine Praxis als eine beson-
dere Form des Glaubens" (Ananda Cumaras-
wanny, „Shiwas Tanz").
Sehr früh ist nun in Indien bemerkt worden,
daß jener erhöhte Geisteszustand, dem die
Yoga-Übungen zustreben, eine große Ähnlich-
KLEIN BRONZE
»KNJEENDEc
1 9 2 3.
KUNST UND YOGA.
Im Zusammenhang mit den zahlreichen Ver-
suchen neuer Geistschulung, die gegenwärtig
unter mehr oder minder geheimnisvoller Auf-
machung in Europa geübt werden, ist Wort und
Begriff des indischen „Yoga" unter den Ge-
bildeten geläufig geworden. Yoga bedeutet
dem Wort nach „Vereinigung". Der Sache
nach bezeichnet es jenes reich durchgebildete,
auf der Erfahrung von Jahrtausenden beruhende
System von geistigen Übungen, die durch Ver-
senkung und geistige Konzentration die tieferen
Innenkräfte freimachen und das einzelne Ich
zur „Vereinigung" führen, zunächst mit dem
konkreten Gegenstand der Meditation, sodann
mit dem großen Sein der Welt. Es werden
verschiedene Arten von Yoga unterschieden,
je nach den konkreten Mitteln, mit denen diese
„Vereinigung" eingeleitet und herbeigeführt
wird; so Karma-Yoga („Vereinigung durch Tat"),
Hatha-Yoga (bestimmte Atemübungen) usw.
Und selbstverständlich — das sei nebenbei be-
merkt — stehen in der Nähe des indischen Yoga
alle jene übuogsmäßigen Mittel zur Geistes-
zucht, Geistesvertiefung, Willensschulung, die
auch in Europa je und je verwendet worden
sind, z. B. in geistlichen Orden, in Künstler-
gilden. Alles was der Mensch unternimmt, um
sich selbst in die Hand zu bekommen und seine
Kräfte zu steigern, gehört schließlich in diesen
Zusammenhang. Denn schon nach indischer
Anschauung ist der Yoga nicht bloß eine geistige
Übung oder eine religiöse Disziplin, sondern
ganz allgemein das praktischste Mittel, sich zu
einer beliebigen Unternehmung vorzubereiten.
„Yoga ist viel mehr eine Praxis als eine beson-
dere Form des Glaubens" (Ananda Cumaras-
wanny, „Shiwas Tanz").
Sehr früh ist nun in Indien bemerkt worden,
daß jener erhöhte Geisteszustand, dem die
Yoga-Übungen zustreben, eine große Ähnlich-