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NEUNTER GESANG
17.wohlgebauten Hause gekommen, lehnte er die Lanze an eine
30 hohe Säule. Als erste sah ihn die Pflegerin Eurykleia; sie be-
deckte gerade die kunstvoll verzierten Sessel mit Fellen. Wei-
nend lief sie auf ihn zu; auch die andern Dienerinnen des Dul-
ders Odysseus scharten sich um ihn, hießen ihn willkommen
und küßten ihm Haupt und Schultern. Da trat die sinnige
Penelopeia aus ihrem Gemach, der Artemis gleich oder der
goldenen Aphrodite. Weinend schlang sie die Arme um den ge-
liebten Sohn, küßte sein Antlitz und seine schönen Augen und
40 sprach schluchzend die hastigen Worte: „Telemach, süßes
Leben, du kehrst mir zurück? Ich dachte, ich würde dich
nicht wiedersehn, nachdem du heimlich und gegen meinen
Willen nach Pylos gefahren, um Kunde vom lieben Vater zu
holen. Wohlan, erzähle mir, was dir begegnet.“
Der verständige Telemach gab zur Antwort: ,,Liebe Mut-
ter, klage nicht so und mache mir das Herz nicht schwer!
Ich bin ja doch dem Verderben entronnen. Nimm ein Bad,
50 lege reine Gewänder an und gelobe allen Göttern vollkommene
Opfer; vielleicht, daß Zeus endlich Rache gewährt. Ich will
jetzt zum Markt und den Fremdling holen, der mir auf mei-
ner Fahrt von Pylos hierher gefolgt ist. Ich habe ihn mit den
Gefährten vorausgeschickt und Peiraios gebeten, ihn mit nach
Hause zu nehmen, bis ich selbst käme, um ihn sorglich zu
hegen und zu pflegen.“
So sprach er; da schwieg die Mutter. Sie nahm ein Bad,
legte reine Gewänder an und gelobte allen Göttern vollkom-
60 mene Opfer, wenn Zeus endlich Rache gewähre. Telemach
aber schritt durch den Saal hinaus und trug die Lanze. Es
folgten ihm seine beiden Hunde. Und Athena goß göttliche
Schönheit über ihn aus; alle staunten, als er heranschritt.
Die hochmütigen Freier scharten sich um ihn mit freund-
lichen Worten, im Herzen aber hegten sie schlimme Gedan-
NEUNTER GESANG
17.wohlgebauten Hause gekommen, lehnte er die Lanze an eine
30 hohe Säule. Als erste sah ihn die Pflegerin Eurykleia; sie be-
deckte gerade die kunstvoll verzierten Sessel mit Fellen. Wei-
nend lief sie auf ihn zu; auch die andern Dienerinnen des Dul-
ders Odysseus scharten sich um ihn, hießen ihn willkommen
und küßten ihm Haupt und Schultern. Da trat die sinnige
Penelopeia aus ihrem Gemach, der Artemis gleich oder der
goldenen Aphrodite. Weinend schlang sie die Arme um den ge-
liebten Sohn, küßte sein Antlitz und seine schönen Augen und
40 sprach schluchzend die hastigen Worte: „Telemach, süßes
Leben, du kehrst mir zurück? Ich dachte, ich würde dich
nicht wiedersehn, nachdem du heimlich und gegen meinen
Willen nach Pylos gefahren, um Kunde vom lieben Vater zu
holen. Wohlan, erzähle mir, was dir begegnet.“
Der verständige Telemach gab zur Antwort: ,,Liebe Mut-
ter, klage nicht so und mache mir das Herz nicht schwer!
Ich bin ja doch dem Verderben entronnen. Nimm ein Bad,
50 lege reine Gewänder an und gelobe allen Göttern vollkommene
Opfer; vielleicht, daß Zeus endlich Rache gewährt. Ich will
jetzt zum Markt und den Fremdling holen, der mir auf mei-
ner Fahrt von Pylos hierher gefolgt ist. Ich habe ihn mit den
Gefährten vorausgeschickt und Peiraios gebeten, ihn mit nach
Hause zu nehmen, bis ich selbst käme, um ihn sorglich zu
hegen und zu pflegen.“
So sprach er; da schwieg die Mutter. Sie nahm ein Bad,
legte reine Gewänder an und gelobte allen Göttern vollkom-
60 mene Opfer, wenn Zeus endlich Rache gewähre. Telemach
aber schritt durch den Saal hinaus und trug die Lanze. Es
folgten ihm seine beiden Hunde. Und Athena goß göttliche
Schönheit über ihn aus; alle staunten, als er heranschritt.
Die hochmütigen Freier scharten sich um ihn mit freund-
lichen Worten, im Herzen aber hegten sie schlimme Gedan-