Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
B. 1. Die westöstliche Richtung der jonischen Inseln im Altertum. 87

Hier greift eine wichtige Beobachtung über die Himmelsrichtung der jonischen
Inseln ein, die wir J. Partsch verdanken. In seiner Monographie über Korfu (1887, 73)
und über Kephallenia und Ithaka (1890, 56) hat dieser beste Kenner der jonischen
Inseln nachgewiesen, dass bei den Bewohnern und Besuchern dieser Inseln sich zu
allen Zeiten die Neigung bekundet, die südliche oder südöstliche Richtung der epi-
rotisch-akarnanischen Küste und der vorgelagerten Inseln als eine rein östliche auf:
zufassen. Namentlich hat er gezeigt, dass auch alle antiken und mittelalterlichen
Schriftsteller und selbst Geographen wie Strabon geglaubt haben, dass die Küstenlinie
von Korfu über die Mündung des ambrakischen Golfes bis zum Golfe von Korinth im
allgemeinen in westöstlicher Richtung verlaufe und mit ihr auch die davor liegenden
Inseln dieser Richtung folgen. Er stützt sich dabei nicht nur auf antike und mittel-
alterliche Karten, sondern auch auf die Berichte venezianischer Admirale und sogar
auf den Sprachgebrauch der heutigen Bewohner der jonischen Inseln (vgl. unsere
Tafeln 17, 18, 19).

Ich habe mich oft von der Richtigkeit dieser wertvollen Beobachtung überzeugt und
glaube beweisen zu können, dass auch Livius und sein Gewährsmann Polybios, denen
Partsch ausnahmsweise die Kenntnis der richtigen Orientierung zuschreibt (Peter-
marins Geogr. Mitteil. 1907, 5), ebenfalls der falschen Orientierung folgen. Denn
wenn Livius in seinem Berichte über die Belagerung der Stadt Leukas durch die
Römer im Jahre 197, der auf Polybios zurückgeht, sagt: „Leucadia tum paeninsula
erat, occidentis regione artis faucibus cohaerens Acarnaniae", so heisst das nichts wie
Partsch übersetzt: „Leucadia war damals eine Halbinsel, die mit der Westküste von
Akarnanien durch einen schmalen Isthmus zusammenhing", sondern „die in ihrer
westlichen Gegend oder in ihrem westlichen Teile mit Akarnanien verbunden war."
Livius bezeichnet also das Nordende von Leukadien, wo die Nehrung sich befand, als
die westliche Gegend der Insel und teilt damit die falsche Auffassung, die alle Schrift-
steller von Leukas haben. Bei meinem langjährigen Aufenthalt auf den jonischen
Inseln habe ich ferner mehrere Angaben der heutigen Bewohner sammeln können, in
denen sie noch jetzt den Norden und Nordwesten mit dem Westen und den Südosten
mit dem Osten verwechseln. So wird z. B. der vom Peloponnes kommende Wind heute
in Leukas als Ostwind, der vom Pestlande wehende als Nordwind bezeichnet. Der von
Korfu kommende Wind, der Zephyros oder Westwind der Alten, der heute Maistro
genannt wird und im Sommer angenehme Kühlung bringt, kommt in Wirklichkeit von
Norden oder Nordwesten.

Auf diese falsche Orientierung der antiken Karten von Westgriechenland gehen
auch die Angaben der antiken Schriftsteller über den Seeweg von Griechenland nach
Sizilien zurück. Denn nur so erklärt es sich, wenn z. B. bei Thukydides (I, 36 und 44)
die Gesandten der Kerkyräer in Athen darauf hinweisen, dass ihre Insel sehr günstig
an dem Wege von Griechenland nach Sizilien liege. Man pflegte damals tatsächlich
diese Reise stets über Kerkyra zu machen, weil man glaubte, dass diese Insel Westlich
vom korinthischen Meerbusen liege; man ahnte nicht, dass man dabei einen grossen
Bogen nach Norden machte. Die richtige Orientierung der jonischen Inseln und der
 
Annotationen