Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
B. 1. Die westöstliche Eichtung der jonischen Inseln im Altertum. 89

wird niemand zu behaupten wagen, dass Homer schon die richtige Orientierung der
Inseln und damit auch die wirkliche Lage von Kerkyra und der odysseischen Inseln
gekannt habe. Dass das Gegenteil der Fall war, ist leicht zu zeigen.

Erstens lässt Homer den Odysseus aus dem fernen Westen über Thrinakia (Süd-
Italien) und Scheria (Kerkyra) nach Ithaka zurückkehren, also auf demselben Wege
über Kerkyra, den später die Alten stets benutzten, wenn sie von Sizilien nach
Griechenland fuhren. Zweitens lässt Homer dem Telemach von Athena einen günstigen
Westwind geben, damit er von Ithaka nach Pylos fahren kann (Od. 2, 421). Die
Eichtung von Ithaka nach der Westküste des Peloponnes, die für uns eine fast nord-
südliche ist, war also für Homer eine westöstliche, für die der Westwind am besten war.
Gilt somit die Karte mit unrichtiger Orientierung auch für Homer, so haben wir
auf dieser Karte die westlichste der vier Inseln des Odysseus zu bestimmen, um nach
unserem dritten Erkennungszeichen die homerische Insel Ithaka zu finden. Welche
der vier grossen Inseln die westlichste ist, kann auf unserer Tafel 19 nicht zweifel-
haft sein: Leukas ist die allerletzte Insel nach Westen, östlich folgt zunächst das
Inselpaar Kephallenia und Thiaki und noch weiter nach Osten Zakynthos.

Ergibt sich hieraus, dass unser drittes Erkennungszeichen für das homerische Ithaka
entschieden für Leukas spricht, Thiaki dagegen ausschliesst, so wird ferner durch das
Vorhandensein eines Inselpaares zwischen Leukas und Zakynthos nun auch der bisher
nicht passende Rest unseres ersten Erkennungszeichens erfüllt. Denn dass die beiden
Inseln Kephallenia und Thiaki eine zusammengehörige Gruppe bilden, lehrt der Augen-
schein und wird durch den Umstand bestätigt, dass beide im Mittelalter eine Zeit lang
Cefalonia grande und piccola genannt wurden.

Nicht minder deutlich spricht schliesslich für Leukas als wahre Insel des Odys-
seus auch unser zweites Erkennungszeichen, nämlich seine Lage dicht am Fest-
lande. Ist es doch gerade das Charakteristische von Leukas, dass es allein von den
vier grossen Inseln dicht an der Küste, unmittelbar am Festlande liegt, während die
anderen drei Inseln alle weit von der Küste entfernt sind. Leukas liegt so nahe am
Festlande, dass es, wie wir sahen, von fast allen Homerforschern für die homerische
Zeit nicht einmal als wirkliche Insel anerkannt, sondern für eine Halbinsel erklärt
worden ist.

Nur Leukas erfüllt also die drei Hauptbedingungen, die wir nach Homer an die
Lage von Ithaka stellen mussten, und erfüllt sie restlos. Das heutige Ithaka dagegen,
das seit der klassischen Zeit allgemein als Heimat des Odysseus gilt und den home-
rischen Namen Ithaka führt, kann nur dann den Anforderungen Homers eiuigermassen
entsprechen, wenn erstens Leukas für die Zeit des Epos nicht als Insel gerechnet wird,
damit westlich (für uns nördlich) von Thiaki keine Insel mehr liegt, und wenn zweitens
Z,6ooc, als Norden gedeutet wird. Beides geschah im Altertum durch Strabon und ge-
schieht heute durch diejenigen Forscher, die Thiaki als homerisches Ithaka zu ver-
teidigen suchen. Dass beides aber unzulässig ist, haben wir oben gezeigt.

Jetzt erst verstehen wir, warum mit den Alten auch viele der heutigen Gelehrten
Leukas durchaus nicht als Insel anerkennen wollen: sie dürfen es nicht, damit sie nicht
 
Annotationen