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BAUGESCHICHTLICHER ÜBERBLICK

Kirchen, Klöster und Kapellen
Ältester Sakralbau auf dem heutigen Stadtgebiet Lüneburgs dürfte die Vorgängerin der
heutigen St. Johanniskirche gewesen sein, deren Ursprung vermutlich im 9.Jh. liegt. Sie
erfüllte die Funktion einer Taufkirche des Bardengaus in dem zum Stift Verden gehören-
den Dorf Modestorpe und wurde nach 1000 als Archidiakonatsitz ausgezeichnet. Weder
schriftliche Quellen noch archäologische Funde aufgrund fehlender Grabungen können
bisher einen Vorgängerbau nachweisen, der vermutlich als ein feldsteingegründeter
Fachwerkbau vorzustellen ist. Der heutige Bau wurde unter dem Verdener Bischof Kon-
rad zunächst als dreischiffige Halle konzipiert, die sich in der Kleinform an der Lübecker
Marienkirche und in der Langhausdisposition am Verdener Dom orientierte. Ab dem
Ende der 70er Jahre des 13.Jh. aufgeführt, konnten Chor und das wahrscheinlich ab
den 1290er Jahren errichtete Langhaus bereits zwischen 1300 und 1312 vollendet wer-
den. Seinen Aufriss charakterisieren kantonierte Pfeiler sowie rippengleiche Gurt- und
Scheidbögen. Nachdem Schaft und Glockenstube des Turms bereits in den 1340er
Jahren fertiggestellt waren, wurde der Baufortgang unterbrochen, sodass der Turmhelm
wohl erst Mitte der 1380er Jahre aufgebracht wurde. Etwa ab der Mitte des 14.Jh. setz-
te die Erweiterung des Kernbaus ein, der in seiner wesentlichen Gestalt als fünfschiffiger
Bau bis um 1390 vollendet war.
Initiator für den Neubau der Lüneburger Johanniskirche war der Verdener Bischof als
Angehöriger des welfischen Herzogshauses, das parallel zum Bau von St. Johannis
einen Neubau der Kirche des Klosters St. Michael auf dem Kalkberg aufführen ließ (1306
Weihe), dem Sitz seiner Burg. Anzunehmen ist, dass St. Michael als Hauskloster der
Herzöge wahrscheinlich denselben Bautyp vertrat. Da auch der Verdener Domchor unter
dem Episkopat eines Angehörigen der Herzogsfamilie begonnen worden war, scheint
sich hier eine stilistische Übereinkunft im Sinne eines Territorialstils abzuzeichnen, der
gleichzeitig für andere Kirchenbauten verbindlich wurde (Böker, 1988). Der stilistische
Einfluss von St. Johannis, der sich in Uelzen, Hamburg und Hannover beobachten lässt,
weitete sich bis in die Altmark und Brandenburg aus (Michler, 1967).
Nachdem es dem Verdener Bischof trotz der Bestätigung durch Papst Bonifaz IX. (19.
März 1401) nicht gelungen war, St. Johannis zur Kathedralkirche zu erheben - Bestre-
bungen, die den hohen Rang der Johanniskirche unterstreichen - gelang es der Bürger-
schaft, gestärkt durch den Sieg über den Landesherrn des Jahres 1371, 1406 das
Patronatsrecht über die Kirche zu erlangen. Damit verloren die Domherren jeden
Anspruch auf die Besetzung des Pfarramtes, sodass dem Archidiakon lediglich die
Einführung des vom Rat ausgewählten Geistlichen blieb.
Auch die nach der Zerstörung von Kloster und Burg auf dem Kalkberg 1371 innerhalb
der Stadt wieder aufgebaute St. Michaeliskirche zitiert den Verdener Dom als Kirche des
zuständigen Bistums. Bis 1471 diente sie als herzogliche Grablege. Finanziell beteiligt
war das Fürstenhaus auch durch die Übertragung der Einkünfte aus der Cyriakuskirche.
Dennoch konnte der Bau nach der Grundsteinlegung 1376 nach einer Zwischenweihe
des Chors und der drei östlichen Langhausjoche infolge einer Bauunterbrechung erst
1418 geweiht werden. Die Grundrissdisposition, wie bei St. Johannis handelt es sich um
eine dreischiffige Hallenkirche von diesmal sechs Jochen und einer an den Verdener
Domchor erinnernden Apsis aus 5/10-Schluss mit Halbjoch, scheint ein deutlicher Rück-
griff auf die regionale Sakralarchitektur des ausgehenden 13.Jh. zu sein. So verweisen
die Rundpfeiler mit vier dünnen Dienstvorlagen auf die Johanniskirche und den Verdener
Dom, ebenso die breiten profilierten Scheidbögen, über denen mittelschiffseitig ein
sichelförmiger Mauerstreifen frei bleibt. Unterschiede bestehen in der Raumproportio-
nierung, indem die Pfeiler an Höhe gewinnen. Für die Gestaltung der durch steile Fens-
terbahnen stark aufgelösten Außenwand diente der Obergaden des Magdeburger Doms
als Vorbild.
Insbesondere auf der Ebene von Stiftskirchen fand die Lüneburger Michaeliskirche
Nachfolge (z.B. Stiftskirche von Bardowick: Chor um 1404/05, Langhaus um 1427/28
fertiggestellt). Erwähnenswert sind weiterhin die 1447 begonnene Abteikirche von Har-
sefeld (Kreis Stade) und die ebenfalls als Halle konzipierte Wallfahrtskirche St. Nikolaus
in Wilsnack. Zu den bekanntesten Nachfolgebauten der Michaeliskirche zählen der Dom
und die Marienkirche von Stendal, die auf das hochgotische Hallenschema im 2. Viertel
des 15.Jh. zurückgriffen.

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