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Fünftes Kapitel.
Der Totenglaube der älteren Zeit und des
neuen Reiches.
Wenn es eine Seite gibt, in der sich das ägyptische
Volkstum von jedem anderen unterscheidet, so ist es sein
lebhaftes Interesse an den Toten. Während andere Völker,
wie die Hebräer oder die homerischen Griechen, sich nur
wenig mit dem Schicksal ihrer Abgeschiedenen beschäftigen,
denkt der Ägypter unablässig an sie, und unermüdlich ist er
beschäftigt, sie zu pflegen und für ihr Heil zu sorgen.
Und diese Totenpflege hat sich bei ihm ins Übertriebene
und Sinnlose gesteigert. Zur Verehrung der Götter oder zu
praktischen Zwecken haben auch andere Völker Bauten
errichtet, die sich den ägyptischen Riesentempeln an die
Seite stellen lassen, aber Gräber wie die großen Pyramiden
oder wie die Felsengräber Thebens gibt es nicht noch einmal
in der Welt. Und nirgends hat man so vieles und so wert-
volles in die Gräber gelegt, um den Verstorbenen ihr Dasein
zu erleichtern. Solchen Anstrengungen würde sich das ägyp-
tische Volk nicht während dreier Jahrtausende unterzogen
haben, wenn es nicht eben besondere Vorstellungen über die
weitere Existenz der Toten gehabt hätte, Vorstellungen,
denen wir noch heute nachgehen können, dank jener alten
Totenliteratur, die in fast unübersehbarer Menge auf uns
gekommen ist.
Freilich eine Literatur in gewöhnlichem Sinne ist sie
nicht oder sie ist es doch nur zum kleinsten Teile; es sind
zumeist nur kürzere oder längere Sprüche, wie man sie am
Grabe von alters her aufsagte. Wir kennen diese Sprüche
besonders aus zwei großen Sammlungen, aus den sogenannten
Pyramidentexten und dem sogenannten Totenbuche. Pyra-
midentexte nennen wir die langen Inschriften einiger Pyra-
miden aus dem Ende des alten Reiches, in denen man den
toten Königen gleichsam eine Bibliothek uralter Texte bei-
gegeben hat, die auf das Schicksal der verstorbenen Herrscher
 
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