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Zwölftes Kapitel.
Die ägyptische Religion in Europa.
Als der alte Baum der ägyptischen Religion schon im
Absterben war, trieb er noch einen wilden Schößling, der
wunderbar genug ferne Länder überschattete; durch das
weite römische Reich hin gewann der Glauben der Isis und
des Osiris sich eine eifrige Gemeinde.
Die Bekanntschaft mit diesen Göttern war längst durch
die ägyptischen Schiffer und Händler vermittelt, die sich
in den Hafenorten des Mittelmeeres und in seinen großen
Städten niedergelassen hatten. Sie bildeten dort ägyptische
Gemeinden, deren geheimnisvolle Feste anziehend und an-
steckend auf ihre griechischen Mitbürger wirkten1). Schon
im vierten Jahrhundert v. Chr. treffen wir im Piräus auf
ein Heiligtum der Isis, das freilich noch einen privaten Cha-
rakter trug; im nächsten Jahrhundert steht dann in Athen
schon ein öffentlicher Serapistempel. Zur gleichen Zeit
treffen wir in Rhodus, Lesbos, Smyrna, Priene und an anderen
Orten auf ägyptische Heiligtümer; in Delos beginnt der Kultus
des Serapis und der Isis im Anfang des zweiten Jahrhunderts
v. Chr. und spielt auf diesem heiligen Eiland eine große
Rolle. Auch ins Festland hinein dringt bald die Verehrung
der ägyptischen Götter, und im zweiten Jahrhundert v. Chr.
ist z. B. in Orchomenos und Chaeronea die Verehrung von
Serapis, Isis und Anubis schon so eingewurzelt, daß sich
die Sitte herausgebildet hat, Sklaven, die man freilassen will,
der Isis und dem Serapis zu weihen.
Oft werden auch die ägyptischen Götter schon mit
griechischen zusammengezogen: Isis ist Nemesis und Di-
kaiosyne, Nike und Hygieia, oder man macht sie gar in Delos
zur Isis-Soteira-Astarte-Aphrodite und gibt ihr den Eros-
Harpokrates-Apollon zum Sohne.
Aber die eigentliche Bedeutung erhielt dieses Wesen doch
erst dann, als es in römischer Zeit auch die gebildeten Stände
*) Das Folgende nach Rusch, de Serapide et Iside in Graecia cultis
(Berl. Inaug. Diss. 1906).
 
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