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Siebentes Kapitel.
Die Zauberei.
Die Zauberei ist ein wilder Seitentrieb der Religion; die
Gewalten, die mit des Menschen Schicksal schalten, unter-
nimmt sie zu zwingen. Wie der Glaube an die Möglichkeit
eines solchen Unterfangens entstehen kann, ist wohl zu
ersehen. Ein Gebet scheint das eine Mal von der Gottheit
erhört zu sein, das andere Mal nicht; da stellt sich unwillkür-
lich der Gedanke ein, daß die Worte, in die es das erste Mal
gekleidet war, der Gottheit besonders genehm gewesen sind.
Nun gilt diese Fassung als die beste, sie wird zur Formel,
von der man bald annimmt, daß sie immer wirkt, daß sie
das Schicksal zwingt. Und derselbe unrichtige Schluß führt
dann weiter zu bestimmten Handlungen und Unterlassungen.
Heute ist etwas gelungen, was neulich mißglückt war; offen-
bar hattest du die Gottheit oder irgend ein unbekanntes
Wesen damals durch etwas gekränkt und heute durch etwas
erfreut, und wenn es dir gelingt, dies zu ergründen, so wirst
du auch in Zukunft dieses Mißgeschick vermeiden oder dieses
Glück hervorrufen können. Und wer dann über diese Dinge
grübelt und das Wesen der Götter kennt, der wird auch bald
ersehen, was es gewesen sein kann. Wer daher am meisten
von den Göttern weiß, der wird auch der beste Zauberer sein,
und auch bei den Ägyptern gilt der »oberste Cherheb« (S. 68),
der Priester, der die alten heiligen Bücher in- und auswendig
kennt, als solcher.
Hat das Denken eines Volkes erst einmal diese Richtung
eingeschlagen — und gerade jugendliche naive Völker
müssen ihr am ersten verfallen — so ist kein Halten mehr
und neben der edlen Pflanze der Religion wuchert das tolle
Unkraut der Zauberei empor. Bei Völkern mit beschränkter
Begabung erstickt es sie schließlich ganz und es entsteht
jenes Barbarentum, das an keine feste Ordnung der Welt
glaubt, dessen Höchstes der zauberkräftige Fetisch ist und
dem der Hexenmeister mit seinem Hokuspokus den Priester
ersetzt.
 
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