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Neuntes Kapitel.
Die Toten in der Spätzeit.
Wie sich das sinkende Ägyptertum in der Religion an
das alte Herkommen klammerte, als läge in dessen Be-
obachtung das alleinige Heil, so hat es sich auch in dem
Totenwesen bestrebt, alles nachzuahmen und zu erhalten,
was nur irgend ein früheres Jahrhundert zum Heile der Ver-
storbenen erdacht hatte. Alle Klassen der Totenliteratur,
die je existiert haben, werden jetzt hervorgesucht und dem
Toten beigegeben, auf Papyrus oder in den endlosen In-
schriften der Särge und Gräber. Die Pyramidentexte (S. IOI j,
die seit dem alten Reiche fast vergessen waren, treten wieder
auf; die Totenbuchtexte werden zu einem Kodex vereinigt,
der eine Papyrusrolle von fast zwanzig Meter Länge erfordert;
die Bücher von der Fahrt der Sonne werden mit all ihren
Bildern auf den großen Steinsärgen angebracht. Und zu
dieser alten Literatur treten nun noch andere kleinere Bücher,
die auch alle alt sein wollen, wenn auch gewiß manche sehr
junge Fabrikate dabei sind. Da sind die Klagen der Isis
und Nephthys um ihren Bruder Osiris, aus denen wir oben
ein Stück mitgeteilt haben (S. 39); da ist das Buch vom
Atmen, das besonders in Theben beliebt war; da ist die Klage
um den Sokaris, das Ritual der Balsamierung, das Buch von
der Besiegung des Apophis und so manches andere. Viel kann
man freilich von der alten Literatur nicht verstanden haben,
denn ihre Texte waren meist schon bis zur Sinnlosigkeit ent-
stellt; doch gerade dies ließ sie um so geheimnisvoller er-
scheinen und das Geheimnisvolle, Unverständliche gilt dieser
Epoche schon als das Kennzeichen des Heiligen und Ehr-
würdigen.
Die Königsgräber der Spätzeit sind für uns verloren,
aber schon die Gräber der reichen Privatleute zeigen uns
zur Genüge, wie diese Epoche ihre Pflichten gegen die
Toten auffaßte: sie übertreffen an Großartigkeit alle Gräber
der früheren Perioden. Keines der thebanischen Königs-
gräber kann sich an gewaltiger Ausdehnung mit dem Grabe
 
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