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Evers, Hans Gerhard; Rubens, Peter Paul [Ill.]
Peter Paul Rubens — München, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.28046#0136
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anderen Grund gesetzt, wie in den Porträts die Litzen und Spitzen auf den dunkelfarbigen
Kleidern. Sie vermählen sich nicht mit einem Gesamtraum im Bilde, sondern sie gehören
zu einer Art Zwischenwelt und Zwischenschicht; so wie man Schattenrißfiguren kennt, so
müßte man hier von Lichtrißfiguren sprechen.
In manchen Beschreibungen kann man lesen, daß Rubens in seinem Schauspiel das Geistige
in einen brutalen körperlichen Vorgang verwandelt habe, daß diese Männer das Kreuz mit
einer Muskelanstrengung emporwuchten, der das Gewicht nicht entspricht, und daß die
rohe Körperkraft über die geistige Mitte des Bildes, über Christus triumphiere. Aber eher
das Gegenteil ist richtig. Rubens hat nicht eine Naturnachahmung nackter Menschen gemalt,
sondern, in einem menschlichen Körper drängt etwas ganz Jenseitiges, ganz Transzenden-
tes zum Ausdruck, und zwar nicht in seiner Handlung, sondern in seinem Dasein. Rubens'
Akte sind nicht körperschwer, sondern daseinsdicht. Aus ihrer Dichte (niemals aus ihrer
Muskelkraft) kann die farbige Durchsichtigkeit werden, mit der sie Rubens später malt.
Menschliche Gestalten zu bilden ist für den menschlichen Künstler eine Schöpfung, sie ist
der Ornamentsetzung verwandt. Ein Jahr später, in der Kreuzabnahme, hat Rubens die
Fülle der nackten Gestalten nicht mehr, sondern setzt nur noch den einen nackten Chri-
stusleib unter lauter bekleidete Menschen. Und so hat er auch weiterhin viele Akte gemalt,
aber nicht mehr ein Bild, das aus einer Welt der Gestalten allein besteht, da die späteren
Akte vielmehr Teile einer Raumwelt, oder einer Lichtwelt, oder sonst eines größeren Zu-
sammenhanges sind.
Deshalb braucht man nicht zu übersehen, daß Rubens wirklich das Motorische, den ratio-
nalen Zusammenhang einer Tätigkeit, aufs genaueste durchdacht hat. Es ist einer der wich-
tigsten Triebe der „barocken" Menschen, daß sie unter dem Einfluß der naturwissenschaft-
lichen Forschung auch das, was ihnen vom Geist her überliefert ist, sich naturwissenschaft-
lich klarzumachen suchen. So daß für die Gestaltung des nackten Körpers Rubens eine
ähnlich zusammenfassende und einen Übergang bezeichnende Stellung hat, wie für die
Tiermalerei: zugleich ein mittelalterlicher Glaubender, zugleich ein moderner Forschender.
Die größte Dichte und Deutlichkeit der Körperfigur ist nicht auf die Stemmenden, sondern
auf Christus selber übertragen. Und gerade in Christus bricht der Sinn der Gestalt unmit-
telbar aus dem Rationalistischen ins Religiöse um. Daß Christus lautlos emporschwebt,
aufatmend, nicht aufschreiend, so daß innerhalb der lastenden Schwere plötzlich etwas von
der Schwerelosigkeit einer Himmelfahrt entsteht, daß über ihm Gottvater ihn erwartet,
damit ist der Sinn angedeutet, den dieses Gitterwerk an Gestalten zweihundert Jahre lang
im Chor der Kirche gehabt hat.
Heute steht in der gleichen Kathedrale im anderen Querschiff der Kreuzabnahmealtar^)-
Damit sind wie Gegenstücke zwei große Werke vereinigt, die auch in der Entstehung zu-
sammengehören, nur daß die Kreuzabnahme um ein Jahr später und entsprechend um
einen deutlichen Abstand weiter in der inneren und formalen Entwicklung bei Rubens ent-
standen ist.
Freilich dieser Altar war nie ein Hochaltar, sondern ein Gildenaltar, bestellt von der Schüt-
zengilde der Kloveniere (Handfeuerwaffe). Im protestantischen Holland bestellten diese
Schützengesellschaften Porträts, im katholischen Flandern Altäre. Die Beratungen über den
Altar begannen am 13. März 1611. Am 7. September wurde der Vertrag abgeschlossen und

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