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Die Papiere.
Pastor, gefolgt von seinem Adjutanten dem Küster, eintraf,
von welchen der Letztere sich bestrebte eine noch feierlichere
Amtsmiene aufzusetzen als Seine Hochwürden.
In der lauten Fröhlichkeit hatte man das Rollen einiger
Wagen überhört, welche eintrafen, ehe die Brautleute eigent-
lich zurück sein konnten. Da hörte man vor der Thür ein
Schluchzen; sie öffnete sich und die Braut stürzte sich laut
weinend an die Brust einer Freundin, aber es waren nicht
mehr Thronen der Freude, sondern des bittersten Schmerzes.
Hinter ihr her schlich der Bräutigam wie ein begossener Pudel.
„Was ist geschehen ?* fragt man von allen Seiten ängstlich.
„Die Papiere sind nicht in Ordnung." seufzte der Bräutigam.
„Der Identitäts-Akt fehlt!" jammerte die Braut.
„Erklären Sie sich deutlicher," sprach ein anwesenderJustiz-
rath. „Vielleicht ist noch zu helfen."
„Statt eines Taufscheines," erklärtederBräutigam, „brachte
ich die Bescheinigung, daß kurz nach meiner Geburt mein Ge-
burtsort von den Franzosen in Brand geschaffen wurde, bei
welcher Gelegenheit auch die Taufbücher verbrannten; ferner
überreichte ich ein, von dem Notar aufgenommenes Zcugniß
zweier Personen, daß kurz vorher meinem Vater ein Sohn
geboren wurde, der in der Taufe den Namen Wilhelm em-
pfing. Nun will sich aber der Civilstandsbeamte nicht damit
begnügen, und verlangt noch einen Identitäts-Akt zum Be-
weise, daß ich wirklich der besagte Wilhelm Müller sei; er
meint, es gäbe der Wilhelm Müller viele in der Welt."
„DahaterfreilichRecht," bemerktederJustizrath. „Wennwir
nureinen zweiten Zeugen aus Ihrem Geburtsort auftreiben könn-
ten, den einen würde Ihr Bruder rechtsgültig abgeben können."
Aber man wußte keinen zweiten Zeugen aufzutreiben.
„Ich sehe, es soll nicht sein!" rief aufs Neue laut
schluchzend Emilie und warf sich auf das Sopha.
„Ich bitte dich," sprach der Bräutigam halb in einem trö-
stenden, halb in einem vorwurfsvollen Tone, „sprich nicht so
thöricht; diese Störung wird unser Glück keine zwölf Jahre
verzögern; und dann bist du im Grunde ja selbst Schuld daran.
Warum schriebst du nicht, daß ein Identitäts-Akt nöthig!"
„Wer kann die abscheulichen Worte alle behalten," erwie-
derte sie.
„Siehst du, die Fremdworte!" bemerkte Conrad.
„Geh zum —" rief der Bräutigam mit dem Fuß stampfend,
indem er nur mühsam einen unbrüderlichen Fluch unterdrückte.
„Ich habe aber doch Recht," flüsterte der Bruder leise, denn
nichts ist für einen Pädagogen härter als nicht Recht zu be-
halten, wo er im Rechte ist, und mögen zehn Brüder und
Bräutigame darüber aus der Haut fahren.
„Wie glücklich ist, wer das vergißt, was nun nicht mehr
zu ändern ist," sang Emiliens heiterer Oheim dazwischen.
„Wißt ihr was, Kinder? Schlagt Euch die Grillen aus dem
Kopfe! Kommt laßtunsthun, als wenn wirklich Hochzeit wäre."
Der Bräutigam warf bei diesen Worten einen eigenthüm-
lich fragenden Blick auf die Braut, den diese glücklicher Weise
nicht bemerkte. Die andern aber stimmten dem fröhlichen
Oheim bei, und das Paar wurde bald mit zur Tafel gezogen.
Aber es war doch ein trauriges Fest, das unterbrochene
Hochzeitsfest. Es schien, als ob der edle Rebensaft zu Effig
geworden wäre. Freilich die Austern kosteten den Citronensaft,
aber dem Brautpaar war ohnehin schon Alles versäuert.
Erst nach vierzehn Tagen gelang es das Versäumniß nach-
zuholen, und das Paar feierte dann erst eine stille Hochzeit.
Die bösen, bösen Papiere! Sie haben schon manches Unheil
angestiftet, mehr als die Fremdworte. Wie manches unter-
brochene Hochzeitfest haben sie nicht herbeigeführt, und nicht immer
gelang es, das Fehlende zu ergänzen. Fragt man ein Mädchen,
was schon lange mit dem Geliebten nmherzieht: „Wann wird
denn endlich Hochzeit sein?" so zuckt sie die Achselund sagt: „Ja,
die Papiere!" Und wenn ein Unglück passirt, wer ist daran
Schuld? Wieder die Papiere, und immer die Papiere!
Oh! ihr Mädchen zur Liebe geboren, sorgt vor allem
und bei Zeiten für gehörige Papiere.
Carl Cramer.
Papierschnitzeln.
Devotion. „Wohin befehlen der Herr Prinzipal die
Muster zu adressiren?"
„Nach Devotion."
„Nach Devotion? Das möchte doch wohl einJrrthum
sein-“
„Ei was, hören Sie nur, wie unser Reisender am Schluffe
schreibt: In acht Tagen gedenke ich in Leipzig zu sein; die
fraglichen Muster senden Sie mir aber gefälligst umgehend,
in deren Erwartung ich unterdeffen in Devotion verbleibe."
Submission. „Entschuldigen Se gütigst, komme ich hier
auf den Submissions-Weg?"
„Was, ist der Kerl dem Tollbaus entsprungen?"
„Entschuldigen Se gütigst, ich bin Wollenwaaren-Fabrikant
aus Halle und habe da ein Lieferungs-Anerbieten, ivelches auf
dem S u b m i s s i o n s - Weg im Komniandantschafts - Gebäude
Xro. 2 eingercicht werden soll."
Eine Haussuchung. Polizist. „Madame Schnarcher,
ich finde hier im Pulte ihres Mannes das Buch: „Die
bayerische Verfaffung." Innen am Deckel ist mit Bleistift be-
merkt: „Steif gebunden.""
Mad. Schnarcher. „Ja, mein Mann holte es gestern vom
Buchbinder und dieser wird ..."
Polizist. „Keine Ausflüchte, Madame; Sie sind des
Mitwisiens der Verspottung unserer Verfassung damit selbst
geständig und haben sich die Folgen zuzuschreiben."
Schlaue Vorbeugung. „Solche Schmachworte, wie
Sie mir gegeben, erheischen Genugthuung; Sie sind gefordert."
„Mit Ihnen losgehen? — Ich habe Sie ja so ge-
schimpft, daß Sie satisfaktionsunfähig geworden."
Die Papiere.
Pastor, gefolgt von seinem Adjutanten dem Küster, eintraf,
von welchen der Letztere sich bestrebte eine noch feierlichere
Amtsmiene aufzusetzen als Seine Hochwürden.
In der lauten Fröhlichkeit hatte man das Rollen einiger
Wagen überhört, welche eintrafen, ehe die Brautleute eigent-
lich zurück sein konnten. Da hörte man vor der Thür ein
Schluchzen; sie öffnete sich und die Braut stürzte sich laut
weinend an die Brust einer Freundin, aber es waren nicht
mehr Thronen der Freude, sondern des bittersten Schmerzes.
Hinter ihr her schlich der Bräutigam wie ein begossener Pudel.
„Was ist geschehen ?* fragt man von allen Seiten ängstlich.
„Die Papiere sind nicht in Ordnung." seufzte der Bräutigam.
„Der Identitäts-Akt fehlt!" jammerte die Braut.
„Erklären Sie sich deutlicher," sprach ein anwesenderJustiz-
rath. „Vielleicht ist noch zu helfen."
„Statt eines Taufscheines," erklärtederBräutigam, „brachte
ich die Bescheinigung, daß kurz nach meiner Geburt mein Ge-
burtsort von den Franzosen in Brand geschaffen wurde, bei
welcher Gelegenheit auch die Taufbücher verbrannten; ferner
überreichte ich ein, von dem Notar aufgenommenes Zcugniß
zweier Personen, daß kurz vorher meinem Vater ein Sohn
geboren wurde, der in der Taufe den Namen Wilhelm em-
pfing. Nun will sich aber der Civilstandsbeamte nicht damit
begnügen, und verlangt noch einen Identitäts-Akt zum Be-
weise, daß ich wirklich der besagte Wilhelm Müller sei; er
meint, es gäbe der Wilhelm Müller viele in der Welt."
„DahaterfreilichRecht," bemerktederJustizrath. „Wennwir
nureinen zweiten Zeugen aus Ihrem Geburtsort auftreiben könn-
ten, den einen würde Ihr Bruder rechtsgültig abgeben können."
Aber man wußte keinen zweiten Zeugen aufzutreiben.
„Ich sehe, es soll nicht sein!" rief aufs Neue laut
schluchzend Emilie und warf sich auf das Sopha.
„Ich bitte dich," sprach der Bräutigam halb in einem trö-
stenden, halb in einem vorwurfsvollen Tone, „sprich nicht so
thöricht; diese Störung wird unser Glück keine zwölf Jahre
verzögern; und dann bist du im Grunde ja selbst Schuld daran.
Warum schriebst du nicht, daß ein Identitäts-Akt nöthig!"
„Wer kann die abscheulichen Worte alle behalten," erwie-
derte sie.
„Siehst du, die Fremdworte!" bemerkte Conrad.
„Geh zum —" rief der Bräutigam mit dem Fuß stampfend,
indem er nur mühsam einen unbrüderlichen Fluch unterdrückte.
„Ich habe aber doch Recht," flüsterte der Bruder leise, denn
nichts ist für einen Pädagogen härter als nicht Recht zu be-
halten, wo er im Rechte ist, und mögen zehn Brüder und
Bräutigame darüber aus der Haut fahren.
„Wie glücklich ist, wer das vergißt, was nun nicht mehr
zu ändern ist," sang Emiliens heiterer Oheim dazwischen.
„Wißt ihr was, Kinder? Schlagt Euch die Grillen aus dem
Kopfe! Kommt laßtunsthun, als wenn wirklich Hochzeit wäre."
Der Bräutigam warf bei diesen Worten einen eigenthüm-
lich fragenden Blick auf die Braut, den diese glücklicher Weise
nicht bemerkte. Die andern aber stimmten dem fröhlichen
Oheim bei, und das Paar wurde bald mit zur Tafel gezogen.
Aber es war doch ein trauriges Fest, das unterbrochene
Hochzeitsfest. Es schien, als ob der edle Rebensaft zu Effig
geworden wäre. Freilich die Austern kosteten den Citronensaft,
aber dem Brautpaar war ohnehin schon Alles versäuert.
Erst nach vierzehn Tagen gelang es das Versäumniß nach-
zuholen, und das Paar feierte dann erst eine stille Hochzeit.
Die bösen, bösen Papiere! Sie haben schon manches Unheil
angestiftet, mehr als die Fremdworte. Wie manches unter-
brochene Hochzeitfest haben sie nicht herbeigeführt, und nicht immer
gelang es, das Fehlende zu ergänzen. Fragt man ein Mädchen,
was schon lange mit dem Geliebten nmherzieht: „Wann wird
denn endlich Hochzeit sein?" so zuckt sie die Achselund sagt: „Ja,
die Papiere!" Und wenn ein Unglück passirt, wer ist daran
Schuld? Wieder die Papiere, und immer die Papiere!
Oh! ihr Mädchen zur Liebe geboren, sorgt vor allem
und bei Zeiten für gehörige Papiere.
Carl Cramer.
Papierschnitzeln.
Devotion. „Wohin befehlen der Herr Prinzipal die
Muster zu adressiren?"
„Nach Devotion."
„Nach Devotion? Das möchte doch wohl einJrrthum
sein-“
„Ei was, hören Sie nur, wie unser Reisender am Schluffe
schreibt: In acht Tagen gedenke ich in Leipzig zu sein; die
fraglichen Muster senden Sie mir aber gefälligst umgehend,
in deren Erwartung ich unterdeffen in Devotion verbleibe."
Submission. „Entschuldigen Se gütigst, komme ich hier
auf den Submissions-Weg?"
„Was, ist der Kerl dem Tollbaus entsprungen?"
„Entschuldigen Se gütigst, ich bin Wollenwaaren-Fabrikant
aus Halle und habe da ein Lieferungs-Anerbieten, ivelches auf
dem S u b m i s s i o n s - Weg im Komniandantschafts - Gebäude
Xro. 2 eingercicht werden soll."
Eine Haussuchung. Polizist. „Madame Schnarcher,
ich finde hier im Pulte ihres Mannes das Buch: „Die
bayerische Verfaffung." Innen am Deckel ist mit Bleistift be-
merkt: „Steif gebunden.""
Mad. Schnarcher. „Ja, mein Mann holte es gestern vom
Buchbinder und dieser wird ..."
Polizist. „Keine Ausflüchte, Madame; Sie sind des
Mitwisiens der Verspottung unserer Verfassung damit selbst
geständig und haben sich die Folgen zuzuschreiben."
Schlaue Vorbeugung. „Solche Schmachworte, wie
Sie mir gegeben, erheischen Genugthuung; Sie sind gefordert."
„Mit Ihnen losgehen? — Ich habe Sie ja so ge-
schimpft, daß Sie satisfaktionsunfähig geworden."