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Patchouli oder des Onkels Wahn.

Schreckens-Abend 1848 nicht die leiseste Kunde mehr vernom-
men hatte) — als plötzlich ein Wagen, in gestrecktem Galopp
' des wiehernden Zweigespannes, vor meinem Hause vorfuhr.
Es war meine Freundin Feodora Kosakowsky, die Nichte des
czarischen Ambassadeurs an unserm Hofe, die mich, geschmückt,
wie eine Fee des Eispalastes Czars Peter HL, zum Balle
abzuholen geflogen kam. Rach dem, in dieser Welt der Jllu-
sions nun einmal so üblichen ersten Begrüßungs-Ceremoniell
schritt Feodora, — (unter deren, lose um den, nach russischer
Fashion etwas gönörenx decoltirten Nacken geworfenem Pele-
rine von sibirischem Zobel, ein sorgfältig verborgenes, großes,
versiegeltes Paquet meinem scharfen Auge nicht entging) —
scheinbar ganz en passant und tout ä leur aise in mein, durch
zwei schwarze schlanke Marmorsäulen von meinem Zimmer ge-
trenntes Schlafkabinet, dem ein buntgewirker, schwer damastner
Vorhang mit breiten agräments zur portiere diente. Da fiel
plötzlich — in nicht allzu großer Ferne — ein Schuß, —
und mit dem Rufe „Hippolyt!" (denn an ihn mußte ich seit
gestern Abend ja immer denken!) sank ich, von einer gräßlichen
Ahnung überflogen, erstarrt auf mein, von meinem Pathchen
Kitty Mulgrave allerliebst gesticktes Tabouret. Aber ich sollte
nicht das einzige Opfer sein; denn auch Feodoren (die sich
übrigens von jeher ein zu sichtlich cultivirtes air languissant
gab) hörte ich im selben Moment mit dem schrillenden Rufe:
„Arthur!" auf Don Juan und Haydee, die wundervolle
Stickerei meines westindischen Teppichs sich niederlassen. „Er
hat ihn getödtet!" war mein erstes, leises Stammeln, als ich
erwachend um mich blickte. „Er hat ihn getödtet!" seufzte es
wimmernd hinter der portiere meines Alcovens. So weit also
war es gekommen! Diese glühenden Blicke Hippolyts, dieses
stereotype sardonische Lächeln Arthurs waren also eine Heraus-
forderung „zum Männer mordenden Zweikampf," wie Homöre
sagt! Also darum klammerte sich gestern Joko, mein Cacadu
(Hippolyts Geschenk) krampfhaft an die goldenen Stäbe seiner
Voliere —- und refusirte das gouter aus meiner Hand! Darum
also sprang — letzten Jeudi — mit einemmal die Baßseite
an meinem Piano, als ich eben das Trio des Krönungsmarsches
aus dem göttlichen „proph^te“ beginnen wollte!

Und Feodora?! Sie liebt Arthurn, — sie wagt es ihn zu
lieben!? — Das Loos dieses bleichen Kindes der Steppe würde
dann das Loos Semele's werden! Da fiel ein zweiter Schuß,
— noch näher, noch — möchte ich sagen, — todtverkündender,
als der erste! — Feodora lag schon längst wieder in den Fes-
seln der Eumeniden, die sie als die mögliche Mörderin Dessen
anklagten, den sie zu lieben wagte; — ich aber, die stärkere
Seele, zog die Klingel. Ein dritter Schuß!-Jetzt ge-

hört Einer von Beiden nicht mehr zu den Bürgern dieses
Planeten! Aber Welcher? Welcher? Fehlt je der Wüstenkönig
des rayirten Zebra's, wenn er nach seinem Blute dürstet? Und
Hippolyts kurzes Gesicht, (ohne lorgnon erkannte er oft auf
drei Schritte selbst mich noch nicht!) seine Romantik, — seine
Nervosität! — Ich wußte genug! — „Jenny, ein Glas Was-
ser! Feodore ist etwas indisposöe!" sprach ich mit einer, mir
heute noch unerklärlichen Contenance in Ton und Mimik, zum

Mädchen — (denn dieser Classe von Geschöpfen dürfen wir
niemals schwach, niemals generelle menschlich erscheinen, um
Unsrer selbst, und ihrer überflüssigen Parallellen willen) —
„was bedeuteten wohl jene Schüsse vorher?" fragte ich sie,
als sie mit dem Geforderten wiederkam, mit trefflich fingirter
Indifferenz, während es, wie eine unciselirte Granit-Säule,
drückend auf meinem Herzen lag. „Ei, gnädiges Fräulein!"
erwiederte das naive Ding, — „Seine Durchlaucht, der gnä-
digste Herr Erbprinz geruhen ja morgen Dero allerhöchst eigenes
Wiegenfest zu feiern, zu dessen Vorfeier heute Abend fünfund-
zwanzig Kanons gelöst werden!" *)-- Dachte ich s doch

gleich! — Wie wäre auch Arthur so unklug, wie wäre vor
allem mein melancholisch-phlegmatischer Cousin so kühn gewesen!
— Wo brächte in unfern Tagen ein Cavalier noch ein Opfer
für uns, —und wär's auch nur mit dem Tode!? — Nachdem
Feodora und ich uns eine gute Weile über die Tragweite und
die Elasticität unsres phantastischen Optimismus gegenseitige
Compliments gesagt hatten, — begann (unter nunmehr für
uns schreckenslos donnernder Kanonade) das bleiche Kind der
Newa in einem mysteriösen Tone zu fragen: „Aböle! Kennst
Du Cäsarn von Beauregard?" — „Den bleichen Garde-Dra-
goner-Lieutenant?" fragte ich gleichgültig entgegen. „Den-
selben!" nickte Feodora geheimnißvoll. Und im Tone und der
Mimik eines exorcifirenden Archimandriten von Nowgorod
sprach die civilisirte Slavin weiter: „Auf dem Wege zu Dir
hielt — vor dem Baron Goldklnmp'schen Hotel, welches das
Churprinz-Rondell durch die schmale dunkle Lichterzieher-Gasse
vom Exercier-Platze scheidet, — plötzlich mein Wagen; und
ehe Kaluga sich noch darüber rechtfertigen konnte, stand ein
bleicher, schlanker junger Mann, in einen weißen Reitermantel
gehüllt, und den blanken Helm tief in das Haupt gedrückt, (welches
ich, trotz seines dichten ebenholzschwarzen Vandyks und trotz
des abendlichen Claire-obscure doch als das Eigenthum des
Garde-Dragoner-Lieutenants Cäsars von Beauregard zu er-
kennen glaubte) — vor mir, und reichte mir, nachdem er den
Mantel in pittoresker Draperie zurückgeschlagen hatte, ein Pa-
quet, militärisch salutirend, — mit den einzigen vier Worten:
„An Adelen von Cathinken!" — in den Wagen herein! —

„Bon Cathinken!?-Nicht also Hippolyts letzter Wille,

wie ich vorher wähnte, als ich leblos äufs Tabouret gesunken
war, mit dem Glauben im Busen, daß es noch Ritter gäbe,
die für ihre Damen wenigstens — zu fallen wüßten! — Von
Cathinken! ah c’est tonte une autre chose! Tant mieux ! —
Vorsichtig, — ob nicht am Ende gar eine kleine Poliffonerie
meines leichtsinnigen Cousins dahinterstecke, erbrachen wir die, mit
dem auf einer saphischen Lyra thronenden Vogel Minerva's ge-
schmückten sieben Siegel des mysterieusen, von Feodoren nun aus
dem Alkoven geholten Paquets, —und fünf, in prachtvollen, mit
goldgepreßten Renaissance-Arabesken verzierten Maroquin ge-

*) Jennys Ultra Conservatisme inklinirte beinahe zur Reaction, —
Naturellement! Ihr epoux future ist ja chasseur du Prince! — An
solchen Lappalien hängt der Sieg der Fürsten, die Knechtschaft der
Völker! A. d. Vers.
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