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Moderne Romantik.

Saloiilangweile niedergehaltenen überschwenglichen Gemüths-
art trat nun um so heftiger auf; die poetisch-phantastische
Gemüthsreaction, die bis jetzt nur, Dank einer guten Er-
ziehung, sich geltend zu machen verhindert worden Ivar, wuchs
j ihm jetzt über den Kopf und stürzte das ganze mühselige
Gebäude der Erziehung und Sociötö mit einem Male zusammen.

Nachdem unserm Helden unter süßen Träumen wohl eine
Stunde vergangen war, erscholl mit einem Male vom Rhein
herauf der Ton eines Waldhorns, zweimal die kurze schwer- !
müthig-klagende Weise eines Volksliedes in die stille Nacht !
hinanstragend. Es lag etwas so Sehnsüchtiges, so Weiches
so Freudigbetrübtes in ihnen, als wolle der Urheber derselben
vor Lust und Schmerz mit ihnen in die dunkle Tiefe ver-
sinken, als »volle er mit den zuletzt kaum noch hörbar zitternden
und ersterbenden Tönen seine Seele aushauchen. Es waren
tief ergreifende Töne zu dieser Zeit und in diesem Frieden
der Nacht. — Wolf trat an das Fenster, um seine hoch-
schlagende Brust zu kühlen. Seine Blicke fielen ans die gegen-
über liegende Brng, die »veit in den Hellen vom Mondschein
lichtblau überzogenenAetherhineinragend, langedunkleSchatten
den Bergabhang hinunter auf den Fluß warf. Er rieb sich
die Augen, denn er glaubte zu träumen, als er eine iveib-
l liche Gestalt in »veitem weißen Geivande auf die Rotunde
oder den Balkon des Thurines, der die eine Ecke der B»»rg
begrenzte, heraustreten sah. Bei dem Hellen Mondscheine,
der die Landschaft mit einem dünnen Flor und silberdnftigen
Nebel übergoß, konnte er beinerken, wie sich die Gestalt über
das steinerne Geländer hinunter nach der schaurig schtvarzen
Tiefe des Rheines beugte. Da ertönte plötzlich senkrecht unter
dem Thurine auf demselben Instrumente eine zweite Melodie,
zwar immer noch klagend und wehmüthig wie die erste, aber
doch etwas freudiger, hüpfender und rascher; es lag nicht
mehr das eindringlich Flehende darin, sondern schon ein Hauch
von der Freude der Gewährung, aber freilich noch sehr ge-
dämpft; es war wie der zweite Theil des Beethovenschen
Sehnsuchtswalzers. Als die Töne mit ihrem Echo verhallt
waren, löste die Gestalt ans dem Balkon ein weißes Tuch
oder einen Shawl von ihrem Haupte oder Busen, ließ ihn
kurze Zeit im Winde flattern und dann in die Tiefe hinunter-
sinken, indem sie sich weit über das Geländer bog und ihm
nachsah. Als der Shawl unten angekommen und aufgefangen
sein mochte, jubelte das Waldhorn einigemal mit der Wonne
überseliger Freude auf, und ans den finstern Schatten unten
auf dem Flusse ruderte ein Kahn heraus in die Mitte der
hellglitzernden Wasserfläche und fuhr langsam den Fluß hinauf.
Die Gestalt oben sah ihm einige Zeit nach, während ihr
das süße Liebespfand, der Shawl, als glückverheißende Flagge
auf einer kleinen Segelstange von unten entgegenwehte, und
verschwand dann wieder still in das Innere des Thurmes.
Lange aber hörte man noch leise und immer leiser eine har-
monische freudige Weise die einsame Nacht dnrchtönen. —

Wie versteinert hatte Wolf von Schönkopf dieser roman-
tischen Scene, diesem zärtlichen nächtlichen Liebesopfer zuge-
sehn; er athmete in fieberhafter Bangigkeit und Aufregung.

Erschöpft vor Anspannung warf er sich auf das Sopha. Schöne
liebliche Bilder jagten sich einander in seiner Phantasie; aber
eine Gestalt, halb Aether, halb irdischer Stoff, glänzte vor
Allen darunter: es war die weiße Dame vom Thurme. Ach,
er hätte noch in diesem Augenblicke zu ihr hin mögen, ihr sein
Herz zu Füßen legen, ihr seine unendliche Liebe in glühender
Begeisterung vortragen, sie beschwören mögen, ihn aus dieser
kalten, nüchternen prosaischen Welt in den Himmel ihres Her-
zens voll ewigen Sonnenscheins aufzunehmen, er hätte wie
ein neuer Elias auf dem Feuerwagen seiner Herzensgluth zu
ihr fliegen mögen; er fühlte kaum seinen Körper noch, es
war ihm so leicht, so ätherisch, daß er fürchtete oder vielmehr
hoffte, sich wie ein gasgefüllter Luftballon in ungeahnte Fernen
zu erheben. O, der unendlichen Liebe Allgeivalt! —

Seine Phantasie bildete sich nun einen Commentar zu dem
zärtlichen Verhältnisse beider Unbekannten. Die weibliche
Gestalt mußte natürlich ein adliges Fräulein sein, von ihren
Eltern oder andern Verhältnissen gehindert, der Stimme ihres
Herzens zu folgen. Vielleicht war sie unter Aufsicht alter
Tanten zu diesem einsamen Aufenthalte verbannt worden. Der
nächtliche Schiffer war gewiß der Gegenstand ihrer heißen
Wünsche, er war ihr gefolgt, und mochte ihr nächtliches
Erscheinen und den Shawl als Ersatz für andern Minnedienst
hinnehmen müssen. — Es ging ihm dabei eine ähnliche Ge-
schichte aus dem Mittelalter durch den Kopf von einer heiligen
Ottilie und einem gewissen Richard. — Nebenbei fühlte Wolf
aber auch menschlicher Weise etwas loie Neid, wie Eifersucht
gegen den nächtlichen Schiffer.

Am andern Morgen machte Wolf einen Spaziergang in's
Freie; er schlug natürlich einen zwischen Gesträuch und Hecken
nach der Burg sich hinaufschlängelnden Fußsteig ein. Nie
glaubte er einen wonnigern Morgen erlebt zu haben; der
Aether war so tiefblau und rein, ihm selbst war wie einem
blumengewiegten Schmetterlinge. Auf dein Felsenplateau an-
gekommen, verfehlten die zerfallenen Mauern mit den grünen
Schlinggewächsen nicht, dein einsamen Wanderer einen Hauch j
wilder Wehmuth und einen innigen Zug nach dem Ewigen :
Himmlischen in die lieberfüllte Seele zu gießen. Erschöpft
von der Wucht so vieler ihm neuen Gefühle warf er sich
ohne Rücksicht auf den neuaufgeplatteten Frack und auf die
weißen frischgewaschenen Beinkleider aus das Moos nieder,
das den steinigen Boden bedeckte. — Er hätte bald weinen,
bald jubeln niögen; er dachte nicht mehr, er reflectirte nicht
mehr, er empfand nur noch. Die naive Unmittelbarkeit eines
Kindes war über ihn gekommen, sein ganzes Denk- und Em-
pfindungsvermögen war in blühender Anarchie gegen seine Ver-
gangenheit und Wohlerzogenheit begriffen. —So hingestreckt lag
er lange süßträumend, wie ein Poet anzuschauen, der an dem Busen
der Natur ruht und sich in den Duft von Gelbveiglein vertieft.

Von einem kleinen Mädchen, das im Walde Erdbeeren ge-
pflückt hatte, erfuhr er, daß eine fremde Herrschaft, eine Dame,
einige Sommermonate den erhaltenen Theil der Burg zu be-
wohnen pflege, daß sie aber mit Niemanden in Berührung
komme. Außerdem meinten die Leute, daß es hier spucke; es
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