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58

Moderne

führte zum Balkon hinaus; eine andere Thüre war zur Seite
angebracht.

„Sie haben gewünscht, sich mir vorftellen zu dürfen,"
begann die halbverhüllte Dame mit einer Silberstimme, die
allein schon unfern Freund in Entzücken setzte. Was lag
für ihn Alles in diesem Tone! es war ihm, als könne solch
ein schöner Klang gar nicht aus einem menschlichen Stimm-
organe hervorgehen, die Stimme hatte jene klangvolle runde
Höhe, die augenblicklich zum Herzen spricht, weil sie selbst
unmittelbar und wahr des Herzens tiefste Empfindungen auf
der Zunge in Worte umzugestalten scheint. — Er hatte zwar
mehr auf die Musik der Worte, als auf diese selbst gelauscht,
aber dennoch antwortete er richtig: „Ja, meine Gnädige."
— Seine Stimme war unsicher, er mußte die Töne aus dem
trockenen Gaumen hervorpressen; erst als er sich einigemal
zum räuspern gewagt, konnte er kräftiger fortfahren; „Ich
konnte nicht von hinnen gehen, ohne den Sonnenschein Ihrer
Augen empfunden zu haben; es wäre ewige Nacht um mich
gewesen, ich hätte nie wieder Ruhe gefunden. Ich fühlte
dies lebhaft und wollte mich lieber dem Verdacht aussetzen,
als sei ich ein frecher Eindringling in diese gedankenvolle
Einsamkeit und vielleicht heiliger Erinnerung geweihten Räume,
als diese ewige unerfüllte Sehnsuchtsqual auf mich laden.
Jndeß hoffe ich noch Ihre Verzeihung dafür zu erhalten."

„Das hängt von Ihrem Verhalten ab," entgegnete sie-
„Aber was konnte Sie so sehr drängen, meine Bekanntschaft
zu suchen? Ich sehe Sie zum ersten Mal, mein Herr!" —

„Ich logire im goldenen Stern unten und hatte unge-
sucht Gelegenheit, Sie nächtlicher Weile auf dem Balkon zu
beobachten. Von Stund an ging mir eine andere Welt auf,
in der Sie, meine Gnädige, die Sonne waren, um die sich
Alles, meine Gedanken und Empfindungen bewegten," er-
wiederte Wolf stockend und erröthend.

„Ach! das also" — sagte die Dame mit einem unter-
drückten Seufzer. An diesen letzteren anknüpfend, um nur
erst eine Aufklärung über diesen seltsamen Umstand zu er-
halten und erst das Feld hinter sich gesäubert zu sehn, und
dann selbst rüstig weiter darauf vorzuschreiten, fragte er im
halblauten weichen Tone der innigsten Theilnahme: „Wohl
eine schöne Erinnerung aus der Jugend, der Zauber der Ver-
gangenheit im Bilde heraufbeschworen, der Cultus eines ge-
liebten Andenkens-?" Hier glaubte er einhalten zu

müssen, denn die Dame schien tief ergriffen und machte eine
abwehrende Handbewegung zum Schweigen. Sie führte ein
Flacon zur Nase, seufzte einigemal tief auf und stützte sinnend
den Kopf auf den runden Arm; mit dem Schleier drückte
sie eine hervorbrechende Thräne zurück. Unser Freund ward
tief gerührt von diesem Ausdruck des wehmüthigsten Gefühls;
die ganze Gestalt der Dame hatte einen so sehnenden, melan-
cholisch sinnenden Ausdruck angenommen, schien so ganz ein-
getaucht in ein Meer schmerzlich-wonniger Vergangenheit,
daß es ihm vorkam, als sei ihr ganzes Leben nur ein
Schatten ihres zweiten Jch's, sei nur die Erinnerung, die

tomantik.

Copie eines andern Lebens. O, dieses Wesen mußte tiefer
Empfindungen, einer leidenschaftlichen Hingabe fähig sein!
— Es gereute ihn nun fast, die schmerzliche Stelle in ihrem
Herzen berührt zu haben.

Nach einer langen Pause sagte sie tief Athem holend:
„Bitte, lassen wir das! Verloren ist verloren, reden wir von
etwas Anderm!" Sie richtete dann den Kopf wieder auf und
suchte ihre Gestalt wie mit Gewalt zu einer festern bestimmtern,
der Gegenwart angehörenden Haltung zurückzubringen. Es
entstand wieder eine peinliche Pause; die Dame schien keinen
Anfang zum Reden machen zu wollen, sie schien noch mit !
ihrem Schmerze zu ringen. Wolf war in augenblicklicher Ver-
legenheit, wie er den Faden der Unterhaltung weiter spinnen
sollte. Daß er aber nur die Gegenwart oder Zukunft be-
rühren durfte, war ihm klar geworden. So hoffte er auch
am besten auf seine Herzensangelegenheit zu kommen. O,
diese Töne, diese seelenvolle Haltung, dieses Wesen so ein-
sam verlassen auf den Trümmern eines schönen romantischen
Bergschlosses, mit Jnnbrunst an der zarten Pflege einer un-
gewöhnlichen Vergangenheit hangend, hatte ihn bis in's
Innerste ergriffen. —• Wie aber nun geschickt auf das Ziel
weiter vorschreiten? — Vom Wetter zu sprechen, das so oft
als glückliche Episode zwischen eine stockende Unterhaltung
eingeschoben wird, konnte er sich unmöglich entschließen; das
kam ihm in dieser Situation doch zu trivial vor. — Aber
von den Zeitverhültniffen, von der Politik? — das ging an.
— Er begann also mit leiser weicher Stimme, als wolle er
nicht zu rauh die Dame aus ihren süßen Träumen aufschrecken:

„O, diese Zeit!"-Er hatte es getroffen.

„Ja, sie ist sehr erbärmlich," nahm ihm mit lebhafter
Bereitwilligkeit die Dame das Wort ab. „So kalt, so egoi-
stisch, so materiell, so flach und nüchtern! man müßte die
ganze civilisirte Welt durchreisen, um noch einen Funken von
Poesie, von ursprünglichen, nicht durch die Erziehung und
Ueberbildung verzerrten Gemüthsäußerungen, eine wahre !
volle Natur, einen ungekünstelten Affect, noch Sinn für et-
was Höheres als Geldcourse und niedere Sinnenlust anzu- !
treffen; kein Glaube mehr ist in den Herzen der Menschen,
kein warmes Gefühl, keine aufopferungsfähige Liebe; sie ver-
zehren sich selbst innerlich vor eitlem Ehrgeiz, unersättlicher
Geldgier und vor blasirter Langweile."

Unser Freund fand diese Bemerkungen sehr treffend, und
setzte, das Sittengemälde ergänzend, hinzu: „Und vor Putz-
sucht, vor hohlem Streben nach allerhand Tand, vor eigen-
sinnigem Festhalten an albernen Vorurtheilen." Er sagte dies
nicht ohne bittern Seitenhieb auf das gesellschaftliche Leben
in seinem Wohnorte; denn dies Alles haßte er jetzt, weil
er fühlte, daß es ihn so eingeengt und eingezwängt, so ver-
knöchert habe. Er hatte jetzt einen neuen Menschen ange-
zogen; in der neuen Freiheit haßte er die alte Sklaverei.

Da die Dame fühlte, daß seine Bemerkung auf das schöne
Geschlecht ziele, fuhr sie fort: „Ja, leider hat sich mein Ge-
schlecht, das eigentlich von Natur bestimmt ist, die Poesie
des Lebens zu hüten und zwar in seinem Herzen zu hüten,
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