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Kranker und Arzt.

Arzt. „Wohl mit Recht ist der Patient unglücklich zu nennen,
der einer so gewissenlosen Rotte in die Hände fällt! Ja, mit
unserm großen Samuel Hahncmann kann man sie privilegirte
Mörder nennen! Und was soll man nun gar zu den erbärm-
lichen Zwittern sagen, die bald homöopathisch, bald allopathisch
heilen zu wollen oder zu können vorgeben. Mein Herr, bei mir
finden Sie die reine Lehre des erhabenen Meisters. Sein Namen
wird noch strahlend in der Geschichte der Menschheit leuchten und
bewundert werden, wenn die kläffenden Widersacher längst ver-
gessen sind! Auch ich thue mein Möglichstes, durch offene Send-
schreiben das große Werk der Wiedergeburt der medizinischen
Wissenschaften zu fördern! Auf Dank rechne ich nicht. Mein
Bewußtsein lohnt mich hinlänglich. In Ihrem besondern Falle
nun, würde ich sogar schon mit ein Tezilliontheil Verdünnung
den Anfang zu machen wagen, weil das Nebel nicht mehr ganz
neu ist. Die homöopathische Diät ist Ihnen bekannt; sie ist
eigentlich allerdings nur subsidiarisch, kann aber doch nicht ent-
behrt werden, wie Ihnen wohl hinlänglich bewußt sein wird.
Die Reihefvlge aller übrigen Symptome Ihres Zustandes will
ich, bei mehr freier Zeit, in zwei bis drei Stunden demnächst
aufnehmen und gewissenhaft eintragen; wie Sie denn überhaupt
! vou mir eine ganz besonders genaue Behandlung unbedingt er-
warten dürfen. Für heute erlaube ich mir nur die Frage, ob
Sie vielleicht seit Ihrem sogenannten Augenübel, zur Zeit des
Sonnenunterganges neben dem Ringe, den Sie am kleinen Finger
der linken Hand tragen, ein leises Jucken verspürt haben? Ist
dies nicht der Fall gewesen, so dürfen wir die endliche Genesung
schon um einige Monate früher erwarten. Jedoch werde ich die
Symptomcnlehre erst noch näher Nachsehen, che ich ein so ent-
scheidendes Urtheil abgeben darf. Uebrigens heilen die ächten
homöopathischen Heilkünstler, wie Sie wissen, in kürzester Zeit,
mit den geringsten Mitteln unbedingt sicher. Bon meiner aus- >
gedehnten eigenen Erfahrung will ich gar nicht einmal sprechen.
Zu Ihrer vollständigen Beruhigung erlaube ich mir, Ihnen die
neueste Ausgabe des Organons der Heilkunde zum sorgfältigen
Turchlesen zu überreichen. Sie werden mit mir überzeugt
sein, daß dies Buch auch dem verzagtesten Kranken, auf dem
Todtenbctte noch, frohen Lebensmuth erwecken muß!"

6.

Kranker. „Ihre allbekannte Sicherheit, Herr Geheimrath,
besonders auch bei Augenkrankheiten, verpflichtet mich, Ihnen
mein Nebel, das Flimmern und Zucken der Augen, recht dringend
M klagen. Ach, ich habe neben vier andern Aerzten auch schon den
homöopathischen Hofmedikus Lohmüller zn Rathe gezogen; aber
sein Trost liegt in so weiten nebelhaften Fernen, daß ich darauf
unmöglich meine Hoffnung bauen kann. Auch soll ich erst noch
ein dickes gelehrtes Buch durchlesen, wovon ich gar kein Liebhaber
bin. Sodann verlangte der Medizinalrath Bockmüller, den ich
unmittelbar vorher um Rath fragte, daß ich, neben andern kräf-
tigen Mitteln, wenigstens zwei Monate Urlaub nehmen müsse, um
i geheilt zu werden. Aber Urlaub wird bei uns gar nicht mehr
gegeben, wie Sie wissen. Deshalb erwarte ich nun endlich von
^hnen Hülfe, denn ich bin allnachgerade sehr besorgt und auch
>uit Recht, ohne jede ruhige Stunde bei Tage und bei Nacht." >

Arzt. „Mit dem Homöopathen wünsche ich ein- für
allemal verschont zu bleiben! Verstehen Sie niich. Das Sprüch-
wort vom Pech u. s. w. will ich nicht aussprechen. Ich könnte
auch mit Schiller sagen: Jedoch der schrecklichste der Schrecken
das ist der Mensch in seinem Wahn! Doch zur Sache. Ten
Urlaub des Medizinalraths Bockmüller haben Sie keineswegs
nöthig. Ich verfahre rationell. Verhehlen kann ich jedoch
nicht, daß es besser stehen würde, wenn es Ihnen gefällig
gewesen wäre, Sich gleich an mich zu wenden. Denn, wie
gesagt, ich verfahre rationell, gebe daher nie einen Grund
meines Verfahrens an. Meine ausgedehnte Praxis dient
mir als Probirstein und gelegentlich als Leitfaden. Ihr
Uebel ist unfehlbar ein mehrfach komplizirtes, hängt auch
wohl mit frühern Jugendkrankheiten zusammen? Nicht wahr?
Nun werden Sie nur nicht so verlegen, ich bin ja kein Beicht-
vater. Wir sind alle mal jung gewesen. Solche Kollegen,
wie Medizinalrath Bockmüller und Sanitätsrath Saudmüller
haben sehr selten Gelegenheit, derartige Fälle zu beobachten.
Aber mir, mir kommen sie häufig genug vor. Also hören
Sie: zunächst ein total finsteres Zimmer, gänzliche Abweisung
aller Besuche, um jede Aufregung zu verhüte». Als Vor-
bereitung ein Haarseil in den Nacken und fortwährend kräf-
tige Abführungen. Nach etwa acht Tagen unter jedes Auge
zwölf Blutegel. Den weitern Gang und die nothwendigen
inner» Mittel werde ich außerdem festsetzen. Im bevorstehen-
den Sommer muß dann ein längerer Aufenthalt auf dem
Lande das Beste thun. Ich warte mit meinen vielen Patien-
ten auch ans die bessere Jahreszeit. Daß in einem so wich-
tigen Falle die strengste Diät zu halten ist, versteht sich von
selbst; jedoch führt die Kur diese schon an sich herbei. Nur
heroische Mittel können hier helfen. Aber man wird doch
auch nicht gern blind! Muth gefaßt, mein Herr, auf Ihre
kräftige Natur dürfen wir ja auch rechnen!"

7.

Kranker. „Herr Geheime-Medizinalrath! Sie sehen
einen ganz unglücklichen Patienten vor sich. Der Zustand
meiner Augen, ihr heilloses Flimmern und Zucken ist bereits
von sechs Aerzten untersucht, und ich habe so viele verschie-
dene Rathschlägc gehört, daß ich nun erst vollends elend ge-
worden bin. Mein Befinden ist unerträglich marternd, da
nach den Aeußerungcn des Geheimraths Bellmüller doch wohl
am Ende Blindheit mein Loos sein wird, wenn Sie, allver-
ehrter Mann, sich meiner nicht annehmen. Es wäre zu schrecklich!"

Arzt. „Nach genauer Untersuchung ihrer Augen erkläre
ich mit Bestimmtheit, daß die Sache in jeder Hinsicht gänzlich
unbedeutend ist und gar keiner Kür bedarf. Solche kleine Ver-
stimmungen heilt die Natur am besten selbst, wie auch mein
berühmter Freund, der selige Hufeland, schon wiederholt her-
vorgehoben hat. Gewaltsame Eingriffe, die mein Kollege Ge-
heimrath Bellmüller so sehr liebt, können in solchen Fällen
nur schaden, oft unersetzlich."

Kranker. „Verehrter Mann, Sie geben mir das Leben
wieder! Ich danke Ihnen tausendmal!"
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