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34

Frauenpolitik.

stürzte er darauf zu und war wenige Minuten darauf für die
ibn umgebende Welt verloren. Jost brachte den Kaffee, Clemen-
tine band frische Blumen in die Vasen, warf mit ihren rosigen
Fingerspitzen den Zucker in die Taffen, strich mit den neuen,
porzellaneingelegten silbernen Messern die Brödchcn — er aber
hatte für dies Alles keine Blicke, keine Sinne, weder für die
graciöse Beschäftigung einer jungen Frau voll Frische und An-
muth im Morgengewande, noch für die neue elegante Einrichtung
um ihn her, welche die Strahlen der Morgensonne rosig malte;
weder für das Aroma des dampfenden Kaffee's, noch für den
zarten, ftischen Dust der noch thauigen Blumen. Der Barbar —
der Bär! Clcmentine schenkte den Kaffee ein, und stellte Hugo's
Taffe auf da» Zeitungsblatt, das fast den ganzen Tisch einnahm.

„Ich habe einen Brief von Cornelte aus Tyrol erhalten,"
bemerkte sie, ihre Tasse absetzend. „Sie läßt dich grüßen."

„So!" war seine Antwort, ohne daß er jedoch aufgeschaut
hätte. „Was schreibt sic denn von den dortigen pvlittschen Ver-
! hältniffen?"

„Denkst Du, darum bekümmern wir uns auch? Die äußere
! Politik überlassen wir den Männern und begnügen uns mit der
inncrn. Und Fraucnpolittk hat schon oft über Männcrpolitik den
j Sieg davongetragen. Die Männer wissen nur Zustände herbei-
! zuführen, wir Frauen aber, uns in dieselben zu schicken."

Sie faßte die Kanne, um ihre Tasse zu füllen — ein leiser
! Schrei entfuhr ihren Lippen — schnell setzte sie die Kanne auf
das Brett und fubr mit dem Finger an die Lippen.

„Sieh nur," klagte sie, ihm den Finger hinhaltend, „wie ich
' mich gebrannt habe."

Er blickte auf. „Gebrannt?" wiederholte er flüchtig und las
an einem Arttkel über Louis Napoleon weiter.

Wer wird nicht glauben, daß es Clementtne Mühe kostete,
ihre Selbstbeherrschung zu bewahren?

„Die pvlittschen Flüchtlinge im Auslande," fuhr er halblaut
mit Lesen fort.

Clementine hielt ihm den Teller mit den Brödchen entgegen.

„Lasst die pvlittschen Flüchtlinge," bat sie. „Ich habe Dir
i eingeschenkt, hier sind die Brödchen."

„O es muß ein unendlich süßes Gefühl sein," rief Hugo
aus, wandte rasch das Zeitungsblatt um — kling, die Taffe lag
in Scherben auf dem Boden und der Mokka brach sich aus dem
gebohnten Boden eine Bahn. Clementtne erblaßte. Welche junge
Frau wird nicht erblassen, wenn wie hier, das erste Stück eines
Hochzeitgeschenkes zu Grunde geht. Sie beugte sich nieder, um
die Scherben zusammen zu suchen; vielleicht ließen sie sich noch
kitten.

„Sich sagen zu können," vollendete Hugo voll Ertast seinen
1 Satz — „du bist ein politischer Märtyrer — Europa kennt
deinen Namen — weint um dich seine Thränen — und Frühstück
und Mittagessen kannst du mit Unsterblichkeit bezahlen!"

Er war mit dem Zeitungsblatte aufgesprungen und hätte sich
wirklich über die am Boden Knieende einen Weg gesucht, hätte
i Clementine vor der drohenden Gefahr nicht aufgcschrieen.

„Wer schreit denn so?" sagte er, auf den Boden schauend,
und als er seine Frau erblickte, setzte er, als ob er sich jetzt erst
wieder ihrer erinnerte, hinzu: „Ja so, Du bist's."

In Clementine war das Maaß der Geduld voll. Als ob
nicht das Mindeste vorgefallen wäre, setzte sie sich ruhig an ihren
Platz und griff wie aus Zufall nach dem Lokalblatte.

„Was ist das!" rief sie nach einer Weile aufspringend; der
erkünstelte Ausdruck der Angst gelang ihr so gut — „Lokales!"

Darauf las sic halblaut, wie für sich, jene Anzeige. Hugo
hatte auf den Ausruf „Lokales" gespannt aufgehorcht und riß
ihr zuletzt in ficbrischer Ungeduld das Blatt aus den Händen.

„Triumph — Triumph — Clementtne!"

„Worüber denn, Hugo? Ich verstehe Dich nicht."

Hugo war in Entzücken fast aufgelöst.

„Weil ich ein polittscher Märtyrer bin — weil ich ein be-
rühmter Mann sein werde und Du eine berühmte Frau. Freue
Dich, Clementine!"

Er lachte — er pfiff — er sang — er schloß seine Frau in
seine Arme — er wußte selbst nicht, was er that.

„Nein, Hugo — je mehr ich jetzt nachdenke, desto mehr erkenne
ich, daß die Nachricht nicht auf Dich paßt. Bei uns sind nie
Polizeibeamte ein- und ausgegangen."

„Verstehst Du mich denn nicht? Das wissen wir Polittker
besser, was eine solche Nachricht zu bedeuten hat. Tie Polizei
gibt uns gefährlichen Leuten dadurch einen Wink, daß sic uns
will abgereist wissen."

„Wodurch sollst Du denn gefährlich sein?"

„Ich weiß eS nicht. Die Polizei wird eS besser wissen. Und
ich sehe wirklich — wirklich gefährlich aus — nicht wahr, Clementine?"

Vor dem Spiegel hatte er sich in eine gespreizte Positur ge-
worfen, und drehte seine Augen aus den Höhlen, daß Clementtne
sich nur mit größter Mühe des Lachens entwehren konnte.

„Du wirst wirklich abreisen, Hugo?"

Sie sagte dies nicht ohne Herzklopfen.

„Ich muß ja."

„Und ohne mich?"

„Ohne Dich? Ja, daran hatte ich noch nicht gedacht."

„Nein, Hugo, Du wirst nicht ohne mich gehen. Ich werde
Deine Begleiterin sein auf allen Deinen Wegen. Ich habe heute
einen Brief von Cornclie aus Tyrol erhalten, die uns einladet.
Zu ihr in die friedlichen, grünen Berge wollen wir fliehen, dort
wollen wir Alles vergessen — wir uns allein angehören. Die
Anordnungen zu unserer Abreise, unsrer Flucht, werden wohl
noch einige Tage in Anspruch nehmen."

„Aber die Polizei! Denke nur, sie gibt nur Henkersftistcn
und ich bin ja ein gefährlicher Mensch."

„Sei unbesorgt," beschwichttgte Clementtne. „Ich werde Dich
verbergen, daß selbst polizeiliche Spähaugen Dich nicht werden
entdecken. Aber das muß ich zur Bedingung machen, für alle
Menschen, selbst für Deine Freunde bist Du von dieser Stunde
an unsichtbar. Du wirst es dem alten Jost selbst sagen, daß er
alle Besuche unter dem Vorwände Deiner Abreise abwcist."

Jost hätte aber fast durch Clementtnens Rechnung einen Sttich
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