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42

Frauenp olitik.

einem ostindischen Taschentuche wischte. „Wir Aerzte sind
die ewig Geplagten von Kranken und Gesunden. Ist wohl
gar Niemand zu Hause, Jost?"

„Tie gnädige Frau sind vor einer Viertelstunde ausge-
gangen, Herr Doktor."

„Und sein Herr?"

Dabei stützte er das Kinn auf den goldnen Stockknopf
»nd beobachtete den Diener mit scharfen Blicken.

„Ter Herr ? Ja, der Herr sind abgereist — ins Tyrol — ja."

„Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen," versetzte der Arzt.

„Wie haben der Herr Doktor gesagt?"

„Nun ja, Jost," versetzte der Arzt mit gedämpfter Stimme,
„ich athme leichter, daß sein Herr über alle Berge ist."

„Versteht noch nicht — das mit dem freien Athmen."

Der Arzt sah sich vorsichtig nach allen Seiten um, rückte
den Sessel näher an Jost und fuhr in geheimnißvollem Tone fort:

„Freilich Jost, glaub's schon. Aber sag' Er mir ein-
mal — mir denk' ich, wird Er vertrauen — beschäftigt sich
denn sein Herr viel mit politischen Angelegenheiten?"

„Halt," dachte Jost, „der fragt ganz criminalisch, dem
mußt Du auch criminalisch antworten."

„Nicht dran zu denken," betheuerte er. „Wo denken der
Herr Doktor hin? Haben der Herr ja ohnehin so viel Neues
im Hause, die gnädige Frau — von der kommt alle Tage
etwas Neues zum Vorschein."

„Empfängt er vielleicht viele Besuche von schwarz- oder
rothbärtigen Männern?"

„Ja, besucht wird er viel. Nu, von der gnädigen Frau,
das wollen der Herr Doktor nicht wissen. Sie meinen von
Männern, versteh' schon. Sie haben aber keinen Bart, der
Assessor nur einen Schnurrbart und der Doktor Scheitling
einen Knebelbart. Das ist Alles Bärtige, was zu uns kommt.
Tie gnädige Frau liebt aber das Ungeberdige auch nicht."

Ter Doktor, wenig mit den bisherigen Resultaten seines
Examens zufrieden, setzte dasselbe fort.

„Vielleicht kann Er mir auch sagen, ob sein Herr viele
Briefe empfängt?"

„Briefe? O ja, viele Briese."

Ter Doktor spitzte die Ohren.

„Aber lauter Liebesbriefe. Alle Tage sind drei abgeschickt
worden und drei sind angekommen. Seit der Hochzeit hat's
aber aufgehört — natürlich! Aber Hab' ich jetzt dem Herrn
Doktor Alles bis auf's Spitzchen gesagt, darf ich wohl auch
wissen, warum mich der Herr Doktor bis auf's tz ausfragen."

Ter Gefragte besann sich einen Augenblick — rückte noch
näher an Jost hinan und begann noch geheimnißvoller:

„Jost, ich kenne Ihn als treuen Diener seines Herrn. Als
solchem glaube ich Ihm ein Geheimniß anvertrauen zu dürfen —
das, merke Er wohl, Geheimniß bleiben muß. So vernehme Er
denn, daß sein Herr in großer — sehr großer Gefahr gewesen ist."

Jost kam dies ganz unglaubbar vor. Das unglückliche
Gesicht des Doktors machte ihn aber betroffen.

„In großer Gefahr, Jost, wenn er nicht sogleich abgereist
wäre. Aber ich binde es Ihm auf die Seele. Jost, daß Er

mir nicht plaudert! Es handelt sich um nichts weniger, als
meine Stellung. Er kann also sehen, was ich für seinen
Herrn wage. Ich kann ihm nichts weiter sagen, als daß
wenigstens in einer Viertelstunde ein Polizeisergeant mit zwei
Polizeisoldaten hier Haussuchung halten wird."

„Bei uns? Tie Polizei? Die ganze neueingerichtete Wirth-
schaft um und um stülpen? Meinen Herrn zu einem Opfer
machen? Augenblicklich renne ich auf's Polizeiamt. Ich will's
ihnen sagen, was sie sind und was mein Herr ist — sanft
wie ein Lamm, unschuldig, wie ein neugebornes Kind, der
froh ist, wenn man ihn in Frieden läßt."

Er wäre in der That fortgerannt, wenn ihn nicht der
Doktor zurückgehalten hätte.

„Unsinniger! Was Hab' ich Ihm gesagt! Was wird es
Ihm helfen? Ist sein Herr nicht schon abgereist?"

Jost war in einer furchtbaren Lage. Es war ihm verboten, zu
sagen, daß sein Herrnoch da war, und von der andern Seite drängte
die Gefahr. Verzweiflungsvoll rannte er im Salon auf und ab.

„Mein Herr! In Gefahr!" jammerte er und vor dem
Arzte stehen bleibend, sagte er, mit ängstlichen Blicken zu
ihm aufschauend: „Herr Doktor!"

Dabei deutete er mit dem Finger auf seinen Mund, zum
Zeichen, daß er schweigen müßte. Mannhardt verstand dies
und suchte ihn zum Sprechen zu bringen.

„Ich darf's halt nicht sagen," meinte Jost. „Mein
Herr ist schon noch da, Herr Doktor! Ich Hab' nur so sagen
sollen, als ob er abgercist sei."

„Was höre ich!"

„Er muß noch da sein, Herr Doktor. Die gnädige Frau
müßte ihn denn unterm Shawl mitfortgenommen haben."

Das war Wasser auf die Mühle Mannhardts. „Sein
Herr ist noch hier? Wo — wo? Augenblicklich!"

Jost zeigte auf die verschlossene Thüre.

„Probiren Sie's hier einmal!"

Mannhardt drückte auf die Klinke; sie gab nicht nach. Er
beugte sich an das Schlüsselloch.

„Lieber Freund," rief er leise; — keine Antwort. „Lieber
Freund," wiederholte er.

„Wenn er aber doch schon fort wäre!" sagte Jost mit er-
leichtertem Herzen. „Er ist ja aber der allerunschuldigste —
ungefährlichste —"

„Wart, ich will Dirs beweisen, Du alter Schwätzer," tönte
von innen Hugo's Stimme.

„Er ist da — er ist gefunden!" jubelte Jost.

„Lieber Widrall," flüsterte Mannhardt auf's Neue durchs
Schlüsselloch.


„Sind Sic es, Doktor?"

„Oeffnen Sie schnell. Ich habe Ihnen Wichtiges mit-
zutheilen, Sachen von ungeheurer Tragweite."

„Ich kann nicht öffnen. Meine Frau hat den Schlüssel."
„Tu lieber Himmel," seufzte Jost. „Schließt sie ihn
noch ein, wenn sie ausgeht."

Mannhardt befahl Jost, Werkzeuge zum Erbrechen der
Thüre zu holen.
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