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130 Ein König und ich.

unangenehmsten Berührungen gekommen wären. Während der
ganzen Reise appellirten wir an das Schicklichkeitsgefühl der
Mutter, und die Mutter appellitte ihrerseüs an unsere Gut-
müthigkeit, und so schlugen wir unter beständigen Rippenstößen
und Appellattonen die zwölfstündige Zeit todt, die der Hau-
derer brauchte, um uns an den Ort unserer Bestimmung zu
bringen.

In München zerstreuten sich die Mitglieder der halbzerglie-
derten Reisegesellschaft. 3ch stieg in der goldenen Traube ab,
einem Hotel, das mir wegen seiner vielen Tugenden in Heidel-
berg empfohlen worden.

Nachdem ein Kellner mit sichtbarer Verachtung mein schüch-
ternes Gepäck in ein einäugiges Zimmerchen hatte bringen las-
sen, nämlich in ein Zimmerchen mit einem Fenster, das aus
dem Dache auf die benachbarten Dächer melancholisch blickte,
trat ich in den Gastsaal, um nieine matten Lebensgeister durch
ein frugales Mahl zu stärken. Ich setzte mich an die Tafel,
verlangte die Speisekarte und wählte mir solche Gerichte, die,
ohne meine Börse allzusehr zu schwächen, meinen leiblichen
Menschen hinlänglich stärken könnten. Ich gab dem Kellner
meine Aufttäge und wartete mit Ungeduld, daß die Karte eine
Wahrheit werde. Ich mußte lange warten. Endlich kain der
Kellner; statt mir aber die duftende Erfüllung meiner Wünsche
zu bringen, brachte er ein großes Buch, das er mit einer
schaudererregenden Feierlichkeit vor mich hinlegte. Es war das
Fremdenbuch, vor dessen Herz und Nieren prüfenden Rubriken
kein Geheimniß möglich war. Ich hatte zehn volle Minuten
zu thun, bis ich in der Angst meines Herzens jene Rubriken
ausgefüllt hatte. Nachdem ich aber den Wünschen der Polizei
auf's Vollkommenste entsprochen, nachdem ich schwarz auf weiß
gesagt, welchem Gott und welchem deutschen Fürsten ich ange-
hörc und daß ich an keinen polizeiwidrigen Gewissensbissen
leide, gab ich aufathmend dem Kellner das Buch zurück.

Ich hielt nun die Sache für abgemacht, als ich zu mei-
nem nicht geringen Schrecken wahrnahm, daß ein mir gegen-
über sitzender alter Herr, den ich früher nicht bemerkt, dem
Kellner vornehm winkte, woraus ihm dieser mit vielen Ver-
beugungen und mit stummer Ehrfurcht das Buch vorhiclt. Der
alte Herr las vor dem Pulte, den die Arme des Kellners bil-
deten, meine steckbrieflichen Gedanken sehr aufmerksam; dann
winkte er wieder, worauf sich der Kellner unter vielen stum-
men Verbeugungen mit dem verhängnißvollen Buche zurückzog.

Der Alte betrachtete mich jetzt mit einer Gänsehauterre-
gcnden Aufmerksamkeit und knüpfte dann ein Gespräch mit mir
an, das sich um die Universität Heidelberg, die ich eben ver-
lassen, und um das deussche Studentenlcben im Allgemeinen
drehte. Es ward mir bei dieser Unterhaltung, die in Fragen
von Seiten des Alten und in schüchternen Antworten von mei-
ner Seite bestand, unheimlich zu Muthe. Der Alte benahm
sich wie ein Untersuchungsrichter dem Delinquenten gegenüber,

so daß die Unterhaltung einem polizeilichen Verhöre ähnlich sah.
Meine Angst zu vermehren, sah ich, daß die Gäste, die sich
im Saale befanden, immer in einiger Entfernung von dem
Alten blieben, nie mit ihm sprachen, ihn mit einer Mischung
von Ehrfurcht und Neugierde bettachteten, sich von Zeit zu
Zeit gegenseittg leise in die Ohren flüstetten und dann und
wann auch auf mich sehr eigenthümliche Blicke warfen.

Der Alte ward indessen immer freundlicher und deßhalb
meine Seelenangst immer größer. Es war mir nämlich be-
kannt, daß Untersuchungsrichter die Höflichkeit als ein Haupt-
mittel gebrauchten, den Angeklagten Geständnisse zu entlocken;
und ich weiß wahrlich nicht, was ich in diesem Augenblicke
darum gegeben hätte, wenn mein greises Gegenüber grob ge-
wesen wäre. Seine Grobheit hätte mich beruhigt. Aber er
wurde mit jedem Augenblicke, wenn auch nicht höflicher, doch
gemüthlicher, herzlicher, zuttaulicher, und ich daher immer
ängstlicher, furchssamer, beklommener. Ich suchte freilich meine
Angst so viel wie möglich zu verbergen, theils um nicht feige
zu erscheinm, theils um nicht Verdacht zu erwecken; aber es
gelang mir so schlecht, daß ich mit Messer und Gabel die
dümmsten Stteiche machte, mehrere Male in's Tischtuch, statt
in's Cotelet schnitt; statt in die gerösteten Kartoffeln zweimal
in meinen rechten Zeigefinger stach und mit meinem linken
Ellenbogen ein Glas Mcdoc umstürzte und auf dem weißen
Tischtuche ein rothes Meer verursachte.

Durch diese Thaten meiner Verlegenheit gerieth ich erst
recht in Verlegenheit. Der alte Herr lächelte. Ich aber konnte
meinen peinlichen Zustand nicht länger erttagen; ich sagte da-
her dem alten Herrn, daß ich von der Reise sehr ermüdet
wäre und mich zu Bette begeben müßte. Der alte Herr fand
dies sehr natürlich, reichte mir die Hand und lud mich auf
den andern Morgen Punkt zehn Uhr zum Frühstück ein.
Er legte einen besonder» Ton auf „Punkt zehn", was mir
höchst sonderbar vorkam. Ueberhaupt lag in der Art und
Weise der Einladung etwas Gebieterisches. Es war mehr
Kommando als Einladung, was mich so sehr srappirte, daß
ich nicht im Stande war, eine abschlägige Antwort zu geben.
An den Mienen der übrigen Gäste bemerkte ich aber, daß sie
durch diese an mich gerichtete Einladung in ein merkwürdiges
Staunen geriethen.

AIS ich den Gastsaal verließ, begleitete mich derselbe Kell-
ner, der bei meiner Ankunft mit solcher Unbescheidenheit mein
bescheidenes Gepäck bettachtet hatte. Sein Benehmen gegen
mich war jetzt ein ganz anderes. Zn jeder Hand eine Wachs-
kerze begleitete er mich mit vielen Bücklingen die drei Treppen
hinauf, die zu meinen vier Wänden führten, und ensschuldigte
sich dann mit einem reichen Aufwand von Beredsamkeit, daß
er nicht im Stande gewesen, mir ein größeres Zimm« anzu-
weisen.
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