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Die alte Muhme.

L In der Werkstätte des Schneiders.

„Nimmermehr!"

„Doch!"

„Nein —"

„Ich kann nicht anders!"

Ei» dicker Mann und ein magerer sprachen mit ein-
ander. Sie sprachen in einer geräumigen Stube. In der
Stube standen Tische. Auf einem derselben lag ein Filz.
Der Filz war braun, beinahe schwarz. Darauf befand sich
ein Glas, mau konnte sagen ein Bierglas. Sonst war Nie-
mand im Zimmer.

Die Beiden hatten hastig gesprochen, erregt.

Der Eine, der Dickere, hatte dünnes, braunes Haar
auf deni Kopfe und einen ebenso dünnen braunen Schnurr-
bart unter der Nase. Der Andere, der Magere, hatte gar
keinen Bart, sah frisch und blühend aus und furchtsam drein.
Dieses furchtsame Dreinsehen stand im schroffsten Wider-
spruch zu seinen Worten. Diese waren entschlossen, fast trotzig,
und doch war die Stimme, mit der sie gesprochen wurden,
weich, biegsam, weiblich.

„Ich kann nicht anders!" hatte diese weiche, biegsanic,
weibliche Stimme gesagt.

Der Andere schwieg. Er schwieg zornig, als ob die
Bestinnntheit seines Gesellen ihn aufgebracht hätte; er mochte
wohl eine solche Bestimmtheit nicht gewöhnt sein an seinem
Gesellen. Er mußte sich daran gewöhnen.

„Ich muß ihr nach, ich muß sie wieder sehen," fuhr
der Magere fort.

„Sie ist vornehm, stolz — Du bist ein armer Schneider,
sie wird Dich verachten, verschniähen."

„Ich will sie nur sehen — einen Augenblick — ein
Wort mit ihr wechseln."

„Du liebst sie, die stolze, vornehme Dame."

„Ja."

„Wo hast Du sie kennen lernen?"

Der Geselle errvthete, er errvthete wie ein junges
Mädchen, das sich schämt. Er antwortete nicht.

„Du hast ihr einmal ein Kleid angemessen."

„Nein!"

„Anprobirt?"

Der Geselle überzog sich mit Karmin, ja mit Purpur.
Er konnte es nicht läugnen. Er hatte es gethan — öfter
— er wußte selbst nicht nne oft. Er schüttelte sich — er
zitterte.

„Man sollte nie so junge Leute schicken, sollte sie nicht
einer solchen Versuchung aussctzen — ich messe Alles selbst
an, probire auch Alles selbst — nicht an mir — an den
Damen — bin in den Jahren, wo einem die Hand nicht
mehr zittert, fliegt, wenn man> untersucht, ob ein Leibchen
fest sitzt, sicher, Dein früherer Meister hat eine schwere
Verantwortung."

„Er hat sie." Der Geselle sagte das leise, dumpf.

„Ich will sie aber nicht haben," rief der Meister, „und
darum lasse ich Dich nicht mit den Kleidern reisen, gehe
lieber selber, schicke lieber Niemand."

Der Geselle wurde bleich, fahl, kalkig. Er griff krampf-
haft in seine Brust-, in die Vordertasche seines Rockes. Er
zog ein gedrucktes Blatt heraus, es war eine Zeitung. —
das Amtsblatt der Stadt. Er gab das Blatt dem Meister,
er wankte dabei, er ächzte.

„Lesen Sie," sagte er mit seiner weichen, biegsamen,
weiblichen Stimme, aber ganz leise, kaum hörbar, „lesen
Sie ganz oben."

Der Meister begriff nicht, er las; las noch einmal.
Es war eine Bekannntmachung der Polizei über einen Dieb
stahl. Der Diebstahl war im Hause des Freiherr» von Senf-
korn begangen worden. Eine Schatulle voll kostbarer Familien-
Schmucksachen war beim Einpacken vermißt worden. Man
packte zur Badereise. Die Schatulle war nirgends zu finden
gewesen. Sic war gestohlen. Zugleich hatte man ein Itrnmpf-
band des Freifränleins auch vermißt. Das Strumpfband
war werthlos, aber cs mußte zu derselben Zeit abhanden
gekommen sein, es konnte auf die Spur des Thäters führen.
Eine Belohnung war auf deren Auffindung gesetzt, eine bc-
deutende Belohnung.

Der Meister las zum dritten Male. Er sah den Ge-
sellen an. Dieser griff noch einmal in die Brust-, in die
Vordertasche seines Rockes. Er zog ein rosarothes Gumnn-
band hervor mit einer Stahlschnalle an der eine» und einem
glatten Knopf an der andern Seite. Es war ein Strumpf-
band. Es buftete. Es mußte einer hohen Person gehören,
einer Frau von Stand. Der Meister begriff endlich. Es
war das Strumpfband des Freifräulcins von Senfkorn. Der
Meister erblaßte.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die alte Muhme"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schneider
Streit <Motiv>
Geste <Motiv>
Werkstatt
Geselle
Karikatur
Unschuldiger
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Verliebtheit <Motiv>
Heimliche Liebe
Liebender <Motiv>
Unstandesgemäße Liebe

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1017, S. 2
 
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