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Ein Briefmarken-Sammler.

Das Gastzimmer des Schlaberndorfer Hofes wurde
langsam leerer und einsamer. Die alten Stammgäste waren
nach und nach mit ihrem Haupte, dem bewußten reichen Klein-
händler, zu dessen Schwiegersohn, in die junge goldene
Rosine gezogen, und diese gedieh und florirte mehr und
mehr, und zwar in dem Maße, als der alte Schlaberndorfer
Hof abzunehmen drohte.

Es war entsetzlich! Die arme Wittwe war sich keiner
Schuld bewußt; Küche und Keller waren vortrefflich wie
immer, ihre persönliche Freundlichkeit blieb sich gleich. Doch
nichts wollte helfen, und mit Schrecken sah die arme Frau,
daß sie wirklich auf dem besten Wege war, die Besitzerin des
zweiten Gasthofes der Stadt zu werden, während die goldene
Rosine sich mit Macht auf den ersten Platz erhob und be-
I hauptetc.

Da führte denn einstens der Zufall einen Hotel-Besitzer
j aus der großen Stadt Frankfurt a/M. nach dem Schlabern-
dorfer Hofe und in dessen ödes Gastzimmer. Die hartbedrängte
* Frau öffnete dem Herrn Kollegen ihr Herz, schüttete an
seinem mitfühlenden Busen ihren Kummer aus, und das
z sichere Auge des gewandten, praktischen Fremden-Beherbergers
> glaubte in der ersten Viertelstunde den Sitz, den Keim des
i Uebels zu erkennen. Er versprach der zartfühlenden Wittwe
Abhilfe unter der Bedingung, daß von nun an im Schla-
j berndorfer Hofe, wenn da bei den Fremden die Rede von
Frankfurt a/M. sein würde, nur, und ganz allein von seinem
Gasthofe, als dem ersten Frankfurts, ja des ganzen civili-
sirten Deutschlands, gesprochen werden dürfte.

Bald darauf langte denn auch Herr Franz Kreide in
Schlaberndorf an und würde von der Wittwe Schnepfe! —
wenn es sich nur irgend geschickt hätte — mit offenen Armen
empfangen worden sein, denn der noch junge Mann präsen-
tirte sich in der That als das Ideal eines eleganten, galanten
und hochgebildeten Oberkellners. Jetzt begann im Schlabern-
dorfer Hofe eine wahre Revolution. Alles mußte modernisirt,
der alte Schlendrian zur Thüre, zum Fenster hinaus geworfen
werden. Der neue Oberherrscher führte sofort beim ganzen
dienenden Personal den schwarzen Frack ein, er hätte dies
herrliche Kleidungsstück, als das einzige anständige und wür-
dige, auch der Köchin und den Stubenmädels octroyirt, wenn
solches nur einigermaßen angegangen wäre. Dann befahl
er gescheiteltes Haar, von der Mitte der Stirne bis tief
hinab in den stolzen Nacken, gegen welche Neuerung das
weibliche Dienstpersonal sich nicht sträuben konnte, und welche
höchst zweckmäßige und schöne Frisur besonders dem etwas
ungelenken Hausknecht gar vortrefflich stand. Dabei blieb
Herr Franz Kreide natürlich nicht stehen; noch ganz andere
wichtigere Neuerungen brachte er im Schlaberndorfer Hofe
in Gang, wie die zur Zeit, besonders in Frankfurt und in
den modernen Gasthöfen der großen und kleinen Rhein-
städte üblichen, durch den „rothen" Bädecker sanktionirten,
vcrvollkommneten „detaillirten" Hötel-Rechnungen. Da konnte
man denn von nun an lesen von „Bougies", „Eclairage-
Berechnung", von „Service-Geldern'/ von einem Dejeuner

so und so viel, Butter und Brod dazu — so viel, Kaffee
und Zucker dazu — so viel. Sogar die Milch erhielt dann
noch ein apartes bescheidenes Plätzchen, alles zu Nutz und
Frommen, zur Freude und Erbauung der Herren Reisenden-

Somit war Alles vortrefflich, prachtvoll, elegant und
modern, und sonderbar! die Herren Reisenden ließen sich diese
Neuerungen gefallen, fanden die Rechnungen nicht einmal
übertrieben, sondern sogar höchst anständig. Sie waren ja
gut geschult, anderwärts daran gewöhnt worden, und als
„Reisende" eben auch nur auf der Welt, um der Ehre theil-
haft zu werden, solche musterhafte Hütel-Rechnungen bezahlen
zu dürfen! — Aber die Schlaberndorfer Herren Stamm-
gäste wollten sich durch solche Modernisirung nicht imponiren,
noch fangen lassen, und die Gast- und Zechstubcn, die Schoppen-
und Maßgäste, die schönste Zierde eines Gastzimmers, das
belebende Element derselben, fehlten wie bisher.

Was nützte es Frau Schnepfcl, täglich fremde Gesichter
um sich zu sehen, die da kamen und gingen, kalt, thcilnahm-
los! Ihren einheimischen Rang wollte sie wieder cinnehmen,
alle Herren, die Ersten der Stadt, die Spitzen der männ-
lichen Gesellschaft allabendlich um sich versammelt sehen, von
ihnen flattirt, bewundert, becourmacht werden. Das fehlte
der Armen, denn nicht einmal der elegante, befrackte und
gescheitelte Oberkellner hatte Augen für sie und beachtete,
betrachtete sie kaum, höchstens ehrfurchtsvoll, mit keinem tiefer
dringenden Blick.

Was mochte denn dieses Betragens Ursache sein? Der
junge Oberkellner hätte ganz sicher — wenn sein Herz sich
nur irgend in einem normalen Zustande befunden haben
würde — den Einfluß der stattlichen Persönlichkeit der Haus-
herrin empfinden müssen. Sollte besagtes Herz etwa ander-
wärts occupirt, von andern Bildern, andern Passionen er-
füllt sein?

Ja — so war es. Herr Franz Kreide trug eine
Passion im Herzen, die ihn vollständig blind für die Reize
der Frau Schnepfel machte. Aber es war bei Leibe keine
gewöhnliche Leidenschaft für ein Mitglied des anderen Ge-
schlechts. Es war eine höchst noble und zeitgemäße Passion-
Er hatte sich mit Leib und Seele der modernen, verführerischen
Zauberin ergeben, die da Alt und Jung, Klein und Groß
in den civilisirten, auf hohe Bildung Anspruch machenden
Städten Deutschlands, Europas schier verrückt gemacht hatte,
alte Herren sowohl, als solche in den besten Jahren, bis
herab auf die gymnasirende, realschulbeflisscne, Heranwachsende
Generation. Er war mit einem Worte — Markoman e,
auf ehrliches deutsch: Briefmarkensammler!

Das große Wort ist gesprochen! — Ja, Franz Kreide
war Briefmarkensammler und noch dazu einer der passionir-
testen, wüthendsten. Diese Leidenschaft hatte sein Herz so voll-
ständig eingenommen, daß für andere, gewöhnliche Passionen
auch nicht das kleinste Plätzchen mehr übrig geblieben war-

In Frankfurt war dieser neue Geist des Jahrhunderts
über ihn gekommen. Bebriefmarkte Couverts von den Reisen-
den aus allen Weltgegenden in Papierkörben und an anderen
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