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Und er begehrte zu trinken, da sprach sie:

Bach, was lhust Du's nicht?"

Wie er getrunken, wurden seine Augen hell und er sah,
daß die Maid die schönste sei, die er je gesehen, da fragte
er sie nach ihrem Namen und sie sprach: „Die Ahne heißet
mich Willgard, und so hießen mich die Sippen ehe sie aus-
zogcn in's Frankenland, wie der Hunger und die Kälte so
hart war im Thal."

Und sie bückte sich wieder und brach Kräuter vom Bach,
da fragte er: „Willgard, was tbust Du?"

Sie antwortete: „Sieben mal sieben Kräuter will ich
suchen bei Sonnenaufgang, wie mich die Ahne geheißen, weil
sie schwach ist und krank, daß sie sie unter ihr Kissen lege."

Er sagte: „Du thust wohl und der Tag ist gut, da
j der Herr auffährt gen Himmel und sein Fuß noch die Erde
! berührt."

Sie sprach: „Ich kenne den Herrn nicht, wo ist er?"

Da erschrak der Edelknecht in seinem Gemüth und machte
das dreimal heilige Zeichen des Kreuzes, über Stirne und
Brust, denn er sah, daß es eine Heidin war, und sagte:
„Der Herr ist Jesus Christus!"

Sie fragte: „Ist es ein Franke wie Du? Denn ich
kenne keinen Allemannen des Namens."

Da ward des jungen Knechtes Herz noch betrübter, da
sie so sprach und ihm doch besser gefiel mit jedem Augenblick,
und er sagte: „Ich will Dich's lehren, wer der Herr sei,
aber sage Du mir zuvor, wo Deine Wohnung ist und Deine
Sippen gesessen?"

Sie antwortete: „Wenn Du ein wenig noch den Bach
j aufwärts gehst, wirst Du meiner Ahne Hütte finden und
, ringsum der Sippen Häuser, die zerbrochen liegen und öde.
Sturm und Hochwasser hat im Sommer die Ernte zerschlagen,
und wie der Winter so früh gekommen ist, da ist der Hunger
mit eingezogen und war kein Mehl in den Kästen, und das
Wild war erfroren und versprengt. Da traten die Männer
zusammen, und die schon im Frankcnland waren, sprachen:
was sollen Weiber und Kinder hier hungern und frieren?
Wir wollen in'S Frankenland hinabziehcn, daß wir finden,
was uns fehlt. So sind sie gegangen; aber die Ahne
wollte nicht mit, und ich bin bei ihr geblieben, wie ich
gesollt, da meine Nächsten alle todt sind. Die Andern sind
gegangen und haben uns zurückgclassen, was sie konnten;
aber wir haben doch müssen hungern im Winter, und ich
Hab' mit den Füchsen um das zerfressene Wild gekämpft.
Jetzt müssen die Sippen bald wieder kommen, denn der Wald
ist schon lange grün."

Da schüttelte der Edelknecht das Haupt und sprach:
„Es ist ein Zug Allemannen durch Burgund und Austrasien
gezogen in'S Land Aquitanien, und Hab' ich Keinen wieder
zurückkehren sehen. Wer weiß, ob sie wieder kommen!"

Da sah die Magd vor sich nieder und sprach: „So
müssen wir denn auch den Sommer durch versuchen, ob wir's
allein durchbringen, denn die Ahne ist alt und schwach, und
ich weiß den Weg nicht nach dem Lande, das Du genannt.

Aber sage mir, Du, der Du doch ein Höriger bist, was
trägst Du langes Haar, wie ein Freier?"

Er sagte: „Waö meinst Du, daß ich ein Höriger sei?"

Sie sprach: „Weil Du von Deinem Herrn geredet."

Da sagte der Edelknecht: „O Willgard, der mein Herr
ist, der ist ein Herr über alle Herren und über die Könige
in allen Landen, da, sieh hin!" Und er zog ein Kreuzlcin
aus seinem Busen, daran der Heiland geheftet war, kunstreich
geschnitten auö Elfenbein von einem Mönche in Byzanz, und
sagte zu ihr: „Das ist der Gott, der für uns gestorben ist
am Kreuze, zu dem wir beten."

Sie aber warf die Lippen auf und sprach: „ES ist
ein todter Gott!"

Da sagte er zu ihr: „Er ist auferstanden von den
Todten!" Und er erzählte ihr, was er wußte von Jesus
Christus bis zur Himmelfahrt, und sprach: „Der Tag ist
heute!"

Sie wandte sich um und sah gen Himmel; da löste
ein Nebel sich los aus den Tannen wie die Gestalt eines
schwebenden Mannes. Und die Sonne säumte den flatternden
Mantel mit Purpur und wob einen goldenen Schein ihm
um's Haupt.

Und die Gestalt hob sich und schwebte hinan gegen
Himmel und Sonne; zwei weiße Wolken flogen ihr nach
immer höher in's Licht.

Der Morgenwind hielt den Athem an und des Waldeö
und Baches Rauschen verstummte.

Die Willgard aber sank auf die Knie und hob die
Hände und sprach: „Ich habe den Herrn geseh'n!" Da
zerging im blauen Himmel die Gestalt und die Sonne stand
glänzend über dem Thale.

Der junge Knecht nahm die Hand der Magd und sprach:
„Willgard, führ' mich zu Deiner Ahne!"

Sie stand auf und ging ihm voran, und Keines redete
ein Wort, bis sic zur Hütte kamen.

Wie sie an die Schwelle traten, sprach der junge Knecht:
„Der Herr sei mit unö!" und sie traten ein.

Da lag die Ahne auf ihrem Lager starr und bleich,
denn sic war gestorben.

Die Willgard warf sich über sie mit tausend Thränen,
mit Klagen und Seufzen.

Wie der junge Edelknecht nun gedachte, cs sei genug/
sprach er: „Willgard, der Herr hat sie mit sich genommen,
den todten Leib aber wollen wir bestatten."

Und sie gruben ein Grab und legten die Ahne darein,
und die Willgard streute alle Kräuter, die sic gesammelt,
darauf und sprach: „Jetzt bin ich allein."

Der Edelknecht aber sagte: „Du gehst mit mir gen Frankcn-
land, dort sollst Du dcö Herrn Gebot lernen von geweihtem
Munde und sollst nicht allein sein. Willst Du mit mir
gehen?"

Sie antwortete: „Ich will'S", und packte ihr Bündel
und griff nach des Jägers Speer und sprach: „Ich will ihn
Dir tragen."

Aus pfälzischer Vorzeit.
„Da ist der
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