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Der er]

Gleich nach den ersten Tanzstunden, in welchen ihm das Engage-
ment compliment hergebracht worden war, übte er dieses gegen
ein aufgerichtetes Sophakissen, das die Dame vorstellen sollte,
im Comptoir genau nach Vorschrift ein: den Oberkörper
elegant und leicht nach vorn gebogen, den Kopf ein wenig
auf die linke Seite, die Arme perpendikulär herabhängend
und dann das stereotype: „Mein Fräulein, darf ich das
unendliche Vergnügen haben u. f. w."

Jemand sagt sehr geistreich: die Ziehharmonika sei ein
schönes Instrument; namentlich wenn man sie nicht zu hören
brauche. In unscrm Geschäfte wurde dieser Gegenstand des
Schreckens geführt, oder um in der Kunstsprache zu reden:
„wir machten in diesem Artikel". In Ermangelung eines
Fortepianos ließ ich meinen musikalischen Gefühlen aus diesem
peinvollen Instrumente freien Lauf und hatte es zu einer
erstaunlichen Fertigkeit gebracht, alle möglichen Melodien auf
die Ziehharmonika zu übertragen, sogar die Tanhäuser-

Ouvcrturc war ich grausam genug, nicht unverschont zu lassen,
da der Componist gerade zu jener Zeit im Exil lebte,

durfte ich solche leichtsinnige Transscription schon wagen.
Dem Obercollcgen war nun die Erfindung dieses Marter-
instrumentes eine sehr willkommene, nicht minder meine
Kunst es spielen zu können, wozu er mich auch oft auf-
forderte. Ich erfüllte ihm auch gerne in dieser Beziehung
seine Wünsche, denn cs war schon etwas werth, den Ober-
Collegen nach den Tönen der Ziehharmonika Solo tanzen

zu sehen, wobei er sich der Illusion hingab, mit einer schönen

Dame zu tanzen, wenigstens so gestikulirte er. In solcher
Situation pflegte mich mein College, der sarkastische, mit
einem Savoyardenknaben zu vergleichen; der Obercollege
verstand indessen diese Anspielung nicht, da er wohl nicht
an Affen tanzen lassende Savoyardenknaben dachte. Von
allen den Tanzübungen in unscrm Comptoir, dem durch
das Ras-Zählen 1, 2, 3 — 4, 5, 6 der Charakter eines
Erercierplatzes verliehen wurde, hatte ich selbst so wenig
profitirt, daß mir die edle Tanzkunst ein räthselhaftes Gc-
heimniß blieb; dieses mußte ich eines schönen Morgens
der Frau vom Hause bekennen, als sie mich zu dem im
Hause stattfinden sollenden Balle mit dem Bemerken cinlud,
daß ich auch mit auf der Liste der tanzenden Herren ver-
zeichnet stünde. Meine Versicherungen, nicht tanzen zu können,
halfen nichts; „Tanzen ist naturwüchsig", meinte die würdige
Dame, „es wird schon gehen."

Mit gerechter Furcht sah ich Nichttänzer diesem Balle
entgegen, von dem das Personal, das sämmtlich eingeladen
war, als etwas außergewöhnlichem und ereignißvollem sprach.
Der Obercollege hatte sich hierzu sogar einen neuen Ball-
! anzug machen lassen, sein Debüt sollte ein glänzendes sein;
hier konnte er uns seine Kunst zeigen; hic Rhodus, hic
salta.

Endlich war der Ballabend hcrangerückt. Der Dust
nach Braten, Tutti fruttis, Cremes und Puddingsaucen, den
' ich zwei Tage lang vorher in Folge der culinarischen Zn-
rüstungen mit innerem Behagen eingeathmet hatte, war einer

e Ball.

reineren Atmosphäre gewichen. Jetzt herrschte Blumendust
überall. Das Treppenhaus war mit mächtigen Pflanzen
geschmückt, zwischen denselben brannten die Gascandelaber,
hier und da standen in einer Nische GipSstatucttcn, deren
schneeige Weiße mit dem tiefen Grün herrlich contra-
stirte. Alles sollte einen imponircnden Eindruck macken,
sogar die dienstbaren Geister. Der Kutscher, der Gärtner
und zwei Hausknechte, die in schwarze Fracks gekleidet, deren
Fayons nickt nur die Saison, sondern schon einige Dezennien
passirt hatten, sollten die Aufwartung auf dem Balle besorgen,
unter Assistenz zweier wirklicher Lohndiener, welche eben solche
historische Fracks trugen und also dadurch das Ensemble der
Bedienung nicht störten.

Obgleich ich mich nach meinem Dafürhalten gut aus-
staffirt hatte, denn mein Confirmationsfrack war noch sehr
gut conservirt, so soll ich doch nach dem llrtheile meines
Collegen, dem sarkastischen, eine sehr „fragwürdige" Gestalt
gewesen sein. Ich befand mich noch in dem zarten Alter
von 13 Jahren, das man bei Mädchen knospcnhaft zu be-
nennen pflegt, bei Knaben aber als das der Flcgeljahre be-
zeichnet. Mit meiner ungewöhnlich kleinen Gestalt und verhält-
nißmäßig übergroßen Extremitäten, die auf eine spätere fast
vorsündfluthlich große Körpcrentwicklung schließen ließen,
machte ich den Eindruck eines Gnomen, und da mich junge
Damen, meines überaus gesunden Teintes halber, für sehr
uninteressant finden mußten, lief ich auch durchaus keine j
Gefahr, als Tänzer gejuckt zu sein.

Die Frau vom Hause empfing, wie die Elisabeth im
zweiten Akte des Tanhäusers, die aNkommenden Gäste,
wozu ein gemietheter Clavicrpauker den berühmten Marsch
dieser Oper spielte, unter Accompagnement zweier Geigen
und eines Contrabasscs. Es war eine distinguirtc Gesell-
schaft, manches hübsche Mädchen, sogar einige OffizierS-
Uniformen dazwischen, die gegen die monotonen schwarzen
Fracks gut abstachen; überhaupt sollte dergleichen Staffage
auf keinem besseren Balle fehlen. Als Alles versammelt
war und sich nach dem unvermeidlichen Bombardement von
Thee und Confituren, respectiven Butterbroden, zu einer
Polonaise gruppirte, schlug ich mich mit einigen gleichfühlcn-
den Collegen buchstäblich in die Büsche.

An den ziemlich großen Tanzsaal grenzte nämlich eine
Enfilade comfortable eingerichteter Zimmer, die mit allen
möglichen Blumen und Bäumen geschmückt waren. Hier
hatte ich eine trauliche Stätte ausspionirt. Ziemlich un-
gesehen lagerten wir uns unter einer gut arrangirten Banin-
gruppe; ick saß als kundiger Ganymed auf dem Kübel eines
mächtigen Orangenbaumes mit einem gewaltigen Korkzieher
bewaffnet, zur Seite eine Flaschenbatterie aller möglichen
Weinsorten. Die Hausknechte kannten unsere Sympathieen
für feines Backwcrk, Puddings, Gefrornes u. s. w., cbenfv
wie unfern kolossalen Appetit, den man in jenen jungen
Jahren gewöhnlich hat, und präsentirken uns zwei bis drei-
mal ihre beladenen Teller, und wenn sie schließlich nickst
Alles anbringcn konnten, so übernahmen wir noch den Resst
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