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Warum Herr Heinrich von Stromfeld noch immer keine Fran hat.

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und gearbeitet habe. Mach' mich nicht unwirrsch Junge, sonst
richte ich Stromfelde zum Fräulcinstift ein; da mögen denn
die alten Jungfern für Deine Seele beten. Also, Du
kommst! Aber nicht ohne Brant, sonst höre ich wahrhaftig
auf mich zu nennen

Deinen getreuen Onkel Ambrosius von Stromfeld.

Dein Herrn Ambrosius von Strvmfcld auf Stromfelde.

Theurer Onkel!

Du hast Recht, ich habe mich lange genug in der
Welt umhcrgctricben und verlange nichts mehr, als bei Dir
zu fein und wie sonst mit meiner Pfeife, meiner Flinte durch
Feld und Wald zu streifen. Wenn Du erlaubst, Lin ich in
acht Tagen bei Dir in dem lieben, alten Stromfeld. Aber
mit einer Braut kann ich nicht kommen — glaub' eS mir,
lieber Onkel, eine Heirath wäre für mich der sicherste Weg
zum Selbstmord oder Wahnsinn.

Verstehe mich nicht falsch, bester Onkel, ich bin kein
Weiberfeind. Auch ich habe meinen Schiller im Herzen und
weiß wie Du, daß die Frauen bestimmt sind, „himmlische
Rosen in's irdische Leben" zu flechten. Früher haben sic das
gethan und sie könnten es noch, denn von Natur sind sie
! schön und gut, wie ihre Mütter und Großmütter waren —
aber es hat sich ein böser Dämon der armen Wesen bemächtigt,
der sie zur Plage ihrer Umgebung macht. Ihre Schuld ist
es nicht — gewöhnlich sträuben sie sich jahrelang gegen die
Macht des Dämons. Aber in unbegreiflicher Verblendung
führen ihn Eltern und Erzieher in den Kreis der Familien
ein; die Priester, die sich seinem Dienst geweiht haben, wer-
den von christlichen Negierungen besteuert, als ob's ein christ-
lich Gewerbe wäre, das sie treiben — ja, Du selber, lieber
Onkel, wirst Du nicht den Kopf schütteln und mich der
I Schwarzseherei beschuldigen, wenn ich den Namen des Un-
holdes nenne? — der Klavierteufel ist'sI Lache nicht,

! lieber Onkel, sondern leihe mir Dein Ohr, ich will ver-
suchen, Dir in wenigen Worten sein Wesen und seinen
Einfluß zu schildern. Denke Dir ein kleines Mädchen von
j fünf bis sechs Jahren. Mit Hellen Augen blickt es in's
Leben; der Sonnenschein und der Grashalm sind seine Spiel-
kameraden; jedes Blümchen, jedes Insekt hat eö lieb; alle
! Dinge erzählen ihm ihre Geschichte; cS ist: „Unbekannter
Weisheit froh, Vogelsprachkund, Vogclsprachkund, wie Salomo!"
das lieblichste unter allen Geschöpfen unsres Herrgotts.

Aber im Zimmer der Mutter steht die modische Seclcn-
falle, der klingende Kasten, Klavier genannt, mit den großen
Elfenbcinzähnen, die gemacht sind, alle weibliche Schönheit
und Liebenswürdigkeit zu zermalmen. Zuweilen singt der
Verführer eine einfache Melodie, die das Kind erfreut. Es
kommt schüchtern heran, legt die Finger auf die Tasten und
jauchzt, wenn es den ersten Ton hört. „Willst Du spielen
lernen?" fragt die Mutter. Das Kind sagt „Ja" und der
Klavierteufel reibt sich vergnügt die Hände. Die arme Seele
ist sein!

Anfangs freilich sträubt sie sich noch. Man sehe nur
das arme Kind mit gelangweiltem Gesicht und müden, wcit-
ausgespreizten Fingern den Marterkasten auf- und nieder-
fahrend, sein tägliches Pensum abarbciten. Aber alle kleine
Mädchen weit und breit thun dasselbe, sie werden um so
mehr gelobt, je emsiger sie es thun, und im Hintergründe
winkt das schöne Ziel, dereinst in den Gesellschaften der
Mama im weißen Kleide an'S Klavier geführt zu werden,
um vor einem paar Dutzend schwatzender Herren und Damen
in zehn Minuten abzutrommeln, was man sich in zehnjähriger
Quälerei mühsam eingepaukt.

Und wollte der Himmel, sie quälten sich allein! Aber
zehn Jahre lang täglich drei Ucbungsstundcn sind 10,950
Stunden, in denen Vater, Brüder, Hausgenossen, Nachbar»
zur Rechten, Linken und gegenüber alle Martern mit erdulden,
von der ersten Tonleiter bis zur hundertmal geübten Reverie
von Moscheies, oder der ewig klingenden Cloche du monastere.
Und nun denke Dir die Schwestern, Cousinen, Frcundinen,
die ein guter Ehemann mit anhörcn und bewundern soll;—

denke Dir seine Ehe mit Kindern gesegnet-drei, vier,

fünf musikalische Engel, ein jeder täglich drei Ucbungsstunden,
sind jährlich 5775 Stunden! — Onkel Ambrosius, falle
auf Deine Knie und danke dem Himmel, daß Du keine
Töchter hast! Mich aber bedauere, daß mich das leidige
Klavierspiel um Liebe und Eheglück betrogen hat!

Das Klavier, das Klavier allein hat mich ans Berlin
und Hannover, aus Wien und München vertrieben. Mehr
als einmal — ich will es Dir gestehen — hat mein Herz unter
dem Blick eines schönen Auges höher geschlagen; aber immer,
wenn ich in das Hauö des Mädchens kam, stand der . ver-
haßte Kasten da. Die Mutter sagte: „Gewiß lieben Sie
die Mustk? Meine Tochter ist sehr musikalisch." Und dann
setzte sich die Holde an's Klavier. Die schönen Augen starrten
auf das Notenblatt, die Arme fuhren hin und her, die Hände
verrenkten sich, die Schultern zuckten, der Kopf schlug
den Takt — das anmuthige Geschöpf war zur Pagode
entstellt.

Und wär'S nur das, — aber das Klavierspicl hat
alle Übeln Neigungen auSgcbildet, deren Keime in der Mcnschcn-
secle schlummern: Eitelkeit und Mißgunst — man will
alle Nebenbuhlerinnen überstrahlen und haßt Jede, die besser
spielt. Rücksichtslosigkeit und Egoismus — das
Töchtcrchcn muß spielen, Mama mag unterdessen arbeiten,
um daS Hauö in Ordnung zu halten, und Papa, um das
theure Stundengeld zu verdienen; Grausamkeit, nebenan
liegt ein Kranker, dem Ruhe noth thut — einerlei, das
Spielen darf nicht versäumt werden; die Finger kommen 3U
leicht aus der Ucbung. Trägheit sogar, ich meine die
geistige, die von allen die schlimmste ist, denn daß bei dcw
wochcnlangen, monatelangen Ucben eines ParadcstückcS der
Geist auch nur das Mindeste zu thun hätte, daS, lieber
Onkel, glaube ich nicht — im Gegcntheil, er muß von dcw
ewigen Getöne stumpf und dumpf werden; bedenke n»r,
1095 Stunden im Jahr!
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