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Die Reise zur Hochzeit.

„Ach schweig doch mit Deinem Unsinn!" erwiederte sie
ärgerlich.

.zu genießen

Ist Tugend und Begriff."

beendigte er seinen unterbrochenen Denkspruch und fügte
dann gleichmüthig hinzu< „Wer weiß, vielleicht hat er seinen
Vorsatz um einige Tage verschoben, vielleicht hat er nicht
am selbigen Tage zum Schreiben kommen können. Du
weißt ja, es gibt mancherlei Hindernisse im Leben, die man
eben nicht immer beseitigen kann. Man muß eben geduldig .. ."

„Geduldig, immer geduldig! Das ist immer Dein Stich-
wort. August hätte gewiß sofort geschrieben, wenn die Sache
glücklich abgelaufcn wäre. Ich kenn' ihn."

„Nun, wenn Du dessen gewiß bist, so nimm an, daß
auö der Sache nichts geworden; dann muß man sich geduldig . ."

„Ach pfui! mit Deinem ewigen Geduld predigen, wo
einem das Herz brechen will! Was können sie nur gegen
August haben?"

„Nichts, das ich wüßte," versetzte der Justizrath.
„Aber vielleicht mag ihn die Tochter nicht."

„Na höre, Mann!" versetzte seine Gattin mit beleidigtem
Mutterstolze, „das wäre doch dumm und albern von dem
Mädchen. Was will sie denn weiter verlangen? August
! kann es doch gewiß mit allen jungen Männern aufnehmen!"

„Vielleicht will das Mädchen," fuhr er bedachtsam fort,
j „aber die Eltern wollen nicht."

„Weil sie reich und vornehm sind," fuhr sie auf, „der
! Herr Vater Geheim-Rath, Doctor und Professor? Pah!

l DaS Alles kann unser August auch noch werden! Nein!

\ cS muß etwas anderes zum Grunde liegen, daß er nicht
geschrieben."

„Was meinst Du denn, Trudchen?"

„Er hat seine Absicht vielleicht ganz aufgegeben."

„Nun, dann ist's auch noch so. Er muß am besten
wissen, was zu seinem Frieden dient."

„Aber es ist doch ärgerlich", fuhr sie in ihrer Auf-
regung fort, „so lange warten zu müssen, ehe man'S er-
fährt."

„Man muß eben Geduld haben!" tröstete er.

„Ach! Du machst mich erst recht ungeduldig mit Deinem
ewigen Geduldprcdigen!" rief sie ärgerlich.

„Nun", erwiederte er, „so beherzige wenigstens den
j goldenen Spruch:

Des Lebens Unverstand mit Wehmuth . . . ."

Sie wartete das Ende nicht ab, sondern lief hinaus
i und schlug die Thür hinter sich zu. Er war aber einmal
im Flusse und declamirte laut weiter: „zu genießen
Ist Tugend und Begriff."

Darauf setzte er sich an seine Arbeit.

Sein Sohn August hatte sich seit einem Jahre in
Halle als Arzt und Docent an der Universität besetzt und
i sich in dieser kurzen Frist durch seine Geschicklichkeit eine
I zahlreiche Kundschaft und Schülerzahl erworben. Vor Kurzem
hatte er an seine Eltern geschrieben, daß er sich, wenn

sie ihren Segen dazu gäben, am nächsten Sonntag um die
einzige, achtzehnjährige Tochter des Geheim-Raths, Doctor
und Professor Noburg bewerben, und falls sein Heiraths-
antrag freundliche Aufnahme bei der Tochter und deren
Eltern fände, noch am selbigen Tage den Erfolg kurz mit-
thcilen würde. Die Einwilligung war von seinen Eltern
gern und freudig ertheilt; denn diese Verbindung machte den
Sohn zum Mitglicde einer hochangesehenen, einflußreichen
und sehr begüterten Familie, und schmeichelte dem Stolze
seiner Mutter nicht wenig, die selbst auö einer angesehenen
Familie war. Aber der verheißene Brief blieb, wie wir
gesehen, aus und erfüllte die Mutter mit ungeduldiger Sorge.
Den ganzen Tag über hatte sie keine Ruhe; nichts war ihr i
recht. Dazu kränkte sie sich über den Gleichmuth ihres
Mannes und ärgerte sich, wenn er sie, was den Tag über
wohl zehnmal geschah, zur Geduld ermahnte.

Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das ist ein
güldnes Sprüchwort und bewährte sich auch in diesem Fälle.
Schon am nächsten Morgen lief ein Brief vom Sohne ein,
kein dünnleibiger, der das gute oder schlimme Resultat in
wenigen Worten mittheilte, sondern ein dicker Doppelbrief.
Schmunzelnd öffnete ihn der Justizrath, denn er ahnte den |
Inhalt. Und wirklich, sein Sohn war glücklicher Bräutigam
und die überselige Braut hatte eö sich nicht nehmen lassen,
an die liebe künftige Frau Schwiegermutter einen gar aus- ,
führlichen, kindlich liebevollen Brief beizufügen, in welchem
sie ihr Glück lebhaft schilderte und um die Liebe und das
Vertrauen der verehrten Schwiegereltern sich bewarb. Run j
rief der Rath zur Thür hinaus seiner draußen beschäftigten
Gatttin zu: „Trudchen, komm rasch! eS sind Briefe da!" j
Schnell und erwartungsvoll kam die kleine, dicke Gestalt der
Frau Räthin in'S Zimmer geschossen, ihre Hand zitterte und
vor ihren Augen flimmerte cS wie hundert Regenbogen, alS
sie die Briefe las, aber cö waren nur eitel Freudestrahlen,
die ihr aus den Augen schossen. Run war sie eben so aus-
gelassen und stürmisch in ihrem Jubel, wie sie cs TagS zu-
vor in ihrer Ungeduld gewesen war. Fast hätte sie sich
ärgern können, daß ihr Gatte, der immer in gehöriger
Fassung blieb, sich nicht gleich ungebärdig anstellte wie sie
selbst. Doch der Aerger durfte heute nicht aufkommcn. Sie
ergriff ihren Alten, herzte und schmatzte ihn und riß ihn
mit den Worten: „Ei, Alterchen! sei doch ein Bischen ver-
gnügter!" tanzend und springend im Zimmer umher, wobei
er stoßweise und außer Athem die Worte sprach:

„DcS Lebens Hochgenuß mit Würde zu genießen,

Ist Tugend und Begriff."

Nach etwa drei Monaten lief dann die Einladung zur
Hochzcitsfeier ein. Braut und Bräutigam schrieben Beide
und baten dringend, ihrem Ehrentage durch ihre Gegenwart
erst die rechte, volle Weihe zu geben. Das Schwicger-
töchterchcn bat noch besonders, sich auf wenigstens acht Tage
cinzurichten, und ja gleich in dem Hause ihrer Eltern ab-
zutrcten, wo recht behagliche Zimmer für sie in Bereitschaft
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