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Ein uneigennütziger Freund.

Nach Art der vornehmen Dandics schaute er mit ziemlich
gleichgültiger Miene auf daö schimmernde Durcheinander herab.

Die Haltung dcS jungen Mannes war zuversichtlich,
aber keineswegs anmaßend. Seine feinen regelmäßigen Gc-
sichtszüge drückten nicht gerade jene cckle Blasirthcit und Ab-
spannung aus, welche sehr häufig die jugendlichen Rouäs
großer Residenzen auf hundert Schritte kennzeichnet, aber
sie ließen doch gewahren, daß er so ziemlich die Zerstreuungen
der fashionablcn Existenz eines Lebemannes durchgekostct
habe. Sein etwas blasses Aussehen machte ihn jedenfalls
den Damen um so interessanter, da cs zugleich seine blitzenden
Augen, den zierlich gedrehten Schnurr- und Knebelbart und
das natürlich gelockte, reiche und glänzende Haupthaar noch
dunkler erscheinen ließ, als es war. Schlank und hoch ge-
wachsen, imponirte seine Gestalt ohne alle Frage, die Eleganz
und Anmuth seiner Bewegungen trug wesentlich dazu bei,
seine Erscheinung einnehmend zu machen.

Obwohl, wie gesagt, seine Miene einen ziemlich gleich-
gültigen Ausdruck hatte, beobachtete er die wogende Menge
doch aufmerksam. Ihn beschäftigte diese Musterung sogar
der Art, daß er den kleinen, korpulenten Herrn nicht gewahrte,
der seit etwa zehn Minuten auf der dicht von Zuschauern
besetzten Gallerte neben ihm stand und ihn von Zeit zu
Zeit verstohlen anblinzelte.

Dieser kleine Herr spielte eine drollige Figur, man
konnte ihn nicht anblickcn, ohne über ihn zu lächeln.

Seine winzige Gestalt war kugelrund und dabei in
eine stutzerhafte Kleidung so zu sagen cingczwängt. Die
weiße, tadellos gefaltete Halsbinde, welche er trug, preßte
oas doppelte Unterkinn und die fleischigen, überhängcndcn,
bartlosen Wangen, deren dunkle Rothe durch die in's bläuliche
schillernde, rothe Schattirung der kvlbenartigen, wie ein
unförmlicher Fleischklumpen zwischen die Wangen hineinge-
quetschten Nase überbotcn ward. Der einer Wassermelone
gleichende Kopf war nur spärlich mit Haaren bedeckt, diese
aber hatte der kleine Herr mit großer Geschicklichkeit und
Hülfe einer Stangenpomade so über den kahlen Scheitel
vcrtheilt und geklebt, daß man die Dürftigkeit der Haupt-
zicrde nicht auf den ersten Blick gewahrte. Ein martialisch
langer, etwas röthlich-schwarz gefärbter Schnurrbart, unstreitig
eine Errungenschaft auö dem 48gcr Jahre, sah so auS, als
sei er nicht auf der Lippe gewachsen, sondern künstlich dort
befestigt, jedenfalls paßte er ganz und gar nicht in das
aufgedunsene Gesicht, dessen gutmüthige Züge zugleich einen
listigen, verschmitzten Ausdruck hatten. Diesen Ausdruck
fand man auch in den kleinen schwarzen Augen wieder, die
rastlos hin und her rollten, wie denn überhaupt das Männchen
in seinem ganzen Wesen eine beinahe fieberhafte, possierliche
Beweglichkeit entwickelte.

Der kleine Herr hatte noch eine halbe Stunde zuvor
den Tanzsaal durchtrippelt, nach allen Richtungen der Wind-
rose in der Art eines Ballons umhcrschncllend, der dicht
über dem Erdboden hingleitct. Dann war ihm plötzlich der
junge Mann auf der Gallerte zu Gesicht gekommen, eine

freudige Ucberraschung auf seine schwammigen Züge gestreift,
und mit dem gemurmelten Ausruf: „Das ist ein glücklicher
Zufall, die Sache läßt sich hier ganz superb einleiten!"
hatte er augenblicklich Kehrt gemacht und war der Treppe
zugesteuert, die zur Gallerie führte. Eine hübsche Weile
hatte cs gedauert, bevor cs ihm gelungen war, auf der
dicht bevölkerten Gallerie bis an die Seite des jungen
Kavaliers zu gelangen. Und nun er neben ihm stand und
sich durch Räuspern und einige Ah's und Oh's und Bravos
oder Charmants, sowie durch allerlei Bewegungen vergeblich
bemerkbar zu machen gesucht hatte, da sah er bald ein, daß
er zu einem wirksameren Mittel schreiten müsse, seine Existenz
dem Nachbarn zu verkünden.

„Wahrhaftig, ich merke schon, ohne einen Rippenstoß
wird cs nicht gehen!" flüsterte er in sich hinein.

Das Männchen bedachte sich nicht lange und schob
einen seiner runden Ellbogen dem jungen Manne ziemlich
herzhaft in die Seite.

Der Gestoßene blickte den kleinen Herrn nicht eben
freundlich an.

Dieser aber verzog sein meloncnhaftes Antlitz zu einem
harmlosen Grinsen.

„Verzeihen Sie, mein Herr," begann er mit einer
Stimme, die wie eine Kindertrompetc klang — „daß ich Sie
unfreiwillig ein wenig unter dem Druck der Verhältnisse
habe leiden lassen. Man machte cs mir in demselben Augen-
blicke nicht besser, im Gegentheil, der Stoß, den mir meine
Nachbarin versetzte, und den mich das Gesetz der Schwere
Ihnen mitzutheilcn zwang, war für mich bei weitem aus-
giebiger, — Sie werden daö begreifen, wenn es Ihnen
belieben sollte, den spitzen Ellbogen der hagern Dame und
den meinigen zu prüfen!"

Diese sonderbare, frischweg hcrvorgeschwatzte Entschul-
digung und die drollige Art, in der sich der kleine korpulente
Herr dabei benahm, verscheuchten sofort das Unmuthswölkchen
von der Stirne des jungen ManncS.

„Die Sache hat nichts auf sich," versetzte er lächelnd; —
„man ist in solchem Gedränge in der That nicht Herr
seiner Bewegungen!"

„Freilich nicht!" schwatzte daö Männchen weiter. —
„Und hier auf der Gallerie fühlt man wahrhaftig sein Herz
an den Rippen des Nebcnmcnschen pochen! Wenn das nur
immer anmuthige Rippen wären! Mein Gott, man muß
jedes Ding nehmen, wie es ist, sagt der Philosoph. Ich
gestehe, daß es sich doch der Mühe verlohnt, hier hinaufge-
klettert zu sein und sich ein wenig drücken zu lassen. Wie
gut übersieht man da den ganzen geputzten Schwindel. Man
hat das vor sich wie auf einem Präsentirteller. Sic müssen
schon entschuldigen, mein Herr, ich stelle gern Beobachtungen
an, vielleicht haben Sic auch diese Passion?"

„O ja," erwiederte der junge Mann, den das Männchen
zu belustigen anfing, — „besonders wenn mir irgend ein
origineller Kauz in den Weg kommt!"

„Da sehen Sic," kicherte der kleine Herr, — „gerade
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