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178 Memoiren aus

Vögel; die flogen in unscrm Bereiche aus und ein, wie
dcmocratische Ideen in einem noch so wohl bewachten mo-
narchischen Staate, und hüpften ganz ungenirt umher und
sangen, ohne erst um Erlaubniß zu fragen, wie ihnen der
Schnabel gewachsen war. Auch bei unseren hoffähigen In-
sassen selbst hatte ich darauf zu sehen, daß Alles der herge-
brachten Etikette gemäß zuging, und cs kam nicht selten
vor, daß ich ein leichtfertiges Huhn, das sich allzu laut und
lustig betrug, oder eine allen Anstand vergessende Gans
mit der Schnauze höchst unsanft bei einem Flügel faßte

und zupfend zurecht wies. Ich lag nämlich nicht immer
an der Kette, sondern hatte oft genug die gold'ne Freiheit,
in dem Hofe auf und ab zu spazieren. So oft Jemand
kam, bellte ich; jeden Ein- und Austrctenden begleitete ich
einige Schritte, machte somit die Honneurs des Hofes und
versah demnach auch die Stelle eines Oberceremonienmcisters.

Gar oft auch ging ich mit meinem Herrn auf Reisen;
er nahm mich nämlich jedesmal mit, wann er ein Schwein
oder ein Kalb zu holen hatte oder nach dem benachbarten
Markte ging. Solche Reisen erweiterten natürlich gar sehr
den Umfang meiner Begriffe und trugen nicht wenig zur
Bildung meines Gemüthcs bei. Nichts ging über die fröhliche
Ausgelassenheit, womit ich die kurze Freiheit auf solchen
! Reisen genoß. Hätte ich sie öfter genossen, sie wäre mir
! lange nicht so angenehm gewesen. Ja, es ist eine Wahrheit,
über welche ich öfter nachgedacht habe, daß man auch die
Freiheit nur selten und nur in kleinern Gaben genießen
! darf, wenn man sie als ein Gut empfinden soll, und daß
man daher den weisen und gütigen Herren nicht genug
danken kann, die uns einsperren, nur um uns von Zeit zu
Zeit solch einen Genuß zu gönnen.

Unser Hof bestand, wie sich's gehört, aus wenigen
Menschen und vielem Vieh, hohem sowohl als niederem.
Dem hohen, zu welchem ich Pferde, Ochsen, Kühe,

dem Hofleben.

auch allenfalls noch Schweine und Böcke rechne — ward
ich gleich beim Antritt meines Amtes von meines Herrn
ältestem Buben in ihren Ställen vorgestcllt. Die Pferde
blinzelten mich an und nickten vornehm mit dem Kopse;
die Ochsen und die Kühe brummten etwas zwischen den
Zähnen, was ich zu meinen Gunsten auslegte. Ich glaube
nämlich, sic haben mir gnädigst zugcbrummt, daß es sie
unendlich freue, mich kennen zu lernen. Dem nicdern Vieh,
das sich meist auf dem Hofe umhcrtricb, stellte ich mich
selber vor, indem ich alle der Reihe nach respectvoll beschnupperte,
und cs entspann sich zwischen mir und den meisten gar
bald eine gewisse „enteilte cordiale“; gegen die Uebrigen be-
obachtete ich wenigstens jene eZuräs, welche die oourtoisis ge-
bietet, die mich freilich oft genug zwang, die Schnauze in
freundliche Falten zu legen, wo ich hätte zufahren und
beißen mögen.

Natürlich ward ich bald genug in alle die wichtigen
Angelegenheiten eingeweiht, die unfern Hof beschäftigten.
So flüsterte man mir gleich am. Anfang das freilich schon
ziemlich offenkundige Geheimniß zu, daß sich die rothe Kuh
in höchst interessanten Umständen befinde. In der That
genas sie auch bald daraus eines hoffnungsvollen Kälbchens,
ein freudiges Ereigniß, an welchem der ganze Hof pflicht-
schuldigst den wärmsten Antheil nahm.

Es ging bei uns, wie man sich denken kann, ziemlich
laut, ja geräuschvoll her, namentlich zu gewissen Tageszeiten.
Da hörte man durcheinander wiehern, brummen, grunzen,
blöken, meckern, schnattern und piepen, und zwar fast Alles
auf französisch. Auch ich bellte dann wohl in die allgemeine
Unterhaltung ein. paar Worte mit hinein. Am schwatzhaf-
testen waren unsere Hofdamen, die Gänse; sie konnten fast
keinen Augenblick den Schnabel halten und schnatterten oft
über die gleichgültigsten Dinge stundenlang mit dem ernst-
haftesten Eifer. Uebrigcns waren sie meist ziemlich boshaft
und neidisch und verläumdeten sich gern untereinander.
Eine jede hielt sich in ihrer Eitelkeit für schöner und ge-
putzter als die übrigen. So behaupteten die weißen, graue
Federn seien nicht mehr in der Mode; die grauen aber
sagten, grau sei jetzt am Pariser Hofe die Lieblingssarbe.
Bei solchen Meinungsverschiedenheiten schnatterten sic sich
gewöhnlich in eine Wuth hinein, daß sie auf's heftigste
schnauften und oft dem Ersticken nahe kamen, und einander
mit den Flügeln schlugen und rupften. Selten ließ dann
eine an der andern eine gute Feder.

Von dem crasscstcn Egoismus aber und der materiellsten
Gesinnung schienen mir unsere Hühner zu sein, was sich
vornehmlich zeigte, wann sic gefüttert wurden. Dann gönnte
keines dem andern einen einzigen Bissen, und ein jedes
hätte am liebsten, wäre cs nur möglich gewesen, das gcsammte
Futter allein verschluckt, und wenn cs sich den Tod darüber
an den Hals geschluckt hätte. Nur ein einziges Huhn hielt
sich vornehm von dem großen Haufen fern und fraß ganz
ä part, was ihm etwa zufiel. Ich habe oft darüber nach-
gedacht, warum wohl dieses Huhn so stolz thue; vermuthlich
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Memoiren aus dem Hofleben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Ille, Eduard
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Personifikation
Zurechtweisung
Wachhund
Bauernhof
Höfische Kultur
Flügel <Zoologie, Motiv>
Karikatur
Hofkleidung
Zeremonienmeister
Gans <Motiv>
Halsband <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1039, S. 178
 
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