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Die Zahnlücke.

miteinander. Das war zu einer ausgemachten Sache zwischen
Beiden geworden, und doch hatte keines von ihnen je eine
Silbe darüber gesprochen.

Auch an diesem Abende wurde nach Gewohnheit das
letzte Stückchen getheilt, dann langte der Assessor aus seiner
Tasche einen Brief hervor. „So," sagte er, indem er ihn
entfaltete, „jetzt wollen wir einmal sehen, was mein Freund
Stollberg schreibt! Ich habe im Bureau nicht einmal
Zeit gehabt, den Brief mit Ruhe zu lesen." — „Wie,"
sprach die junge Frau, „Stollberg sagtest Du? — Der
Dr. Stollberg aus der Residenz hat Dir geschrieben?" —
„Ja!" entgegnete Rode. „Kennst Du ihn auch, diesen
alten Freund von mir?" — „Run ja!" war die Antwort
der jungen Frau. „Ich habe ihn im vorigen Jahre einmal
bei der Großmutter gesehen; der Referendarius Schmidt,
der uns öfter besuchte, hatte ihn mitgebracht; er ist — so
viel ich mich erinnere — ein ganz netter Mann." — „Ja,
das ist er. Aber, Emma, sag' einmal, nicht wahr der Referendar
kam gewiß immer nur zu Euch, blos der Großmutter
wegen?" „Versteht sich!" sprach die junge Frau und lachte
hell auf. Rode sah ihr dabei indessen mit einem so scharfen
Blick ins Gesicht, daß, wer ihn recht beobachtet hätte,
hinter seiner lachenden Miene, die er angenommen, doch ein
kleines innerliches Unbehagen bemerkt haben würde. Er
kannte den Referendar Schmidt; der war ein entfernter
Verwandter seiner Frau und hiedurch mochten die öfteren
Besuche bei deren Großmutter ihre Erklärung finden. Allein
dieser Referendarius war ein leichtfüßiger Kamerad, der —
es war Stadtbekannt — bei jungen Damen gern seine
Eroberungen zu machen suchte und von dem man sich in
früherer Zeit wenigstens allerlei verwegene Streiche erzählte.

Die Erinnerung an diese Dinge fuhren dem Assessor
durch den Kopf. Rur ein Gedanke war es, der ihn so
anflog, -einem Wölkchen gleich, welches schnell vom Winde
hergeweht auf einen Augenblick die Sonne verdeckt; und
wer ein solches sieht, wird der wohl daran denken, daß jenes
kleine Wölkchen als eine schwere Gewitterwolke wieder-
kehren kann? —

Rode schwieg einen Augenblick. Als dann aber die
junge Frau, welche an feiner Seite saß, näher zu ihm hin
rückte und, in zutraulicher Weise ihren Arm auf seine
Schulter lehnend, ihn freundlich anblickte, da war jedes
Unbehagen weg. „So lese doch," sprach sie, „laß doch Horen,
was Dein Freund Stollberg schreibt!"

Der Brief des Lehtern enthielt eine etwas verspätete
Gratulation für das junge Ehepaar. Der Schreiber des-
selben suchte in viel scherzhaften Redensarten seinen Glück-
wunsch und auch seine Entschuldigungen vorzubringen. „Und,"
schrieb er daraus dann weiter, „um meine Nachlässigkeit
wieder gut zu machen, habe ich mich auf der Stelle entschloffen
und es bei allen den eilftausend heiligen Jungfrauen, bei
jeder einzeln, hoch und theuer gelobt, daß ich im nächsten
Herbst meine Urlaubszeit bei Euch zubringen werde; ich
komme sicher, mein lieber Rode, und bin neugierig darauf

einmal zu sehen, ob Du dann schon recht verheirathet aus-
siehst und Deine Frau Gemahlin ebenfalls. Ich bin, wie
gesagt, recht gespannt darauf! — Jetzt aber noch Eins!"
so hieß es dann gegen den Schluß des Briefes hin weiter.
„Wie steht es mit unserer Wette? — Du denkst doch noch
daran? — Ich bezweifle das nicht. Du erinnerst Dich
gewiß noch an jenen Abend, an welchem wir bei einem
Kränzchen in der „Erheiterung" beisammen saßen und wie
dort ganz lebhaft von der Wahl unserer Zukünftigen die
Rede war. Namentlich unser Freund, der lange Stelzmann,
interessirte sich sehr dafür. „Alles in der Welt," rief er,
„nur keine Frau mit rothen Haaren!" — „Und," sprach
lachend ich, „nur keine, die schnupft!" — Du nahmst dabei
eine große Prise und meintest, das sei beides noch zu er-
tragen. „Aber," sprachst Du, „nur um Gottes Willen
keine Frau, die eine Zahnlücke hat!" — Ich wollte Dir
darauf begreiflich machen, was sonst fast jedes Kind schon
weiß, wenn es bis auf den Tisch sehen kann — nämlich,
daß die Liebe ganz gewaltig blind ist, und daß manch' Einer
schon bei der Wahl seiner Lebensgefährtin Dinge übersehen
hat — weil eben die Liebe blind ist — Dinge, die er
sonst nie und nimmer glaubte ertragen zu können. „Mir
kommt das nicht vor!" rief Freund Stelzmann. „Und mir
auch nicht!" riefst Du in fröhlicher Laune und lachend
schlugst Du ein in meine dargereichte Hand. „Sechs
Flaschen gilt's!" hieß es. „Ja, sechs Flaschen zahl' ich,"
sprach Stelzmann, „wenn ich je eine Frau mit rothen
Haaren nehme! Jedem von Euch sechs Flaschen!" — Und
diese sechs Flaschen, mein bester Rode, haben wir gewonnen,
denn unser langmächtiger Freund Stelzmann wird in den
nächsten Tagen Hochzeit haben, und seine Zukünftige, die
— nebenbei gesagt — eine wahre Schönheit ist, hat ein
paar Wangen, zart gefärbt, wie vom Glanz der Morgenröthe,
und Haare hat sie dazu — an denen ist auch die rothe
Farbe nicht gespart.

Run will ich sehen, mein lieber Rode, wenn ich zu
Dir komme, wie es dort ausfleht. Vielleicht bin dießmal
ich der verlorene Theil!"

„Ja, das bist Du!" rief Rode, als er bis dahin den
Brief seines Freundes gelesen hatte. „Gelt, meine Emma,
das ist er? — Er ist der verlorene Theil?" — So sprach
er und preßte mit inniger Lust das hübsche junge Weib
fest an sich und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf die
schwellenden Lippen.

Die Frau Emma aber war über und über roth ge-
worden; es schien, als habe die stürmische Hast, womit der
Herr Gemahl sie umfaßte, ihr noch einmal wie sonst das
jungfräuliche Blut in's Gesicht getrieben; und das stand
ihr wunderschön.

Die Abende vergingen in dieser Weise. Der Assessor
machte es sich bequem, wenn er nach Hause kam, und seine
freundliche, immer bewegliche Ehehälfte sorgte voll Auf-
merksamkeit dafür, daß er es hier immer recht behaglich
finde. Beide plauderten, lasen Zeitungen miteinander und
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