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Die Blatt
unschuldige Lungenentzündung, oder die Schwindsucht, Rückcn-
Marksdarre oder tausend ähnliche Krankheiten haben? Wer denkt
denn nur gleich an das Schlimmste und Du quälst Dich nur
ganz unnützer Weise selber damit. Doch welchen Gefallen sollte
ich Dir lhun? Du sprachst vorhin davon?"
„Ach ja lieber Doctor," sagte die junge Frau bittend:
„ich erwähnte schon vorher, daß mich Karl eben begleiten wollte,
als er abgerufen wurde und ich fürchte mich jetzt, so allein zu
dem Stadtphysikus zu gehen. Da sind gewiß recht viele Leute,
und wenn ich dort mit dem Mädchen so lange zwischen so vielen
fremden Menschen sitzen muß — ich sage Ihnen, ich habe eine
schreckliche Scheu davor."
„Und ich soll mitgehen?" frug Forbach gutmüthig.
„Ach wenn Sic so freundlich sein wollten. Sie thäten mir
einen großen Gefallen."
„Von Herzen gern," sagte Forbach lachend, „ich habe
doch gerade nichts Besonderes vor und sehe mir dort dann
gleich die Geschichte einmal mit an. Aber Du willst Dich doch
auch impfen lassen?"
„Gewiß, gewiß," rief Elise, „und das Kindermädchen eben-
falls, und die Köchin soll heute Nachmittag hingehen und mein
Mann, sobald er nur zurückkehrt. Die Augst ließe mich ja
sonst keinen Augenblick ruhen — also Sie begleiten mich? Ich
muß ja doch das Kind hinüber bringen."
„Versteht sich Kind, versteht sich, begleit' ich Dich," nickte
ihr Forbach gutmüthig zu. „Macht Euch dann nur zurecht, denn
sonst wird es am Ende heute Morgen zu spät und um 12 Uhr —
muß ich einen Herrn an einem bestimmten Platz treffen, mit
dem ich etwas Wichtiges zu besprechen habe." — Der bestimmte
Platz war nämlich Röhrichs Restauration am Markt, wo er*
pünktlich, wie er in Allem war, sich jeden Mittag um 12 Uhr
einfand.
„Oh!" rief die junge Frau erfreut, „wir können gleich
gehen, denn ich bin schon fertig angezogen und die Ricke sitzt
drüben und wartet auf uns. Nur meine Handschuh muß ich
mir noch holen, ich bin aber gleich wieder da —" und hinaus
huschte sie, um, wie sie versprochen hatte, gleich wieder zu
erscheinen.
Es ist das aber ein eigenthümliches Ding mit Damen,
die, wenn sie ausgehen wollen, sonderbarer Weise noch außer-
ordentlich viel zu thun haben und grundsätzlich nie fertig werden,
fin der Schlafstube lagen noch einige Sachen ans dem Stuhl,
die sie natürlich erst wegpacken mußte, dann hatte Elise vorher
den Sonnenschirm, wie sie bestimmt wußte, auf das Bett ge-
hegt, jetzt war er nicht da und fand sich erst nach längerem
Suchen draußen neben dem einen Schrank, wo sie ihn hinge-
ltcllt, als sie den Hut herausnahm. Au dem Hut hingen aber,
wie sie jetzt bemerkte, noch einige Fasern, mit denen sie doch
uicht auf die Straße gehen konnte; die mußte sie also vorher
noch abbürsten. Die Köchin äußerte ebenfalls noch einige
Wünsche — eine Hausfrau wird ja so sehr in Anspruch gc-
> nommen. Dann konnte sie den Schlüssel zu ihrem Schreibtisch
nicht gleich finden, aus dem sic Geld nehmen mußte, denn daran
hatte sie vorher doch nicht gedacht. — Und nun die Handschuhe —
rnimpfung.
aus Versehen bekam sie, als sie dieselben aus dem Kasten nahm,
zwei rechte und mußte dann wieder zurück. Alles noch einmal
aufschließen und den passenden linken erst heraussuchen — und
an dem fehlte nachher ein Knopf.
Doetor Forbach wartete indessen mit einer wahrhaft rühr-
enden Geduld eine viertel, eine halbe Stunde lang; endlich
waren alle Schwierigkeiten besiegt; Elise mußte sich nur noch
erst die etwas sehr engen Handschuhe anziehen. Das Mädchen
trug indessen das Kind aus dem Arm herum, das den Vorbe-
reitungen nicht so geduldig zusah und zu schreien anfing.
„Bisch, bisch, bisch, bisch, bisch," suchte das Mädchen das
Kind zu beruhigen — „bisch, bisch, bisch, bisch" — das kleine
Ding begann Zeter zu kreischen und Forbach etwas nervös zu
werden.
Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Elise bemerkte
allerdings noch zur rechten Zeit, und wie sie schon unten an
der Treppe war, daß sie ihr Portemonnaie noch oben auf dem
Tisch hatte liegen lassen, aber sic war schnellfüßig, eilte rasch
zurück, holte es und nun stand ihrem Gang Nichts weiter im
Weg. Forbach bot ihr unterwegs den Arm, das Kindermädchen
wandcrtc mit der Kleinen, die sich rasch beruhigte, als sie auf
die Straße kam, hinterher und so schritten sie den Weg ziem-
lich rasch hinab, um den Jmpfplatz, vor dem sich Elise aber
immer noch fürchtete, aufzusuchen.
Cap. 2.
Beim Stadtphysikus.
Das Lokal, in dem der Stadtphysikus die ihm gebrachten
Kinder in wirklich geschäftsmäßiger Weise impfte, log allerdings
nicht sehr weit von Erich's Wohnung entfernt. Das Einzige
war nur, daß die Kleine, die das Mädchen dicht hinter Forbach
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Die Blatt
unschuldige Lungenentzündung, oder die Schwindsucht, Rückcn-
Marksdarre oder tausend ähnliche Krankheiten haben? Wer denkt
denn nur gleich an das Schlimmste und Du quälst Dich nur
ganz unnützer Weise selber damit. Doch welchen Gefallen sollte
ich Dir lhun? Du sprachst vorhin davon?"
„Ach ja lieber Doctor," sagte die junge Frau bittend:
„ich erwähnte schon vorher, daß mich Karl eben begleiten wollte,
als er abgerufen wurde und ich fürchte mich jetzt, so allein zu
dem Stadtphysikus zu gehen. Da sind gewiß recht viele Leute,
und wenn ich dort mit dem Mädchen so lange zwischen so vielen
fremden Menschen sitzen muß — ich sage Ihnen, ich habe eine
schreckliche Scheu davor."
„Und ich soll mitgehen?" frug Forbach gutmüthig.
„Ach wenn Sic so freundlich sein wollten. Sie thäten mir
einen großen Gefallen."
„Von Herzen gern," sagte Forbach lachend, „ich habe
doch gerade nichts Besonderes vor und sehe mir dort dann
gleich die Geschichte einmal mit an. Aber Du willst Dich doch
auch impfen lassen?"
„Gewiß, gewiß," rief Elise, „und das Kindermädchen eben-
falls, und die Köchin soll heute Nachmittag hingehen und mein
Mann, sobald er nur zurückkehrt. Die Augst ließe mich ja
sonst keinen Augenblick ruhen — also Sie begleiten mich? Ich
muß ja doch das Kind hinüber bringen."
„Versteht sich Kind, versteht sich, begleit' ich Dich," nickte
ihr Forbach gutmüthig zu. „Macht Euch dann nur zurecht, denn
sonst wird es am Ende heute Morgen zu spät und um 12 Uhr —
muß ich einen Herrn an einem bestimmten Platz treffen, mit
dem ich etwas Wichtiges zu besprechen habe." — Der bestimmte
Platz war nämlich Röhrichs Restauration am Markt, wo er*
pünktlich, wie er in Allem war, sich jeden Mittag um 12 Uhr
einfand.
„Oh!" rief die junge Frau erfreut, „wir können gleich
gehen, denn ich bin schon fertig angezogen und die Ricke sitzt
drüben und wartet auf uns. Nur meine Handschuh muß ich
mir noch holen, ich bin aber gleich wieder da —" und hinaus
huschte sie, um, wie sie versprochen hatte, gleich wieder zu
erscheinen.
Es ist das aber ein eigenthümliches Ding mit Damen,
die, wenn sie ausgehen wollen, sonderbarer Weise noch außer-
ordentlich viel zu thun haben und grundsätzlich nie fertig werden,
fin der Schlafstube lagen noch einige Sachen ans dem Stuhl,
die sie natürlich erst wegpacken mußte, dann hatte Elise vorher
den Sonnenschirm, wie sie bestimmt wußte, auf das Bett ge-
hegt, jetzt war er nicht da und fand sich erst nach längerem
Suchen draußen neben dem einen Schrank, wo sie ihn hinge-
ltcllt, als sie den Hut herausnahm. Au dem Hut hingen aber,
wie sie jetzt bemerkte, noch einige Fasern, mit denen sie doch
uicht auf die Straße gehen konnte; die mußte sie also vorher
noch abbürsten. Die Köchin äußerte ebenfalls noch einige
Wünsche — eine Hausfrau wird ja so sehr in Anspruch gc-
> nommen. Dann konnte sie den Schlüssel zu ihrem Schreibtisch
nicht gleich finden, aus dem sic Geld nehmen mußte, denn daran
hatte sie vorher doch nicht gedacht. — Und nun die Handschuhe —
rnimpfung.
aus Versehen bekam sie, als sie dieselben aus dem Kasten nahm,
zwei rechte und mußte dann wieder zurück. Alles noch einmal
aufschließen und den passenden linken erst heraussuchen — und
an dem fehlte nachher ein Knopf.
Doetor Forbach wartete indessen mit einer wahrhaft rühr-
enden Geduld eine viertel, eine halbe Stunde lang; endlich
waren alle Schwierigkeiten besiegt; Elise mußte sich nur noch
erst die etwas sehr engen Handschuhe anziehen. Das Mädchen
trug indessen das Kind aus dem Arm herum, das den Vorbe-
reitungen nicht so geduldig zusah und zu schreien anfing.
„Bisch, bisch, bisch, bisch, bisch," suchte das Mädchen das
Kind zu beruhigen — „bisch, bisch, bisch, bisch" — das kleine
Ding begann Zeter zu kreischen und Forbach etwas nervös zu
werden.
Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Elise bemerkte
allerdings noch zur rechten Zeit, und wie sie schon unten an
der Treppe war, daß sie ihr Portemonnaie noch oben auf dem
Tisch hatte liegen lassen, aber sic war schnellfüßig, eilte rasch
zurück, holte es und nun stand ihrem Gang Nichts weiter im
Weg. Forbach bot ihr unterwegs den Arm, das Kindermädchen
wandcrtc mit der Kleinen, die sich rasch beruhigte, als sie auf
die Straße kam, hinterher und so schritten sie den Weg ziem-
lich rasch hinab, um den Jmpfplatz, vor dem sich Elise aber
immer noch fürchtete, aufzusuchen.
Cap. 2.
Beim Stadtphysikus.
Das Lokal, in dem der Stadtphysikus die ihm gebrachten
Kinder in wirklich geschäftsmäßiger Weise impfte, log allerdings
nicht sehr weit von Erich's Wohnung entfernt. Das Einzige
war nur, daß die Kleine, die das Mädchen dicht hinter Forbach
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Blatternimpfung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 57.1872, Nr. 1407, S. 3
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg