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Die Blatte

vollkommen geschäftsmäßig, aber dafür auch mit rascher und
geschickter Hand.

Uebrigens war Forbach eine in der Stadt zn bekannte
Persönlichkeit, um nicht auch hier eine Menge von bekannten
Persönlichkeiten zu finden.

„Ei nun sehen Sie einmal an, der Herr Doctor auch",
sagte ein altes eingcrunzeltes Fräulein, Namens Simprecht, die
an der Stadt in dem Ruf einer sehr bösen Zunge stand —
„wollen sich der Herr Doktor ebenfalls impfen lassen? Daran
thnn Sie vollkommen Recht; ich selber habe den Entschluß ge-
faßt, mich der Operation noch einmal zu unterziehen und er-
warte nur noch eine Freundin. Es ift jetzt eine schwere und
gefährliche Zeit."

„Ach Fräulein Simprecht — sehr erfreut Sie zn sehen.
Nein Sie entschuldigen, ich bin nur in Begleitung der jungen
Frau Notar Erich hierher gekommen, und hoffe, daß uns bald
die Reihe trifft — Fräulein Schwester befinden sich doch wohl?"

„Oh ich danke Ihnen vielmals, vortrefflich - das heißt,
sie hat sich vor acht Tagen den Fuß vertreten und die Rose
im Gesicht und muß das Bett hüten."

„Oh das bedauere ich ja sehr — aber Sie entschuldigen
mein werthes Fräulein, ich muß mich doch jetzt einmal nach
meiner Schutzbefohlenen Umsehen, denn ich glaube, unsere Zeit
kommt bald." Er drückte sich dabei auf die Seite, und dankte
Gott, der Unterhaltung der Dame dießmal noch so rasch ent-
kommen zu sein. Sie stand wenigstens in dem Rufe, daß sie
ihre Opfer sonst so leicht nicht wieder los ließ.

Ein paar junge Damen, die sich gerade hatten impfen
lassen und eben wieder aus der Stube heraus kamen, redeten
ihn übrigens auch noch an, und frugen ihn lachend, ob er sich
vor den Pocken fürchte — seiner Schönheit wegen; der Frau
Stadtrüthin Liebcrt lief er in den Weg und der Frau Kreis-
baumcister Wölmerding und dankte seinem Gott, als er von
der jungen Frau Erich endlich erfuhr, daß ihre Nummer jetzt
gleich daran kommen würde, und sie also nicht mehr lange zu
warten brauchten. — Es war schon halb 12 Uhr vorüber.

Endlich kam die Zeit, wo sie ihren „süßen zuckrigen
Fcttcngcl" — junge Mütter erfinden manchmal die wunderlich-
sten Beinamen für ihre Erstgeborenen — der „Schlachtbank"
überliefern sollte, wie sie zitternd sagte, aber es half eben
Nichts — es mußte ja sein, um den süßen Schatz vor der
furchtbaren Krankheit zu schützen, und der liebenswürdige, zu
Allem bereite und jeder Aufopferung fähige Doctor wurde
nur noch gebeten, auf Mantklle und Sonnenschirm und die
Flasche der Kleinen — was in dem Saal zurückgelassen wurde.
Acht zn geben, als auch schon der Ruf: „Nr. 172" durch den
Saal schallte, und sie sich eilig dort hinüber verfügten.

Dokkor Forbach war sich jetzt jtir kurze Zeit allein über-
lassen, da er aber das alte Fräulein Simprecht, die außerdem
eine Toilette wie ein junges Mädchen trug, wieder durch den
Saal streichen sah, und sie in dem vielleicht nicht unbegründe-
ten Verdacht hatte, daß sie ihn aufsuche, drückte er sich in
eine der entfernteren Ecken, wo besonders die ärmeren Leute
saßen, und von wo er die Thür des Jmpfzimmers auch im

r n i m p f u n g.

Auge behalten konnte, um dort gegen jeden Angriff mehr ge-
schützt zu sein. Seine Lage hier wurde ihm fatal und nur
das tröstete ihn dabei, daß er jetzt bald daraus erlöst würde.
Stadtphysicus Baumann arbeitete außerordentlich rasch, und
in höchstens zehn Minuten durste er darauf rechnen, daß Alles
vorüber war.

Um seine Nachbarschaft haste er sich indessen wenig be-
kümmert. Es waren meist Frauen aus den unteren Klassen,
die, jede ihr Kind auf dem Arm, zusammen ein lebhaftes Ge-
spräch unterhielten. Ihrer Unterhaltung nach schienen auch
Einzelne davon gar nicht mit der Impfung einverstanden zu
sein, und es nur für eine neue Steuer zu betrachten, die ihnen
der Stadtrath auferlegte. Wenn Andere das nun widerlegten,
ließen sie sich trotzdem nicht überzeugen und murrten, was jetzt
Alles von einem armen Mann verlangt würde, und wie die
Lebensmittel von Tag zu Tag im Preise stiegen, und wie das
eigentlich noch einmal Alles werden sollte.

Die Reihe herunter war eine junge, sehr anständig ge-
kleidete Frau gekommen, die ebenfalls, wie alle Uebrigen, ein
kleines herziges Kind auf dem Arm trug, aber ganz merkwürdig
bleich und angegriffen aussah. Ihre Kleider schienen nach dem
neuesten Schnitt gemacht, aber von billigem Stoff, und Schmuck
trug sie keinen, nur einen kleinen Goldreif mit fünf blauen

Steinen, wie ein Vergißmeinnicht gefaßt, am Finger. Sie

hielt auch mit keiner der übrigen Frauen Verkehr, sprach

wenigstens mit keiner und schien sich nur allein mit ihrem

Kind zu beschäftigen, das sie oft an sich drückte und küßte,

während das kleine liebe Ding zu ihr auflächcltc und nicht
die geringste Lust zeigte, an dem Conccrt der Uebrigen Theil
zu nehmen.

Forbach beachtete sie anfangs nicht; da er jetzt aber

gar Nichts zu thnn hatte, fiel sein Blick wiederholt auf die
lieben Züge der jungen Frau, in denen, wie sich kaum ver-
kennen ließ, ein tiefer und wahrer Schmerz lag. Fürchtete sie

für ihr Kind? aber dazu schien keine Veranlassung, denn das
kleine muntere Ding sah wohl und gesund genug aus, und
die großen blauen Augen blitzten klar in die Welt hinein.

Unwillkürlich flog sein Blick aber immer wieder nach der
Thür der Jmpfstube, denn seine kleine Frau Erich mußte ja
jetzt bald kommen. Es war außerdem schon halb zwölf Uhr
vorbei und seine Stunde rückte immer näher.

Während Forbach nach seiner Uhr und wieder nach der
Thür sah, hing der Blick der jungen Frau für Momente for-
schend an seinen Zügen, als ob sie fast einen alten Bekannten
in ihm zu sehen glaubte; aber sie mußte sich getäuscht haben,
denn jetzt wandte sie sich wieder ab, schritt an ihm vorüber,
etwa zehn Schritt in der Reihe, und setzte sich dann, wie er-
niüdct, ans den einen Stuhl, wo sie einen Moment den Kopf
in die Hand stützte. Aber das dauerte nicht lange, so erhob
sie sich wieder — ihr Gesicht zeigte Marmorblässe — sie sah
sich wie scheu im Kreise um — ihr Blick fiel wieder auf For-
bach, und zu ihm tretend, sagte sie mit leiser, angstgepreßter
j Stimme:

I „Ach dürfte ich Sie wohl bitten, mein Herr, die Kleine
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