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18 Die Blatternimpfung.

sah ja ein fremdes Gesicht über sich gebeugt, von welchem
außerdem zwei lange Schmachtlocken niederhingen und sich
bei dem Schaukeln ebenfalls bewegten und hin und her
schwangen.

„Sie verstehen das wirklich meisterhaft," rief Forbach
entzückt aus, „aber die Mutter muß draußen sein — wenn
Sie das kleine liebe Wesen nur einen Moment halten wollten
— ich hole sie augenblicklich herein!"

„Aber nicht lange," rief das Fräulein ihm nach; doch 1
er hörte schon gar nicht mehr, was sie sagte, griff seinen, neben
ihm aus der Bank stehenden Hut auf, und schoß wie ein
Wetter aus der Thür. Draußen — und er athmete tief ans,
als er die frische Luft um sich fühlte — warf er allerdings

den Blick umher, nach der jungen Frau, die ihm das Kind

überlassen, da er sie aber nirgends entdecken konnte, hielt er
sich auch keinen Moment länger auf und eilte, so rasch er
I konnte, zu Röhrichs hinüber, um dort mit einem Glas Coburger
' Exportbier den gehabten Schrecken hinunter zu spülen. Erst

' in der Nähe des bekannten Hauses ging er langsamer und
leise vor sich hin sagte er zu sich selber:

„Julius, Julius, ich glaube fast, du hast dich diesmal
! mit außerordentlicher Geschicklichkeit aus einer höchst mißlich
I werdenden Lage herausgeschält — aber Fräulein Simprecht, oh
je, wird die eine Wuth auf mich bekommen — aber was

I schadet's — gut ist sie doch keinem Menschen, und mir trügt

sie es außerdem immer noch nach, daß ich sie nicht schon vor

! 20 Jahren geheirathet habe. Na die wird ein Gift haben,

! wenn die Mutter nicht wieder kommt! Das soll mir aber

eine Warnung sein" — und wie ein Wiesel glitt er in das
i Haus und in das Restaurationszimmer hinein, wo er indeß kein
Wort von dem eben bestandenen Abenteuer erzählte. Er war
froh, wenn hier kein Mensch etwas davon erfuhr.

Aber wir müssen zu Fräulein Aurclie Simprecht znrück-
kehrcn, die allerdings dem davoneilenden Doktor Forbach etwas
erstaunt nachsah, aber noch immer keine Ahnung von dem
hatte, was sie übernommen und jetzt durchzuführen gezwungen
I war. Im ersten Moment sühlte sie sich auch gewissermaßen
stolz mit dem kleinen allerliebsten Kind, und hatte gar Nichts
dagegen, daß neu eintrctende Frauen sich um sie sammelten
und das Kleine bewunderten. Es war für sie etwas Neues,
und sie gab sich dem in der ersten Zeit mit Vergnügen hin
— aber die Mutter des Kindes kam nicht, und Toctor Forbach
kehrte ebenfalls nicht zurück. Außerdem ließ sic ihre Freundin,
auf die sie hier gewartet, im Stich, und Fräulein Simprecht,
die einen nichts weniger als fügsamen und geduldigen Charakter
besaß, fing an, mit jeder Minute mehr auf ihrer Bank umher
zu rutschen und verlangende Blicke nach der Thür zu werfen.
Das Heine Kind hatte ihr im Anfang allerdings Spaß gemacht
und sich auch ruhig verhalten, weil cs vielleicht durch die fremd-
artige Erscheinung if)icr 11C1ICU Wärterin überrascht und dadurch
beschäfligt wurde, jetzt aber nahm das ein Ende. Es war
vielleicht durstig geworden und verlangte nach der Mutter, oder

lag — wie die Dame mit Entsetzen fürchtete, gar — naß,
kurz es wurde unruhig und begann, wenige Minuten später,
einen nicht mißzuverstehendcn Hülfsschrei, der durch den ganzen
Saal schallte, und sich durch das beschwichtigende bsch, bsch
der neuen Wärterin nicht mehr eindümmen ließ. Es schrie
was eben aus der Kehle heraus wollte, und Fräulein Simprecht
erschrack zuerst und wurde dann kndignirt.

Es war vollkommen rücksichtslos von Dr. Forbach, daß j
er sic hier ans diese Weise incommodirte. Sie hatte ihm aus
Gefälligkeit das Kind für einen Moment abgenommen, und er j
ließ sie jetzt so lange warten. Dazu war sie nicht verpflichtet
— wenn ihr jetzt das kleine Wesen ihr neues Kleid verdarb,
so zahlte ihr der Doctor wahrhaftig kein anderes — und wo
außerdem die Mutter blieb! Eine Frau, die ihr Kind wollte
impfen lassen, mußte auch dabei bleiben, und durfte nicht davon
laufen — es war, das Wenigste zu sagen, rücksichtslos. Und
was hatte sie außerdem mit dem Balg zu Ihun?

Fräulein Simprecht arbeitete sich nach und nach in eine ,
Gift- und Dolchstimmung hinein, wozu sich ihre etwas herbe

Natur überhaupt neigte. Das Kind schrie jetzt mit einer merk- i
würdig starken Stimme, ans voller Kehle, kein Mensch bc- '<
kümmerte sich dabei um sie, und nur den neugekommcnen und j
umhersitzenden Frauen war sie ausgefallen, und sie unterhielten j
sich zusammen. Diesen Zustand ertrug sie natürlich nicht lange
und sich an die ihr nächste Frau wendend, sagte sic:

„DH möchten Sie wohl die Kleine einen Augenblick nehmen?
Die Mutter ist hinausgegangcn und muß gleich zurückkommcn.
Ich habe aber keine Zeit, hier länger zu warten!"
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Blatternimpfung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Harburger, Edmund
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 57.1872, Nr. 1409, S. 18

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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