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Zur Naturgeschich

Wer wartet» ihr werdet schon andere Saiten aufziehen! I
Unser Kleinmückenheim er mischt sich in's Gespräch.
Er spricht gar nicht dumm. Aber die Leute finden nichts
Außerordentliches an dem, was er sagt. Die Kleinmückenheimer
sind jedoch ganz» aber ganz anderer Meinung! Jedes Wort
mus seinem Munde kann sogleich gedruckt werden!

Nun so muß ich den arroganten Patronen in dem Coupö
ifagen, wer ich bin! denkt entschlossen der Kleinmückenheimer.

Er weiß sein Gespräch gar nicht ungeschickt so zu wenden»

man erfährt» er sei nicht nur Direktor der Seifensieder-
llschaft und Vorstand des Leichenbestellungs - Vereins in

nmückenheim» sondern auch der bedeutendste Gemischt-
renhündler, und . . . und . . . Bürgermeister dieser
Stadt.

Aber Niemand macht auch nur Miene» die Reisekappe zu
! lüften vor dem »»großen Mann" der »»kleinen Stadt", im
Gegentheile» über die Lippen einiger Reisegefährten scheint ein
listiges Lächeln über das „Bewußtsein" des Kleinmücken-
heim ers zu schweben!

Der Kleinmückenheimer fühlt sich tief verletzt. Er zieht
sich in stolzes Schweigen zurück.

Auf der nächsten Haltstelle sieht er sogleich zum Fenster
! hinaus. Die Leute im Bahnhofe erkennen ihn. Auch hier
j wieder allgemeine Hochachtung vor dem „großen Manne" aus
! der „kleinen Stadt".

Der Herr Bürgermeister ist wieder vollkommen befriedigt.

Er sieht sich nach seinen Reisegefährten im Waggon um
und schmunzelt.

Es ist jetzt» als wollte er sagen: „Das wird so fortgehen,

\ ihr hergelaufenes Pack: Man ist nicht umsonst der „große
! Mann" einer» wenn auch kleinen, aber doch immer einer Stadt!
Mein Name» mein Wirken ist weit und breit respektirt! . . ."

Aber ach, schon auf der nächsten Station wurde er im
Bahnhofe nur von einem Bäuerlein» wahrscheinlich einem ver-
sprengten Kleinmückenheimer» gegrüßt.

Von der darauf folgenden Station an kümmert sich keine
Menschenseele mehr um den „großen Mann!"

Der Bürgermeister wird immer ernster.

Er scheint sich gewaltig getäuscht zu haben. Er» der
sein Leben lang nicht vier Stunden im Umkreise von Klein-
mückenheim herumkam» und jetzt seine erste Vergnügungsreise
in die Welt unternimmt» um zwischen dieser und Kleinmücken-
heim Beziehungen aller Art anzuknüpfen, er erkennt, daß die
Welt wirklich weiter ist» als er für seine eigene Weltbedeutung
! dachte!

Sehr fatale Empfindung für einen solchen Mann. —
Er sieht ein» daß er andere Saiten werde aufziehen müssen.

Er zieht seinen „Bürgermeister" plötzlich resolut aus, und
steht als schlichter „Kleinmückenheimer" da. In dieser Gestalt
windet er sich auf seiner Reise ganz glücklich durch.

Man lächelt iiber die Schnitzer in der Weitläufigkeit, die
er zuweilen macht, nicht mehr» denn man weiß ja nicht, daß
er der „große Mann" einer „kleinen Stadt" sei, und dem
einfachen „Kleinmückenheimer kann man's nicht verübeln.

te der Touristen.

Man sieht» unser Mann ist ein ganz kluger Mensch, der
mit den Verhältnissen zu rechnen weiß» und das ist eigentlich
das Geheimnis; der „großen Männer" einer kleinen, und viel-
leicht auch mancher — großen Stadt.

In den Städten, welche unser „große Mann" auf seiner
Tour berührt, geht er in seinem Systeme» sich in „Land und
Leute" zu fügen» so weit» daß er sogar, wenn's ihm nöthig
scheint» vor Portiers devot den Hut zieht.

Wenn das die „Kleinmückenheimer" sehen würden! Zum
Glücke sehen sie cs nicht» und er, der „große Mann", wird
sich hüten» daheim davon zu erzählen!

Wenn er endlich von seiner gegen alles Erwarten abge-
kürzten Tour durch „fremde Staaten" zurückkehrt, ist er wahr-
haft bis tief in's Innerste seiner Seele gerührt, von dem
feierlichen Empfange» der ihn ehrt.

„Sind doch Prachtmenschen, diese Kleinmückenheimer!"
jubelt es in ihm.

Seine Mittheilungen aber über die auf seiner Tour ge-
machten Beobachtungen laufen darauf hinaus, daß an Vielem,
was man über gepriesene Städte hört» nichts als „Schwindel",
und daß Kleinmückenheim mit keiner Stadt den Vergleich
zu scheuen habe!

Man sieht, dieses verstärkte Heimathsbewußtsein ist gut
für ihn, und wird es hoffentlich für Kleinmückenheim sein.

Nur eine Schattenseite bringen des „Bürgermeisters" i
neueste Erfahrungen mit» das ist die Aversion und Strenge
gegen Fremde, welche aus größeren Städten kommend, sich
in Kleinmückcnhcim wohnlich einrichtcn zu wollen scheinen,
denn „diesen Leuten fehlt durchaus der Maßstab, um die —
„großen Männer" einer „kleinen Stadt" richtig zu messen!

Die Lilie.

Sie ist längst über das Alter» in dem man ein Veil-
chen» eine Rose» oder gar eine makellose, weiße» engelsreinc
Lilie ist, sie ist vielmehr in jenem weiblichen Lebensstadium,
in welchem von der Rose nur mehr die — Dornen übrig zu
bleiben pflegen.

Aber die Kunst, die heute alles mangelnde Natürliche
ersetzt, die Perlcnrcihen im Purpurmund durch falsches Ge-
biß und Karmin» wie die üppig wallenden Haare durch ange-
bundene, fünfundzwanzigpfündige Chignons, sie weiß nicht nur
den Erfolg durch Reclame zu substituiren, sie versteht auch aus
einer — Distel eine Lilie zu machen.

Seht euch die Dame an, von der wir reden!

Schwebt nicht beständig ein sanftes Lächeln um ihre
Lippen, klingt der Ton ihrer Stimme nicht einschmeichelnd,
blicken ihre Augen nicht milde, als wären sie der Spiegel
einer reinen Seele, wie sie eben nur eine Lilie haben kann, j
vorausgesetzt, daß eine Lilie eben eine Seele hat, worüber dir .
Gelehrten noch nicht im Reinen sind?

Die Dame ist schon eine starke Vierzigerin, aber man
vermag leicht, ihre Last der Jahre zu vergessen, wenn man sich
der Liebenswürdigkeit nicht durchaus entzieht» welche sie un>
sich verbreitet.
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