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Ein Meter Kalbfleisch.
Fleischvorrüthe» um, schien jedoch mit dem Ergebniß ihrer For-
schung nicht ganz zufrieden zu sein.
„Meine jute Jungfer Köchin", sagte kopfschüttelnd die
Frau Fleischermeisterin, „so'n jutes Stückchen wie Sie et brauchen,
is man j'rade nich da. Aberst haben Se nur keene Sorge
nich, ick schicke et in spätestens eener halben Stund durch 'n
Jesellen 'nüber zu Commerzienraths."
Mit diesem Bescheide war Inste ganz zufrieden und ent-
fernte sich. Kaum aber war die Köchin fort, so rief die Mei-
sterin ihren Mann herbei und beauftragte denselben zu Comnicr-
zienraths einen Meter gutes Kalbfleisch zu schicken. Sie that
dies so unbefangen, als wäre die Bestellung vollständig in ge-
höriger Ordnung.
Der Meister aber lachte gerade heraus und meinte: ent-
! weder müsse die Köchin confus gewesen sein oder die Frau
j Meisterin habe falsch gehört; denn der Meter sei kein Gewicht,
sondern' ein Längenmaß von anderthalb berliner Ellen.
Durch das Lachen ihres Mannes wurde jedoch die Mei-
sterin arg aufgebracht.
„Du willst ooch immer Allens besser wissen", rief sie ge-
reizt. „Die Frau Commerzienräthin hat mich janz ausdrücklich
j sagen lassen, daß se eenen Meter Kalbfleesch haben will, un so
'ne vornehme Frau hat doch jauz jewiß mehr Einsicht in bet
| neue Jewichtsjesetze als wie Du, oller Neunmalklug!"
Der Meister, welcher die unerschöpfliche Zungenfertigkeit
| seiner Gattin kannte, hatte nicht Lust, sich in unerquickliche
( Debatten cinzulassen.
„Na, 's is jut, beruhige Dir man", sagte er im Fort-
[ gehen, „ick werde Dich jleich den Jesellen mit een Metermaß
! schicken, dann kannst Du meinetwegen det Kalbfleesch abmessen.
Aberst messe nur ja richtig un schneide Dir dabei nich in die
Finger!"
Der Meister hatte sehr wohl gethan, sich nach diesen
Worten rasch zu entfernen, ohne die Entgegnungen seiner Frau
abzuwarten, denn in dem nun gewaltig hervorsprudelnden Rede-
strom der Beleidigten war wtnig Schmeichelhaftes für den Gatten
enthalten.
Nicht lange dauerte es, so erschien auch wirklich der vom i
Meister abgeschickte Geselle mit dem Maßstab in der Hand,
den er der Meisterin im Aufträge seines Herrn überreichte.
Jetzt kehrte sich jedoch der Strom ihrer Beredsamkeit gegen den
Gesellen, der ganz verblüfft diese Strafpredigt anhörte.
Glücklicher Weise war jedoch der Flcischergeselle von einem
etwas sanfteren Naturell als es seine Gewerbsgcnossen gewöhn-
lich zu sein pflegen und als ihm endlich die Ursache des auf-
geregten Zustandes der Frau Meisterin klar geworden war,
gab er derselben sogar vollkommen Recht, denn auch er meinte, !
daß so vornehme Leute doch ganz gewiß von der neuen Ge-
wichtsordnung besser unterrichtet sein müßten, als die einfachen
Handwerker. Aber der Geselle wußte auch bald Rath zu !
schaffen, denn er erinnerte sich, ein Büchlein zu besitzen, worin
über die Maße und Gewichte aller Länder jedwede Aufklärung
zu finden war.
Das Büchlein ward rasch herbeigeholt und um Rath
befragt.
„I nu, sahn Se mal an, Frau Meesterin", rief der sanfte
Fleischergeselle, ein geborner Dresdner, „der Meester hat Kott-
strambach Recht, denn dahier dhut's ganz deitlich steh'n: ä
Meder is so viel als wie. drei preiß'sche Fuß. Sahn Se,
Frau Meester'n, ja ja, nee nee, der Meester hat Recht."
Die Frau Meisterin nahm selbst das Buch zur Hand und
blickte kopfschüttelnd hinein. Es dauerte jedoch gar nicht lange,
so waren ihre eigenen auftauchenden Zweifel vollständig über-
wunden.
„Dresdner, lassen Se sich man nur nich anslachen; Sie
sind j'rade so dämlich wie mein Mann", rief in triumphirender
Ueberlcgenheit die Meisterin. „Die Frau Commerzienräthin
weeß recht jut, wat se will; eenen Meter Kalbfleesch hat sie
} haben wollen, — een Meter is aberst so viel wie drei Fuß,
| also will de Frau Commerzienräthin jauz natürlich drei
Kalbsfüße!"
Der Dresdner stand nnt aufrichtiger Bewunderung vor
der klugen Meisterin, die jetzt drei Kalbsfüße aussuchte und
damit den Gesellen in das commerzienrüthliche Haus schickte.
Juste, die Köchin, schlug beim Anblick dieser Sendung
die Hände über dem Kopfe zusammen, aber der Flcischergeselle
versicherte ihr, daß es ein ganz richtiger Meter Kalbfleisch sei
und daß die Frau Commerzienräthin dies schon wissen werde-
Der Frau Commerzienräthin jedoch erging es wie der ;
Köchin, als diese ihr das sonderbare Fleischgericht vorzeigte.
„Das kommt davon, wenn mer rüttelt an das Alte und >
an die Vergangenhait", sagte die erstaunte Frau. „Waißi
Du was, Auguste, wenn ich bei das Kalbfleesch, nach dem
Meter gewogen, soll blos kriegen Kalbsfüße, wollen mer doch
Ein Meter Kalbfleisch.
Fleischvorrüthe» um, schien jedoch mit dem Ergebniß ihrer For-
schung nicht ganz zufrieden zu sein.
„Meine jute Jungfer Köchin", sagte kopfschüttelnd die
Frau Fleischermeisterin, „so'n jutes Stückchen wie Sie et brauchen,
is man j'rade nich da. Aberst haben Se nur keene Sorge
nich, ick schicke et in spätestens eener halben Stund durch 'n
Jesellen 'nüber zu Commerzienraths."
Mit diesem Bescheide war Inste ganz zufrieden und ent-
fernte sich. Kaum aber war die Köchin fort, so rief die Mei-
sterin ihren Mann herbei und beauftragte denselben zu Comnicr-
zienraths einen Meter gutes Kalbfleisch zu schicken. Sie that
dies so unbefangen, als wäre die Bestellung vollständig in ge-
höriger Ordnung.
Der Meister aber lachte gerade heraus und meinte: ent-
! weder müsse die Köchin confus gewesen sein oder die Frau
j Meisterin habe falsch gehört; denn der Meter sei kein Gewicht,
sondern' ein Längenmaß von anderthalb berliner Ellen.
Durch das Lachen ihres Mannes wurde jedoch die Mei-
sterin arg aufgebracht.
„Du willst ooch immer Allens besser wissen", rief sie ge-
reizt. „Die Frau Commerzienräthin hat mich janz ausdrücklich
j sagen lassen, daß se eenen Meter Kalbfleesch haben will, un so
'ne vornehme Frau hat doch jauz jewiß mehr Einsicht in bet
| neue Jewichtsjesetze als wie Du, oller Neunmalklug!"
Der Meister, welcher die unerschöpfliche Zungenfertigkeit
| seiner Gattin kannte, hatte nicht Lust, sich in unerquickliche
( Debatten cinzulassen.
„Na, 's is jut, beruhige Dir man", sagte er im Fort-
[ gehen, „ick werde Dich jleich den Jesellen mit een Metermaß
! schicken, dann kannst Du meinetwegen det Kalbfleesch abmessen.
Aberst messe nur ja richtig un schneide Dir dabei nich in die
Finger!"
Der Meister hatte sehr wohl gethan, sich nach diesen
Worten rasch zu entfernen, ohne die Entgegnungen seiner Frau
abzuwarten, denn in dem nun gewaltig hervorsprudelnden Rede-
strom der Beleidigten war wtnig Schmeichelhaftes für den Gatten
enthalten.
Nicht lange dauerte es, so erschien auch wirklich der vom i
Meister abgeschickte Geselle mit dem Maßstab in der Hand,
den er der Meisterin im Aufträge seines Herrn überreichte.
Jetzt kehrte sich jedoch der Strom ihrer Beredsamkeit gegen den
Gesellen, der ganz verblüfft diese Strafpredigt anhörte.
Glücklicher Weise war jedoch der Flcischergeselle von einem
etwas sanfteren Naturell als es seine Gewerbsgcnossen gewöhn-
lich zu sein pflegen und als ihm endlich die Ursache des auf-
geregten Zustandes der Frau Meisterin klar geworden war,
gab er derselben sogar vollkommen Recht, denn auch er meinte, !
daß so vornehme Leute doch ganz gewiß von der neuen Ge-
wichtsordnung besser unterrichtet sein müßten, als die einfachen
Handwerker. Aber der Geselle wußte auch bald Rath zu !
schaffen, denn er erinnerte sich, ein Büchlein zu besitzen, worin
über die Maße und Gewichte aller Länder jedwede Aufklärung
zu finden war.
Das Büchlein ward rasch herbeigeholt und um Rath
befragt.
„I nu, sahn Se mal an, Frau Meesterin", rief der sanfte
Fleischergeselle, ein geborner Dresdner, „der Meester hat Kott-
strambach Recht, denn dahier dhut's ganz deitlich steh'n: ä
Meder is so viel als wie. drei preiß'sche Fuß. Sahn Se,
Frau Meester'n, ja ja, nee nee, der Meester hat Recht."
Die Frau Meisterin nahm selbst das Buch zur Hand und
blickte kopfschüttelnd hinein. Es dauerte jedoch gar nicht lange,
so waren ihre eigenen auftauchenden Zweifel vollständig über-
wunden.
„Dresdner, lassen Se sich man nur nich anslachen; Sie
sind j'rade so dämlich wie mein Mann", rief in triumphirender
Ueberlcgenheit die Meisterin. „Die Frau Commerzienräthin
weeß recht jut, wat se will; eenen Meter Kalbfleesch hat sie
} haben wollen, — een Meter is aberst so viel wie drei Fuß,
| also will de Frau Commerzienräthin jauz natürlich drei
Kalbsfüße!"
Der Dresdner stand nnt aufrichtiger Bewunderung vor
der klugen Meisterin, die jetzt drei Kalbsfüße aussuchte und
damit den Gesellen in das commerzienrüthliche Haus schickte.
Juste, die Köchin, schlug beim Anblick dieser Sendung
die Hände über dem Kopfe zusammen, aber der Flcischergeselle
versicherte ihr, daß es ein ganz richtiger Meter Kalbfleisch sei
und daß die Frau Commerzienräthin dies schon wissen werde-
Der Frau Commerzienräthin jedoch erging es wie der ;
Köchin, als diese ihr das sonderbare Fleischgericht vorzeigte.
„Das kommt davon, wenn mer rüttelt an das Alte und >
an die Vergangenhait", sagte die erstaunte Frau. „Waißi
Du was, Auguste, wenn ich bei das Kalbfleesch, nach dem
Meter gewogen, soll blos kriegen Kalbsfüße, wollen mer doch
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Meter Kalbfleisch"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 57.1872, Nr. 1420, S. 106
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg