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Die Commune von Dingsda.

je ein Dämon nach Dingsda, der eingesessene Bürger, den Du
bittest. Dir die Merkwürdigkeiten seiner Vaterstadt zu zeigen.
Dich nicht blos zu dem berühmten Koller des Herzogs Hottebur
von Grunzingen auf das vornehme Rathhaus, sondern auch auf
den neuen Bahnhof vor das Louisenthor führen wird.

Um übrigens auf besagten Dingsdacr Koller zurückzu-
kommen, so hing derselbe, wie bemerkt, im Rathhause oben auf
dem Flur rechter Hand in einem vergitterten Kasten. Wenn
Du nun zufällig an jenem Tage, von welchem ich sprechen will
— am ersten Thermidor des Jahres I der Commune von
Dingsda —, Dir den Koller angesehen hättest, so würdest Du,
lieber Leser, aus der, linker Hand vom Flur gelegenen Wohnung
des Herrn Bürgermeisters Unverzagt ein gar fröhlich Gelärme
und Gejuble vernommen haben.

Dort saß nämlich in der guten blauen Stube eine lustige
Zechgesellschaft beisammen und feierte den Geburtstag des groß-
mächtigen Vaters der Stadt. Oben an der Festtafel thronte
das Geburtstagskind: so dünn, so lang, so vertrocknet wie ein
reponirtes Aktenstück. Zwischen riesigen Vatermördern saß das
ängstliche Haupt und tauchte bald raubthierartig in den großen
Festpokal hinunter, den die guten Dingsdaer ihrem Herrn und
Bürgermeister verehrt; bald fuhr es spähend nach links und
rechts, soweit die steifleinenen Mauern es erlaubten. Die
übrigen Zechgenossen waren vier Honoratioren der Stadt; drei
vom Rath: nämlich der Bäckermeister Kusch, der Apotheker
Maure, Schwiegervater des Gefeierten, und Roßbirn, der Thier-
arzt; hinter des Letzteren riesiger Gestalt tauchte von Zeit zu
Zeit schüchtern Hungert, der Rektor schola^, fadenscheinigen
Aussehens, hervor.

Eben klangen die Gläser und Stimmen hell zusammen.
Kusch, der „fälschlich wägende Bäcker", hatte einen Toast aus
„unseren hochgeehrten Herrn Bürgermeister" ausgebracht. Ter
Betoastete erhob sich.

„Meine Herren und Freunde", begann er, „ich danke
Ihnen aus tiefbewegtem Herzen für die vielen Ehren, die Sie
mir heute bezeugen. Aber ich vermag trotz der gehobenen
Stimmung, in welcher wir uns befinden, die Sorgen nicht ab-
zuschütteln, die mich bedrücken — —

Der Rektor benutzte die hier eintretendc Rcdepause und
recitirte: — post equitem sedet atra cura!“

„Sa", fuhr der Bürgermeister fort, „der römische Weise
hat Recht. Selbst in dieses schöne Fest drängen sich die Sorgen
ein. Meine Freunde, es ziehen schwere Gewitterwolken an dem
Himmel unserer guten Stadt herauf; ein großes Unglück droht
der Stadt, dem ganzen Staat!"

Bis dahin hatten die drei Stadträthe schweigend zu-
gehört, jetzt aber machte sich ihr Staunen über die seltsame
Rede des Bürgermeisters in dem Ausrufe Luft: „Aber was
ist denn los?"

Unverzagt hatte sich mittlerweile wieder niedergelassen und
begann mit gehobener stimme: „Meine Herren, Sie wissen,
mit welchen Mühen wir es durchgesetzt haben, daß die Eisen-
bahn Dingsda berührt, welche Opfer die Stadt und der Ein-
zelne sich auferlegen mußten. Die Eisenbahn ist da; aber ich

sage Ihnen, das feurige Dampfroß wird unserer Stadt den
Untergang bereiten!"

Bei diesen Worten erhob Hungert die Hand abwehrend
in die Höhe und murmelte: „Wie einst das hölzerne Pferd
des Odysseus Troja stürzte?"

„So ist es", erwiderte Unverzagt, und Hungert sagte:
„Cassandra!" Kusch aber klopfte heftig auf den Tisch und
schrie: „Straf' mich Gott, wenn ich ein Wort davon ver-
stehe;" während der Apotheker ausrief: „Donnerwetter und
Nikotin, was ist denn eigentlich passirt, Herr Schwiegersohn?"

Unverzagt hatte seine ganze Fassung wiedergcwonnen.

„Hören Sie", sagte er, „Sie wissen, daß die Eisenbahn-
bauten unserer Stadt mehrere Hundert Arbeiter zugeführt haben,
allerlei verdächtiges Volk — —"

„Das der Stadt einen guten Batzen einbringt", warf
Roßbirn ein.

„Das aber die Ruhe und Ordnung stört und die Obrig-
keit in die höchste Besorgniß versetzt. Ich spreche nicht von
den täglichen Schlägereien, denen sich unsere Polizei auf meine
Anordnung gänzlich sernhält — —"

„Wohl ihr!" bemerkte Roßbirn.

„Nein, meine Herren, das ist es nicht, was mich schreckt.
Aber", — und hier erhob der Redner seine Stimme zu unge-
wöhnlichem Klange — „aber ich habe die sichersten Beweise,
daß von den Arbeitern eine sociale Revolution — die Pro-
klamirung der Commune beabsichtigt wird!" Bei dieser schreck-
lichen Verkündigung sprangen die Zuhörer von ihren Stühlen
auf; Roßbirn aber brach in ein Gelächter aus, welches erdröhnte
wie das Gewieher eines stattlichen Hengstes.

„Bürgermeister", rief er, „Sie sehen rothe Gespenster!"

„Ja, die Revolution!" rief dieser entgegen und schaute
sich funkelnden Auges um. „Ich habe in Erfahrung gebracht,
daß vor einigen Tagen Delegirte der socialistischen Partei aus
der Hauptstadt hier eingetroffen sind, um den Aufstand zu
leiten. Schon haben sich die Bahnarbeiter mit den Arbeitern
unserer Fabriken vereinigt. Meine Herren, wir stehen am Vor-
abend eines furchtbaren Ereignisses!"

Maure und Kusch schauten den Sprecher entsetzt an.

„Um Gotteswillen, Herr Schwiegersohn, Sie machen Einen
ja ordentlich ängstlich", stotterte der Erstere.

„Am Ende Bebel selber", stöhnte Kusch.

Nur Roßbirn behielt seinen Humor. „Aber Bürger-
meister", wetterte er, „was haben Sie sich da wieder aus-
schwatzen lassen?"

„Aufschwatzen!" rief Unverzagt heftig. „Herr Doktor,
wir lassen uns niemals etwas aufschwatzen!"

Mit raschen Schritten ging er zur Thür und rief hinaus:
„Wutki! Wachtmeister Wutki!"

Die Thür ging auf. Wutki, der Stadtsergeant von
Dingsda trat ein. Er glich. Alles in Allem, einer wandelnden
Kümmelflasche. Sein Antlitz war übergossen vom dunkelsten
Kupferroth, und diese fabelhafte Nase, welche drohend über dem
martialischen Schnurrbart hing, leuchtete daraus hervor wie ein
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