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©laufe.
Ach, dacht' ich, also wirklich eine neue Circe! „Nun,
Herr Wirth", begann ich wieder, „wenn dem so ist, so besteht
diese Menagerie wahrscheinlich aus sehr wenig interessanten Ge-
schöpfen, aus etlichen jungen Herren, welche die Zauberin in
Esel, Wildschweine, Murmelthiere und Kameele verwandelte,
was ihr gewiß nicht viel Mühe machte. Aber die Besitzerin
selbst — ist sie schön, ist sie wirklich bezaubernd?"
„Schön? — ja schön, wie eine Fürstin der Hölle, eine
dämonische Schönheit ist sie."
„Dann muß ich jedenfalls hin", sagte ich und stand ans.
Der Wirth ergriff meine Hand: „Ach, Herr! Sie glauben
mir nicht, und doch haben wir die Gewißheit, daß sehr viele
junge Männer, die wir kannten und die nie wieder in ihre
Heimath zurückgekehrt sind, unter ihrem Zauber in dem Käfig
als Thiere leben."
„Wie erkennt Ihr aber diese Unglücklichen in ihrer Thier-
gestalt, daß Ihr das behaupten könnt?"
„Oft an einem einzigen Blicke, oft auch an einzelnen
verständlichen Lauten, die zwischen dem Heulen und Brummen
des Thiers noch wahrnehmbar werden und ihren Jammer
nusdrücken, oft auch deutlich ihren Namen vernehmen lassen,
oder den eines Geistlichen, der für ihr Seelenheil eine Messe
lesen soll."
„Aha", sagte ich, und ohne auf weitere Einreden meines
Wirthes zu achten — der übrigens auch einsehen mochte, daß hier
alle Vorstellungen seinerseits fruchtlos seien, ja mich vielmehr
in meinem Entschluß bestärken würden — ergriff ich meinen Hut
und eilte durch's Gedränge verschiedener Nationalitäten, die
hier repräsentirt waren, hindurch und nach der Menagerie.
Es war mir doch etwas sonderbar zu Muthe, es kam
mir vor, als schauten mich die Leute darum an, halb mit
Mitleid, halb mit Spott.
Nun stand ich vor der großen hölzernen Bude, ich löste
meine Karte, ein Vorhang schob sich zurück und als ich zögernd
einer verhüllten Frauengestalt mein Bittet abgab, bemerkte ich
Anfangs nur eine zarte, weiße, schlank und schön gebaute Hand;
mein Zögern mochte aber dennoch einige Aufmerksamkeit auf
mich gelenkt haben, denn ich fand, daß der dichte Shawl, den
die Schöne über ihr Antlitz gehüllt hatte, ein wenig zurück-
geschoben wurde, und mich ein äußerst reizendes Köpfchen sehen
ließ. Ein hübsches Gesichtchen, große, dunkle Augen und eine
Fülle rabenschwarzer Locken, ein Lächeln und ein lächelnder
Blick aus den feinen Augen, das war Alles, was ich in dem
kurzen Augenblick entdecken konnte, — Alles — aber auch genug,
um mich wie betäubt, ja schon völlig bezaubert in den Zu-
schauerraum treten zu lassen. Mit gleichgiltigen Blicken maß
ich die schillernden Papageien, ohne Grausen betrachtete ich die
Hyänen, stumpf, wie ein Opfer, den Tiger, ohne Abscheu die
grinsenden Affen und so taumelte ich von Käfig zu Käfig,
planlos und zerstreut umher.
Der Wirth hatte Recht gehabt, die Fütterung war längst
vorbei, außer mir kein Neugieriger mehr zugegen; die Thiere
lagen zum Theil und schliefen, oder wandelten in gleichmäßigem
Auf- und Abgehen in ihren Käfigen hin und her. Zuweilen
erhob sich ein Löwe, gähnte, reckte sich, brüllte und lagerte sich
dann wieder hin. Einmal kam ein Junge, zündete eine Lampe
an, neckte einen Affen und breitete sich unter einem Wagen
sein improvisirtes Nachtlager aus. Es wurde spät und später,
ich war noch immer da.
Plötzlich trat die Dame ein; sie näherte sich mir artig
und sagte: „Ich muß bedauern, mein Herr, daß Ihre Er-
wartungen heute so wenig zufrieden gestellt sein können, da die
Thiere schon müd sind; es sollte mich sehr freuen, wenn Sie
sich entschließen könnten, auch zu anderer Zeit unsere Selten-
heiten zu sehen, denn Sie scheinen mir Kenner und noch mehr."
„Ich bin nur ein einfacher Reisender, aber Naturwissen-
schaft und- besonders Alles, was auf Kenntniß und Beschreibung
fremder Länder zielt, habe ich von jeher mit größtem Interesse
gelesen. — Wie hat mich seiner Zeit Freiligrath begeistert! Ich
hätte gar zu gerne von Ihnen Einiges über die Lebensweise
Ihrer Thiere in der Gefangenschaft gehört, über die Art und
Weise, wie Sie dieselben erworben haben." Ich mußte bei-
nahe in mich hineinlachen, als ich dieses aussprach, — „es
müssen Ihnen doch wohl in so langer Zeit viele Beobachtungen
zu Gebote gestanden sein?"
„O ja", gab sie zur Antwort, „und wenn es Ihnen ge-
fällt, werde ich Ihnen einige Mittheilungen machen. Ist Ihre
Zeit nicht anderwärts in Anspruch genommen, so treten Sie hier
ein, wir werden morgen Abend von hier abreisen und so bietet
sich nur noch heute Gelegenheit, Ihnen Einiges zu erzählen."
Es war mir schon früher ausgefallen, daß ich außer den
paar Jungen, welche die Fütterung besorgten. Niemanden be-
merkt hatte, als einen bejahrten Mann, und auch jetzt, nach-
dem ich in die Kammer trat, in welche ich geführt wurde, fand
ich keine erwachsene, weder männliche, noch weibliche Bedienung.
Die Wohnung lag eine Treppe über den andern Räumlichkeiten
und war ganz nach orientalischer Art ausgestattet. Da hingen
und lagen Teppiche in den buntesten Farben, Divans breiteten
sich an den Wänden aus, Palmblätter, fremdartige Waffen
und Trinkgefäße, Alles aus malerische Weise geordnet.
Sie bot mir Platz an und setzte sich mir gegenüber.
Unser Gespräch begann. Sie erzählte mir, wie sie von früher
©laufe.
Ach, dacht' ich, also wirklich eine neue Circe! „Nun,
Herr Wirth", begann ich wieder, „wenn dem so ist, so besteht
diese Menagerie wahrscheinlich aus sehr wenig interessanten Ge-
schöpfen, aus etlichen jungen Herren, welche die Zauberin in
Esel, Wildschweine, Murmelthiere und Kameele verwandelte,
was ihr gewiß nicht viel Mühe machte. Aber die Besitzerin
selbst — ist sie schön, ist sie wirklich bezaubernd?"
„Schön? — ja schön, wie eine Fürstin der Hölle, eine
dämonische Schönheit ist sie."
„Dann muß ich jedenfalls hin", sagte ich und stand ans.
Der Wirth ergriff meine Hand: „Ach, Herr! Sie glauben
mir nicht, und doch haben wir die Gewißheit, daß sehr viele
junge Männer, die wir kannten und die nie wieder in ihre
Heimath zurückgekehrt sind, unter ihrem Zauber in dem Käfig
als Thiere leben."
„Wie erkennt Ihr aber diese Unglücklichen in ihrer Thier-
gestalt, daß Ihr das behaupten könnt?"
„Oft an einem einzigen Blicke, oft auch an einzelnen
verständlichen Lauten, die zwischen dem Heulen und Brummen
des Thiers noch wahrnehmbar werden und ihren Jammer
nusdrücken, oft auch deutlich ihren Namen vernehmen lassen,
oder den eines Geistlichen, der für ihr Seelenheil eine Messe
lesen soll."
„Aha", sagte ich, und ohne auf weitere Einreden meines
Wirthes zu achten — der übrigens auch einsehen mochte, daß hier
alle Vorstellungen seinerseits fruchtlos seien, ja mich vielmehr
in meinem Entschluß bestärken würden — ergriff ich meinen Hut
und eilte durch's Gedränge verschiedener Nationalitäten, die
hier repräsentirt waren, hindurch und nach der Menagerie.
Es war mir doch etwas sonderbar zu Muthe, es kam
mir vor, als schauten mich die Leute darum an, halb mit
Mitleid, halb mit Spott.
Nun stand ich vor der großen hölzernen Bude, ich löste
meine Karte, ein Vorhang schob sich zurück und als ich zögernd
einer verhüllten Frauengestalt mein Bittet abgab, bemerkte ich
Anfangs nur eine zarte, weiße, schlank und schön gebaute Hand;
mein Zögern mochte aber dennoch einige Aufmerksamkeit auf
mich gelenkt haben, denn ich fand, daß der dichte Shawl, den
die Schöne über ihr Antlitz gehüllt hatte, ein wenig zurück-
geschoben wurde, und mich ein äußerst reizendes Köpfchen sehen
ließ. Ein hübsches Gesichtchen, große, dunkle Augen und eine
Fülle rabenschwarzer Locken, ein Lächeln und ein lächelnder
Blick aus den feinen Augen, das war Alles, was ich in dem
kurzen Augenblick entdecken konnte, — Alles — aber auch genug,
um mich wie betäubt, ja schon völlig bezaubert in den Zu-
schauerraum treten zu lassen. Mit gleichgiltigen Blicken maß
ich die schillernden Papageien, ohne Grausen betrachtete ich die
Hyänen, stumpf, wie ein Opfer, den Tiger, ohne Abscheu die
grinsenden Affen und so taumelte ich von Käfig zu Käfig,
planlos und zerstreut umher.
Der Wirth hatte Recht gehabt, die Fütterung war längst
vorbei, außer mir kein Neugieriger mehr zugegen; die Thiere
lagen zum Theil und schliefen, oder wandelten in gleichmäßigem
Auf- und Abgehen in ihren Käfigen hin und her. Zuweilen
erhob sich ein Löwe, gähnte, reckte sich, brüllte und lagerte sich
dann wieder hin. Einmal kam ein Junge, zündete eine Lampe
an, neckte einen Affen und breitete sich unter einem Wagen
sein improvisirtes Nachtlager aus. Es wurde spät und später,
ich war noch immer da.
Plötzlich trat die Dame ein; sie näherte sich mir artig
und sagte: „Ich muß bedauern, mein Herr, daß Ihre Er-
wartungen heute so wenig zufrieden gestellt sein können, da die
Thiere schon müd sind; es sollte mich sehr freuen, wenn Sie
sich entschließen könnten, auch zu anderer Zeit unsere Selten-
heiten zu sehen, denn Sie scheinen mir Kenner und noch mehr."
„Ich bin nur ein einfacher Reisender, aber Naturwissen-
schaft und- besonders Alles, was auf Kenntniß und Beschreibung
fremder Länder zielt, habe ich von jeher mit größtem Interesse
gelesen. — Wie hat mich seiner Zeit Freiligrath begeistert! Ich
hätte gar zu gerne von Ihnen Einiges über die Lebensweise
Ihrer Thiere in der Gefangenschaft gehört, über die Art und
Weise, wie Sie dieselben erworben haben." Ich mußte bei-
nahe in mich hineinlachen, als ich dieses aussprach, — „es
müssen Ihnen doch wohl in so langer Zeit viele Beobachtungen
zu Gebote gestanden sein?"
„O ja", gab sie zur Antwort, „und wenn es Ihnen ge-
fällt, werde ich Ihnen einige Mittheilungen machen. Ist Ihre
Zeit nicht anderwärts in Anspruch genommen, so treten Sie hier
ein, wir werden morgen Abend von hier abreisen und so bietet
sich nur noch heute Gelegenheit, Ihnen Einiges zu erzählen."
Es war mir schon früher ausgefallen, daß ich außer den
paar Jungen, welche die Fütterung besorgten. Niemanden be-
merkt hatte, als einen bejahrten Mann, und auch jetzt, nach-
dem ich in die Kammer trat, in welche ich geführt wurde, fand
ich keine erwachsene, weder männliche, noch weibliche Bedienung.
Die Wohnung lag eine Treppe über den andern Räumlichkeiten
und war ganz nach orientalischer Art ausgestattet. Da hingen
und lagen Teppiche in den buntesten Farben, Divans breiteten
sich an den Wänden aus, Palmblätter, fremdartige Waffen
und Trinkgefäße, Alles aus malerische Weise geordnet.
Sie bot mir Platz an und setzte sich mir gegenüber.
Unser Gespräch begann. Sie erzählte mir, wie sie von früher
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Glauke"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 57.1872, Nr. 1430, S. 186
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg