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Glauke.
habe er nach längerer Abwesenheit in Europa, als er nach
Indien zurückgekehrt war, seinen Vater todt und seine Mutter
entschlossen gefunden, der dortigen Sitte gemäß den Begräbniß-
tag ihres Gatten nicht zu überleben. Alle meine Vorstellungen
und Bitten — ich führe seine eigenen Worte an — fruch-
teten nichts. Mein Innerstes empörte sich; die Grausamkeit
des Brahmanendienstes ekelte mich an, ich hatte die Sitten des
Occidents kennen gelernt und gab meinen Abscheu in jeder
Weise zu erkennen, laut und unumwunden in Gegenwart der
Priester und des Volkes. Ich lud mir dadurch allen Haß und
mancherlei Verfolgungen auf. In jener Zeit ging ich, um
mich zu zerstreuen, öfters auf die Tigerjagd. Eines Abends hatten
mich die Bewohner eines benachbarten Ortes benachrichtigt,
daß ein außerordentlich schönes und großes Thier seit mehreren
Nächten in die Dörfer eingebrochen sei und Verheerungen
unter den Heerden angerichtet habe. Sogleich nach Mitternacht
wollte ich mich aufmachen; meine Waffen lagen neben meinem
Bette; das Vorzimmer meines Schlafgemaches hatte einen Aus-
gang gegen den Garten. Nach kurzem Schlummer erwachte ich
plötzlich und fühlte mich von zwei furchtbaren Fäusten an der
Kehle ergriffen; unfähig nach Hilfe zu rufen, umschlang ich
meinen Gegner und suchte ihn nach dem Tische zu ringen,
auf welchem meine Dolche lagen. Meine Kräfte sanken, er-
stickend drang mir der Blutstrom nach den Schläfen, mein
Herz pochte in furchtbaren Schlägen, die Augen des Mörders
funkelten wie die Augen einer Schlange, die ihres Opfers ge-
wiß ist, über meinen erlöschenden Blicken. In diesem Augen-
blick waren meine Gedanken in England, ich befand mich in
einer der Hauptstraßen Londons, ich glaubte einen meiner
europäischen Bekannten zu erkennen, einen wackern Gentleman,
der mit eiligen Schritten auf mich zukain. Bei seinem Anblick
empfand ich eine solche Freude, daß im Moment alle Stärke
in meine Glieder zurückkehrte und ich im Stande war, meinen
Feind zu Boden zu schleudern und ihm die Pistole auf die
Brust zu setzen. Indessen waren meine Diener erwacht, der
Verbrecher wurde gebunden und den Gerichten übergeben. Gegen
Nachmittag hatten wir die Höhle des Tigers gefunden und das
Raubthier erlegt. Als ich das Jahr darauf nach England kam,
traf ich auch meinen Freund, jenen Gentleman, dessen Anblick
mich in dem fürchterlichsten Ringen so gestärkt hatte, und nun
hören Sie, schloß der Offizier seine Erzählung, hören Sie,
mein Freund behauptete, mir während meiner Abwesenheit ein-
mal in London begegnet zu sein; auf näheres Fragen kam es
bis zur Evidenz heraus, daß cs die nämliche, uns beiden be-
kannte Straße und um dieselbe Stunde war, in welcher ich
mit dem Räuber gerungen hatte, nur daß durch die Differenz
des Erdumlaufes in Indien schon die Nacht eingebrochen war,
während in England die Sonne noch im Nachmittag stund."
„Das ist ein seltsames Ereiguiß", sagte ich und mir >var,
als ob meine Gedanken >u einer Reihe von Träumen verliefen,
die alle auf den Orient zurückgingen. Glauke selbst erschien
mir alz eine Ostindierin, als die Erscheinung eines wunder-
baren Mühbchens.
„Ich.werde Ihnen eine noch auffallendere Geschichte er-
zählen", fuhr sie fort, als sie mich so in Gedanken ver-
sunken sah:
„Bor einigen Jahren war in einer Stadt des Westens
ein gräßlicher Mord geschehen. Der Mörder bezeugte weder
im Verhör, noch nach seiner Verurtheilung irgend Reue oder
Abscheu über seine That. Aus alles Zureden, in sich zu
gehen, antwortete er: Es war mir bestimmt, daß ich diesen
Mord begehen mußte, ich war nur das Werkzeug eines mäch-
tigeren Willens. Dieser Hartnäckigkeit schienen aber seine oft
schmerzlich zum Himmel gerichteten Blicke zu widersprechen.
Eines Tages machte er dem Geistlichen, der ihn besuchte, das
Bekenntniß, daß es ihn mit einer unwiderstehlichen Sehnsucht
nach einer Gegend hinziehe, durch die er zwar nur ein einziges
Mal und zwar in ganz gleichgiltiger Angelegenheit gegangen,
aber es sei ihm zu Muth, als ob er nur dort die Lösung
seines irdischen Räthsels, die Versöhnung mit dem Allmächtigen
finden könne. Man gewährte dem Vcrurtheilten die Bitte und
führte ihn unter starker Bedeckung in das von ihm angegebene
Haus. Hier schien sich seiner eine seltsame Aufregung zu be-
mächtige». Ja, hier war.es, rief er außer sich, als er in
ein Zimmer des zweiten Stockwerkes trat, hier, o mein Gott!
Dabei warf er sich, im Innersten zerknirscht, auf den Boden
und schluchzte so gewaltsam, daß Alles von dem ergreifenden
Anblick erschüttert war. Das Zimmer, in welchem diese Scene
vorfiel, hatte einem sogenannten Sonderling gehört, einem
Manne, der wenig mit andern Menschen Verkehr hatte, für
auswärtige Zeitungen schrieb, keine Gesellschaften, kein Theater
besuchte und alljährlich im Sommer zu verreisen pflegte, Nie-
niand wußte wohin. Seine Effecten blieben bei den Mieths-
leuten in Verwahrung, und nach einem oder zwei Monaten
kehrte er eben so schweigend und verschlossen, als er gegangen
war, wieder zurück. Diesmal hatte ihn auf seiner Reise der
Tod erreicht. Die Gerichtscommission war eben anwesend,
seine Sachen zu versiegeln. Von verschiedenen verstreuten
Papieren, die dabei zum Vorschein kamen, ergriff einer der
Anwesenden ein beschriebenes Blatt und las darin; es waren
Bruchstücke von dem Tagebuch des Verstorbenen. Aber wie
groß war sein Erstaunen, als er an die Erzählung eines
Traumes kam, den der Verlebte gehabt und ausgezeichnet hatte,
und der die ganz genaue Beschreibung des Raubmordes, so wie
er vorgefallen war, enthielt. Ort und Umstünde trafen zu,
nur war die Erzählung des Traumes einige Tage vor der
That niedergeschrieben worden. Als man dem Vcrurtheilten
das Blatt zum Lesen gab, äußerte er: Ja, es ist so, hier
habe ich schon einmal gelebt, die Erinnerung zog mich hierher
zurück, nun gehe ich leichteren Muthes vom Leben, ich weiß,
daß meine Seele nur wieder in einen andern Traum des
Daseins übergehen wird. In diesem Bewußtsein starb der
Mörder auch. — Nun, was sagen Sie zu dieser Geschichte?"
„Diese Geschichte", sagte ich, „ist noch seltsamer als die
vorige, ja schrecklich sogar ist sie; wir wären also nicht einmal
sicher, ob wir nach einem gut vollbrachten Leben nicht in der
Haut eines Mörders auferwachten?"
„Nirwana", — lächelte die Dame, „damit wäre es jeden-
Glauke.
habe er nach längerer Abwesenheit in Europa, als er nach
Indien zurückgekehrt war, seinen Vater todt und seine Mutter
entschlossen gefunden, der dortigen Sitte gemäß den Begräbniß-
tag ihres Gatten nicht zu überleben. Alle meine Vorstellungen
und Bitten — ich führe seine eigenen Worte an — fruch-
teten nichts. Mein Innerstes empörte sich; die Grausamkeit
des Brahmanendienstes ekelte mich an, ich hatte die Sitten des
Occidents kennen gelernt und gab meinen Abscheu in jeder
Weise zu erkennen, laut und unumwunden in Gegenwart der
Priester und des Volkes. Ich lud mir dadurch allen Haß und
mancherlei Verfolgungen auf. In jener Zeit ging ich, um
mich zu zerstreuen, öfters auf die Tigerjagd. Eines Abends hatten
mich die Bewohner eines benachbarten Ortes benachrichtigt,
daß ein außerordentlich schönes und großes Thier seit mehreren
Nächten in die Dörfer eingebrochen sei und Verheerungen
unter den Heerden angerichtet habe. Sogleich nach Mitternacht
wollte ich mich aufmachen; meine Waffen lagen neben meinem
Bette; das Vorzimmer meines Schlafgemaches hatte einen Aus-
gang gegen den Garten. Nach kurzem Schlummer erwachte ich
plötzlich und fühlte mich von zwei furchtbaren Fäusten an der
Kehle ergriffen; unfähig nach Hilfe zu rufen, umschlang ich
meinen Gegner und suchte ihn nach dem Tische zu ringen,
auf welchem meine Dolche lagen. Meine Kräfte sanken, er-
stickend drang mir der Blutstrom nach den Schläfen, mein
Herz pochte in furchtbaren Schlägen, die Augen des Mörders
funkelten wie die Augen einer Schlange, die ihres Opfers ge-
wiß ist, über meinen erlöschenden Blicken. In diesem Augen-
blick waren meine Gedanken in England, ich befand mich in
einer der Hauptstraßen Londons, ich glaubte einen meiner
europäischen Bekannten zu erkennen, einen wackern Gentleman,
der mit eiligen Schritten auf mich zukain. Bei seinem Anblick
empfand ich eine solche Freude, daß im Moment alle Stärke
in meine Glieder zurückkehrte und ich im Stande war, meinen
Feind zu Boden zu schleudern und ihm die Pistole auf die
Brust zu setzen. Indessen waren meine Diener erwacht, der
Verbrecher wurde gebunden und den Gerichten übergeben. Gegen
Nachmittag hatten wir die Höhle des Tigers gefunden und das
Raubthier erlegt. Als ich das Jahr darauf nach England kam,
traf ich auch meinen Freund, jenen Gentleman, dessen Anblick
mich in dem fürchterlichsten Ringen so gestärkt hatte, und nun
hören Sie, schloß der Offizier seine Erzählung, hören Sie,
mein Freund behauptete, mir während meiner Abwesenheit ein-
mal in London begegnet zu sein; auf näheres Fragen kam es
bis zur Evidenz heraus, daß cs die nämliche, uns beiden be-
kannte Straße und um dieselbe Stunde war, in welcher ich
mit dem Räuber gerungen hatte, nur daß durch die Differenz
des Erdumlaufes in Indien schon die Nacht eingebrochen war,
während in England die Sonne noch im Nachmittag stund."
„Das ist ein seltsames Ereiguiß", sagte ich und mir >var,
als ob meine Gedanken >u einer Reihe von Träumen verliefen,
die alle auf den Orient zurückgingen. Glauke selbst erschien
mir alz eine Ostindierin, als die Erscheinung eines wunder-
baren Mühbchens.
„Ich.werde Ihnen eine noch auffallendere Geschichte er-
zählen", fuhr sie fort, als sie mich so in Gedanken ver-
sunken sah:
„Bor einigen Jahren war in einer Stadt des Westens
ein gräßlicher Mord geschehen. Der Mörder bezeugte weder
im Verhör, noch nach seiner Verurtheilung irgend Reue oder
Abscheu über seine That. Aus alles Zureden, in sich zu
gehen, antwortete er: Es war mir bestimmt, daß ich diesen
Mord begehen mußte, ich war nur das Werkzeug eines mäch-
tigeren Willens. Dieser Hartnäckigkeit schienen aber seine oft
schmerzlich zum Himmel gerichteten Blicke zu widersprechen.
Eines Tages machte er dem Geistlichen, der ihn besuchte, das
Bekenntniß, daß es ihn mit einer unwiderstehlichen Sehnsucht
nach einer Gegend hinziehe, durch die er zwar nur ein einziges
Mal und zwar in ganz gleichgiltiger Angelegenheit gegangen,
aber es sei ihm zu Muth, als ob er nur dort die Lösung
seines irdischen Räthsels, die Versöhnung mit dem Allmächtigen
finden könne. Man gewährte dem Vcrurtheilten die Bitte und
führte ihn unter starker Bedeckung in das von ihm angegebene
Haus. Hier schien sich seiner eine seltsame Aufregung zu be-
mächtige». Ja, hier war.es, rief er außer sich, als er in
ein Zimmer des zweiten Stockwerkes trat, hier, o mein Gott!
Dabei warf er sich, im Innersten zerknirscht, auf den Boden
und schluchzte so gewaltsam, daß Alles von dem ergreifenden
Anblick erschüttert war. Das Zimmer, in welchem diese Scene
vorfiel, hatte einem sogenannten Sonderling gehört, einem
Manne, der wenig mit andern Menschen Verkehr hatte, für
auswärtige Zeitungen schrieb, keine Gesellschaften, kein Theater
besuchte und alljährlich im Sommer zu verreisen pflegte, Nie-
niand wußte wohin. Seine Effecten blieben bei den Mieths-
leuten in Verwahrung, und nach einem oder zwei Monaten
kehrte er eben so schweigend und verschlossen, als er gegangen
war, wieder zurück. Diesmal hatte ihn auf seiner Reise der
Tod erreicht. Die Gerichtscommission war eben anwesend,
seine Sachen zu versiegeln. Von verschiedenen verstreuten
Papieren, die dabei zum Vorschein kamen, ergriff einer der
Anwesenden ein beschriebenes Blatt und las darin; es waren
Bruchstücke von dem Tagebuch des Verstorbenen. Aber wie
groß war sein Erstaunen, als er an die Erzählung eines
Traumes kam, den der Verlebte gehabt und ausgezeichnet hatte,
und der die ganz genaue Beschreibung des Raubmordes, so wie
er vorgefallen war, enthielt. Ort und Umstünde trafen zu,
nur war die Erzählung des Traumes einige Tage vor der
That niedergeschrieben worden. Als man dem Vcrurtheilten
das Blatt zum Lesen gab, äußerte er: Ja, es ist so, hier
habe ich schon einmal gelebt, die Erinnerung zog mich hierher
zurück, nun gehe ich leichteren Muthes vom Leben, ich weiß,
daß meine Seele nur wieder in einen andern Traum des
Daseins übergehen wird. In diesem Bewußtsein starb der
Mörder auch. — Nun, was sagen Sie zu dieser Geschichte?"
„Diese Geschichte", sagte ich, „ist noch seltsamer als die
vorige, ja schrecklich sogar ist sie; wir wären also nicht einmal
sicher, ob wir nach einem gut vollbrachten Leben nicht in der
Haut eines Mörders auferwachten?"
„Nirwana", — lächelte die Dame, „damit wäre es jeden-